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MILITÄR/902: Kolumbien - Jagd auf FARC-Chef, Indigene von Tacueyó rechnen mit dem Schlimmsten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. August 2011

Kolumbien: Jagd auf FARC-Chef - Indigene von Tacueyó rechnen mit dem Schlimmsten

Von William Lloyd George und Constanza Vieira

Guardia-Ureinwohner vor einem Kreuz, dass an den Tod indigener Jugendlicher in einem FARC-Ausbildungslager in erinnert - Bild: © William Lloyd George/IPS)

Guardia-Ureinwohner vor einem Kreuz, dass an den Tod indigener
Jugendlicher in einem FARC-Ausbildungslager in erinnert
Bild: © William Lloyd George/IPS)

Tacueyó, Bogotá, 4. August (IPS) - Liliana Alarco weiß, was es bedeutet, inmitten einer Kriegsregion zu leben. Nachdem die kolumbianische Armee ihr Feldlager in die Region Buenavista im südwestlichen Departement Cauca verlegt hatte, geriet ihr damals 13-jähriger Sohn auf dem Heimweg von der Schule zwischen die Fronten von Soldaten und Rebellen.

Der Junge wurde von einer Kugel in den Bauch getroffen und musste operiert werden. "Es war furchtbar", erinnert sich die Mutter. Die Wunde ist inzwischen verheilt, doch die Angst ist geblieben. Die Familie zog aus Sicherheitsgründen nach Tacueyó um - und fiel vom Regen in die Traufe.

Am 15. Juli ordnete Kolumbiens Staatspräsident Juan Manuel Santos die Entsendung von 500 Gebirgsjägern in die Region Tacueyó an. Die Spezialtruppen sollen die im Norden von Cauca abgestellten 15.000 Soldaten verstärken, die dort Jagd auf den Chef der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC), Alfonso Cano, machen.

Für die lokale Zivilgesellschaft ist die Truppenverstärkung eine Hiobsbotschaft. Auch wenn sich viele Menschen beklagen, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den FARC leben zu müssen, versetzt die Aussicht auf eine Intensivierung der Kämpfe die gesamte Bevölkerung in Angst und Schrecken. Die Ankündigung der Regierung, noch mehr Militärs nach Cauca zu entsenden, veranlasste die FARC, ihre Truppen aus anderen Landesteilen zusammenzuziehen und gezielt Kinder und Milizen zu rekrutieren.


Indigene leisten Widerstand

"Das neue Bataillon von Gebirgsjägern hält sich ohne unsere Zustimmung in unserem Territorium auf", protestiert José Miller Correa, der Gouverneur von Tacueyó, einem von drei indigenen Gebieten im Norden von Cauca, in denen 28.000 Ureinwohner leben. Mehr als 90 Prozent der indigenen Bevölkerung von Tacueyó, San Francisco und Toribío sind ethnische Nasa. "Wir haben uns zusammengeschlossen, um die Armee und alle anderen Kriegsparteien aus unserem Gebiet zu vertreiben."

Der einflussreiche Indigenenrat von Cauca (CRIC) hat einen Protestmarsch gegen die Gewalt der Armee und der FARC-Rebellen angekündigt. Unmittelbarer Anlass für die 'Minga', wie die Ureinwohner des südamerikanischen Bürgerkriegslandes kollektive Unternehmungen zum Wohl der Gemeinschaft bezeichnen, ist die Explosion einer Autobombe am 9. Juli in der Nasa-Stadt Toribío. Sie war offenbar von FARC-Rebellen gezündet worden und sollte die örtliche Polizeistation treffen. Der Anschlag kostete drei Zivilisten und einen Polizisten das Leben und machte weite Teile der Stadt dem Erdboden gleich.

Die 'Cabildos', wie die höchsten Instanzen in den indigenen Territorien genannt werden, beunruhigt auch, dass immer mehr junge Indigene von der FARC als Kämpfer rekrutiert werden. Juan (nicht sein richtiger Name) war 13 Jahre alt, als er von den Rebellen angesprochen wurde, er möge an ihren Kampfübungen teilnehmen. "Sie beknieten mich immer wieder und sagten, sie wollten einen richtigen Mann aus mir machen", berichtet der Teenager.

Am Abend des 26. März führte ein mutmaßlicher FARC-Kontaktmann den Jungen in das Ausbildungslager, das noch der gleichen Nacht von Regierungstruppen bombardiert wurde. Bei dem Luftangriff starben 16 der 40 anwesenden jungen Männer. Nach Angaben der Vereinigung der indigenen Cabildos von Nord-Cauca (ACIN) waren mindestens vier Opfer minderjährig gewesen.

Wie aus einer ACIN-Mitteilung weiter hervorgeht, verschwanden zwei Zivilisten aus der Region, die später im Leichenschauhaus von Cali, der Hauptstadt des benachbarten Departements Valle del Cauca auftauchten und als im Kampf getötete Rebellen deklariert wurden.

Die Menschen von Tacueyó sind überzeugt, dass es sich bei der Kontaktperson, die Juan zum FARC-Übungslager geführt hatte, um einen abtrünnigen FARC-Rebellen handelte, der auf der Lohnliste der Sicherheitskräfte steht. "Sie haben ihn bezahlt, um uns töten und später als Rebellen ausgeben zu können", meint Juan.


Teufelskreis der Gewalt

Liliana Alarco und ihre Nachbarn erleben eine schreckliche Zeit. Während die indigenen Führer versuchen, die Kriegsparteien aus den indigenen Territorien zu verbannen, schickt die Regierung immer mehr Soldaten, was die Rebellen wiederum veranlasst, immer mehr Zivilisten zu rekrutieren. Eine Zunahme der Kämpfe ist ebenso realistisch wie die Zunahme der Gewalt gegen die indigene Bevölkerung.

Kaum sei ihr Sohn genesen, gebe es erneut Anlass, sich zu fürchten, sagt Alarco. "Das Leben ist furchtbar, wenn wir uns immer Sorgen machen müssen, was wohl als Nächstes mit unseren Kindern geschieht." (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.cabildotacueyo.org/
http://www.nasaacin.org/
http://www.cric-colombia.org/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=98795

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 4. August 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2011