Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

REDE/735: Regierungserklärung von Angela Merkel zum Nato-Gipfel (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
"REGIERUNGonline" - Wissen aus erster Hand

Regierungserklärung von Angela Merkel zum Nato-Gipfel
vom 26.03.2009

Stenografische Mitschrift des Deutschen Bundestages


Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Wir freuen uns, dass Deutschland gemeinsam mit Frankreich am Ende der nächsten Woche Gastgeber des NATO-Gipfels, des Jubiläumsgipfels zum 60-jährigen Bestehen des Bündnisses, sein wird.

Es gibt für mich keinen Zweifel: Es wird nicht nur ein Jubiläumsgipfel, sondern vor allem ein in die Zukunft gerichteter Gipfel sein, ein Gipfel, auf dem die Weichen für die zukünftige Arbeit in der transatlantischen Partnerschaft und auch mit Blick auf unser vereinigtes Europa gestellt werden müssen. Dieser Gipfel wird auch ein Markstein für die deutsch-französischen Beziehungen sein.

Mir liegt sehr daran, dass wir diesen Gipfel heute richtig einordnen. Vielleicht hilft uns dazu ein Zitat aus einem Interview, das Albaniens Ministerpräsident Berisha am letzten Montag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gegeben hat. Auf die Frage, was die NATO Albanien eigentlich bringen werde, antwortete er - ich zitiere -:

Das Ziel der Nato ist, dass aus Feinden Freunde werden. Da ist es doch ein großartiger Sieg, wenn das einst härteste Kommunistenland der Welt nun zur westlichsten Allianz zählt.

In diesen wenigen Worten wird die historische Dimension des bevorstehenden Gipfels zum 60. Geburtstag der NATO deutlich. Diese historische Dimension sollten wir, auch wenn sie Vergangenheit ist, niemals vergessen - gerade wir in Deutschland nicht.

20 Jahre nach dem Fall der Mauer ist für uns heute ein Leben in Frieden und Freiheit im wiedervereinigten Deutschland und in Europa ganz selbstverständlich geworden. Aber diese Selbstverständlichkeit sollte sich nicht allzu sehr in unser Denken und Handeln einschleichen. Denn es ist und bleibt ein Schatz, in Frieden und Freiheit zu leben.

Für Frieden und Freiheit stand in den vergangenen 60 Jahren - gerade auch in schwierigen Zeiten - keine Organisation so klar und so verlässlich ein wie die Nordatlantische Allianz. Ich denke, die Erinnerung an Mauer und Stacheldraht genügt, dass wir heute über alle Parteigrenzen hinweg sagen können: Deutschland hat der NATO und der Solidarität unserer Verbündeten viel zu verdanken.

Trotz aller wahrlich nicht gering zu schätzenden Probleme können wir in diesem Jahr der Jubiläen feststellen: Das wiedervereinte Deutschland feiert 20 Jahre deutsches und europäisches Glück.

Präsident Sarkozy und ich waren von Beginn an davon überzeugt: Kaum ein Ort symbolisiert Sinn und Bestimmung europäischer und atlantischer Friedenspolitik so sehr wie der Brückenschlag über den Rhein. Gerade dort, wo sich Deutsche und Franzosen über Jahrhunderte hinweg als erbitterte Gegner gegenüberstanden, sind wir heute in enger Freundschaft verbunden und dem Frieden auf unserem Kontinent verpflichtet.

Mit Deutschland und Frankreich werden erstmals zwei Länder einen NATO-Gipfel gemeinsam ausrichten. Damit verbunden ist auch ganz konkret eine Reihe gemeinsamer, zukunftsgerichteter Schritte zwischen unseren Ländern in der Sicherheitspolitik.

Am Rande der Sicherheitskonferenz in München sind Präsident Sarkozy und ich übereingekommen, dass in Zukunft die deutsch-französische Brigade in beiden Ländern stationiert sein wird. Vor dem Hintergrund unserer Geschichte ist es eine wahrhaft bewundernswerte Geste des französischen Präsidenten, dass deutsche Soldaten, wie er es in München sagte, nach Frankreich eingeladen sind. Herzlichen Dank dafür!

Präsident Sarkozy hat in den letzten Tagen sein Land wieder in die integrierten Strukturen der NATO zurückgeführt. Das ist ein Schritt Frankreichs, dessen Bedeutung wir gar nicht hoch genug einschätzen können. Es ist ein Bekenntnis zu einer NATO im 21. Jahrhundert. Parallel dazu hat die französische Präsidentschaft im vergangenen Jahr gemeinsam mit uns für die Stärkung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik geworben, weil wir diese beiden Punkte - Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik und das transatlantische Bündnis - in einer gemeinsamen Linie und einer gemeinsamen Richtung sehen.

Für die Bundesregierung gehören eine starke atlantische Sicherheitspartnerschaft und eine europäische Sicherheitspolitik untrennbar zusammen. Ich sage voraus, dass sich diese Zusammengehörigkeit in den nächsten Jahren noch sehr viel stärker zeigen wird, vielleicht auch zeigen muss. Wir freuen uns natürlich, dass gerade anlässlich dieses NATO-Gipfels der neu gewählte amerikanische Präsident Barack Obama erstmals als amerikanischer Präsident in Europa und Deutschland sein wird.

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar habe ich gesagt: Transatlantische Partnerschaft heißt, dass wir gemeinsam analysieren, gemeinsam entscheiden und, wann immer möglich, auch gemeinsam handeln. Wir Europäer wissen einerseits um die Größe der Herausforderungen und die Brisanz der Krisen, sei es nun der Nahostkonflikt, sei es Afghanistan oder sei es das Nuklearprogramm des Iran. Wir wissen andererseits genauso um die Chancen, die in einer vertrauensvollen und starken transatlantischen Partnerschaft stecken, wenn sie sich in der konkreten Politik zu bewähren hat.

Was können wir nun von diesem NATO-Gipfel erwarten? Vorneweg dies: Die NATO braucht eine Anpassung ihrer Strategie an die neuen Herausforderungen; denn das aktuelle strategische Konzept der NATO stammt von 1999. Seither haben wir eine Fülle neuer Erfahrungen gemacht. Stellvertretend für diese stehen der 11. September 2001 und die daraus folgende ISAF-Operation in Afghanistan. Beim Gipfel muss deshalb die Überarbeitung des strategischen Konzepts in Auftrag gegeben werden, um deutlich zu machen: Die NATO gibt sich nicht nur mit dem Blick auf eine 60jährige Erfolgsgeschichte zufrieden, sondern sie ist auch zu einer Neubestimmung des Kurses für die Zukunft bereit. Dabei muss es im Kern darum gehen, die wesentlichen Aufgaben der Allianz strategisch miteinander zu verbinden.

Im Zentrum des Bündnisses steht natürlich auch künftig das Bekenntnis zur Solidarität der Mitgliedstaaten. Ein Angriff auf ein Mitglied ist ein Angriff auf das Bündnis insgesamt; das ist die Verabredung. Diese Verabredung bleibt auch der Wesenskern der Allianz. Dieses Bekenntnis zur Solidarität erfordert heute neue Maßnahmen, andere Schritte als früher, zum Beispiel Einsätze außerhalb des Bündnisgebiets. Genau an diese operative Realität muss das neue strategische Konzept anknüpfen: Es muss sie darstellen und entfalten und die Folgerungen daraus ziehen.

Diese neue operative Realität erfordert ein neues Verständnis von Sicherheit und der Herstellung von Sicherheit. Dieses neue Konzept nennen wir - ich glaube, parteiübergreifend akzeptiert - das Grundprinzip der vernetzten Sicherheit. Dieses Grundprinzip der vernetzten Sicherheit muss Eingang in die strategische Ausrichtung der Allianz finden.

Ich glaube, am Beispiel Afghanistan wird jedem klar, dass ein Erfolg nur möglich ist, wenn die NATO mit ihren militärischen Mitteln Teil eines umfassenden und kohärenten Ansatzes zugunsten der Stabilisierung des Landes ist. Zu diesem Ansatz gehört die ganze Vielfalt von zivilen Aktionen und Maßnahmen zugunsten einer guten Entwicklung des Landes. Dieses Grundverständnis, das wir jetzt in Afghanistan entwickelt haben, wird aber in Zukunft nicht ein Einzelfall sein, sondern muss zum strategischen Allgemeingut der NATO, also der Allianz, werden.

Der Erfolg der NATO wird immer mehr von ihrer Fähigkeit zur Vernetzung ihrer militärischen Instrumente mit vielfältigen Partnern abhängen, etwa mit anderen in politischen Krisenlösungen eingebundenen Organisationen. Die NATO muss dieses Verhältnis definieren. Sie steht nicht einfach über diesen Organisationen, sondern ist Teil einer vernetzten Sicherheit, zum Beispiel mit den Vereinten Nationen, mit der OSZE, mit der Europäischen Union oder mit der Afrikanischen Union genauso wie mit zivilen Kräften der Entwicklungspolitik oder mit Nichtregierungsorganisationen. Das hört sich einfach an, ist aber vergleichsweise revolutionär, sowohl auf der Seite derer, die militärische Aktionen durchführen, als auch auf der Seite derer, die im zivilen Bereich engagiert sind. Deshalb muss dies durchgeführt, entwickelt und dann auch mit Leben erfüllt werden.

Ich füge hinzu: Das strategische Konzept wird auch klar die Grenzen des Wirkungskreises der Allianz aufzeigen müssen. Ich sehe keine globale NATO. Die Allianz ist und bleibt vornehmlich auf die kollektive Sicherheit der nordatlantischen Partner konzentriert. Sehr wohl heißt das heute auch, dass sie Sicherheit gegebenenfalls außerhalb ihres Bündnisgebietes sichern muss. Aber das heißt eben nicht, dass Staaten rund um den Globus Mitglieder werden können, sondern dass dies von Mitgliedstaaten aus dem transatlantischen Raum geleistet wird.

Meine Damen und Herren, nun ist es wie immer: Manche warnen davor, allzu intensiv über das strategische Konzept zu diskutieren, da natürlich unterschiedliche Auffassungen der Verbündeten zutage treten könnten. Ich glaube, davor sollten wir und davor dürfen wir keine Angst haben; denn die Allianz kann bereits an eine starke Reformtradition anknüpfen. Bereits früher wurden viele wichtige Anregungen auch von außen aufgenommen. Diesen Weg sollten wir auch diesmal gehen. Deshalb setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass der Generalsekretär bei der Erarbeitung des neuen Konzepts von einer Gruppe ausgewiesener Experten unterstützt wird.

Wir brauchen den unverstellten Blick auf das strategisch Notwendige, und dabei muss von Anfang an klar mitgedacht werden, dass die NATO auch ihre Strukturen für die Aufgaben der Zukunft fitmachen muss. Anders als zu den Zeiten des Kalten Krieges, als der wesentliche Punkt die Abschreckung war, als die NATO-Kräfte glücklicherweise nicht militärisch aktiv werden mussten, haben wir heute Operationen zu bewältigen, in denen militärische Aktivitäten notwendig sind. Wenn man die Klagen des NATO-Generalsekretärs hört, wie schwierig es ist, Ausrüstung und Ähnliches zusammenzubekommen, dann wird einem klar, dass ein solches strategisches Konzept auch sehr praktische Aufgaben erfüllen muss.

Die Aufgaben ergeben sich in Europa und Amerika gleichermaßen aus den neuen Herausforderungen, vor denen wir stehen. Wir müssen heute an die Parallelität schwieriger, oft ganze Regionen destabilisierender Konflikte denken, an die Gefahren des transnationalen Terrorismus, an zunehmende Proliferationsrisiken, an die sicherheitspolitischen Auswirkungen von Umweltproblemen, an die Sicherung unserer Energieversorgung oder an Fragen des Zugangs zu begrenzten Ressourcen. Weder Amerika noch Europa können diese Herausforderungen alleine meistern. Kein Land auf der Welt kann heute die Probleme alleine lösen. Das muss die Grundlage unserer Zusammenarbeit sein.

Weil diese Herausforderungen so vielfältig sind, ist es natürlich auch Aufgabe der NATO, alles daranzusetzen, dass möglichst viel Prävention auf der Welt betrieben wird, damit es nicht zu dem Punkt kommt, an dem nur noch militärische Mittel helfen können. Auch das ist ein ganz wichtiger Ansatz.

Unsere zukünftige Sicherheit und unser Leben in Frieden und Freiheit werden deshalb in ganz entscheidendem Maße von zweierlei abhängen: zum einen davon, wie eng wir Europäer unseren Zusammenhalt mit den Nordamerikanern gestalten, und zum anderen davon, ob wir die großen Zukunftsthemen der globalen Wirtschaft, der Sicherheit und der Umwelt gemeinsam gestalten können. Vor diesem Hintergrund wird die Entscheidung, das strategische Konzept der NATO zu überarbeiten, die übergeordnete Aufgabe dieses NATO-Gipfels sein. Das strategische Konzept soll zum nächsten NATO-Gipfel fertig sein. Es wird also keine unendliche Aufgabe.

Neben dieser Erarbeitung des strategischen Konzepts geht es aber auch um vier weitere Dinge, die ich hier nennen möchte.

Erstens. Afghanistan - das wissen wir alle - ist die wichtigste aktuelle Bewährungsprobe für die NATO. Führen wir uns nur zwei Zahlen vor Augen: Die NATO hat derzeit etwa 70 000 Soldaten in verschiedenen Operationen, davon sind allein rund 50 000 in Afghanistan eingesetzt. Wir werden zu Afghanistan in der nächsten Woche ein Treffen der Außenminister der ISAF-Truppensteller und der Vertreter weiterer in Afghanistan engagierter Organisationen in Den Haag durchführen, um dem Thema auch beim Gipfel der Allianz breiten Raum zu geben. Wir erwarten dabei vor allem Aufschlüsse über die neuen strategischen Linien in der Afghanistanpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika. Für mich bleibt unser grundsätzliches Ziel klar, an dem wir auch den Erfolg zu messen haben: Von Afghanistan darf nicht wieder eine terroristische Bedrohung der Sicherheit bei uns, das heißt bei den Mitgliedstaaten der NATO, ausgehen. Das ist die Aufgabe.

Wir müssen gemeinsam mit allen anderen Partnern und Organisationen, die dort tätig sind, und vor allem mit den Afghanen selbst erreichen, dass das Land dauerhaft selbst für seine Sicherheit sorgen kann.

Wir sollten uns erinnern: Afghanistan als ein in seinen staatlichen Strukturen nicht gefestigtes Land war der Ausgangspunkt und der Nährboden für die Attentate vom 11. September 2001.

Weil es dort keinen funktionierenden Staat gab, war dies möglich. Daraus ist unser Engagement für Afghanistan entstanden; denn es hat unsere Sicherheit, die Sicherheit der Mitgliedstaaten der NATO, bedroht.

Jetzt wissen wir, dass wir wirksame staatliche Strukturen aufbauen müssen. Wir wissen, dass dies Entschlossenheit erfordert. Aber wir haben auch erlebt, es erfordert mehr Geduld, als wir uns am Anfang vielleicht vorgestellt haben. Ich werde mich beim Gipfel dafür einsetzen, dass die beiden wesentlichen Prinzipien unserer Präsenz noch besser verwirklicht werden.

Zum einen muss die NATO ihr Engagement noch stärker mit dem anderer Organisationen verschränken. Ich unterstütze deshalb ausdrücklich - das macht die ganze Bundesregierung - die Arbeit des UN-Repräsentanten Kai Eide für eine bessere Gesamtkoordinierung aller zivilen Aktivitäten. Hier gibt es noch etliches zu tun. Wir sollten die Vereinten Nationen immer wieder darin bestärken, dass dies von entscheidender Wichtigkeit ist. Unser Prinzip bleibt richtig: Es wird keine dauerhafte Sicherheit gelingen ohne Wiederaufbau, und es wird keinen Wiederaufbau geben ohne Sicherheit.

Zum anderen gilt es vor allen Dingen, die Eigenverantwortung der Afghanen weiter zu stärken. Das heißt für mich vor allem, dass wir die afghanische Führung noch stärker in die Pflicht nehmen, damit diese alles, aber wirklich auch alles unternimmt, um ihr Land gut und effizient zu regieren, Kriminalität zu bekämpfen und vor allem mit aller Kraft gegen den unsäglichen Drogenhandel anzugehen. Das ist eine Erwartung, die wir an Afghanistan haben.

Wir als Allianz werden alles tun, damit die anstehenden Wahlen in Afghanistan gut und erfolgreich ablaufen. Ich begrüße ausdrücklich, dass die amerikanische Regierung in ihre Strategie jetzt auch Pakistan einbindet. Ich erinnere daran, dass der Bundesaußenminister dies bereits während unserer G8-Präsidentschaft eingeleitet hat. Es wird jetzt allerdings sehr darauf ankommen, dass wir die richtige Balance finden zwischen den Aspekten, die zwischen Pakistan und Afghanistan strategisch kohärent gestaltet werden müssen, ohne zu vergessen, dass nicht alle Probleme von Pakistan auch Probleme von Afghanistan sind. Es bleiben zwei unterschiedliche Länder.

Ich begrüße auch den amerikanischen Ansatz, sich stärker auf eine gute Entwicklung in den Regionen Afghanistans zu konzentrieren. Dies passt gut zu unserem im deutschen Verantwortungsbereich im Norden bereits praktizierten Konzept, Sicherheit mit der Kräftigung lokaler und regionaler Entwicklungen zu verbinden, wie dies auch der Verteidigungsminister bei seiner letzten Reise noch einmal deutlich gemacht hat.

Ich will in diesem Zusammenhang eines festhalten: Mit unseren bisherigen Leistungen in Afghanistan seit 2002 können wir Deutschen uns im Bündnis wirklich sehen lassen. Bundesregierung und Bundestag haben bereits in den vergangenen Monaten entschieden, die Truppenstärke der Bundeswehr im Rahmen unseres gültigen Mandats im Norden weiter zu erhöhen. Beim Polizeiaufbau bleiben wir der nochmaligen Stärkung unseres Kontingents verpflichtet. Über den Sicherheitsbereich hinaus bleiben wir, wie dies seit Jahren der Fall ist, mit bedeutenden Mitteln und wichtigen Projekten in Afghanistan engagiert. Ich werde dies auf dem Gipfel mit allem Nachdruck darlegen. Ich glaube, wir können uns mit unseren Leistungen sehen lassen.

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich allen Soldatinnen und Soldaten, Polizisten, Entwicklungshelfern und Diplomaten danken. Sie leisten bei ihren schwierigen und gefährlichen Aufgaben eine ausgezeichnete Arbeit. Vor denjenigen, die in Afghanistan schwere Verwundungen davongetragen oder gar ihr Leben gelassen haben, verneigen wir uns. Ich denke, das sage ich in Ihrer aller Namen.

In den letzten Wochen wurde eine Debatte darüber geführt, mit wem in Afghanistan zusammengearbeitet werden kann und mit wem nicht. Meine Auffassung ist, dass mit allen, die unzweideutig Terror, Gewalt und feigen Attentaten gegen Vertreter der internationalen Gemeinschaft abschwören, zusammengearbeitet werden kann. Es kann und muss stärker mit denjenigen zusammengearbeitet werden, die ihr Land wieder aufbauen wollen, die die wesentlichen rechtsstaatlichen Prinzipien respektieren, wie auch immer sie sich nennen. Das gilt vor allem für die regionalen Stammesfürsten. Diejenigen aber, die den Wiederaufbau bekämpfen, die mit Gewalt und Terror drohen und die wesentlichen Menschenrechte mit Füßen treten, können für uns keine Partner sein. Sie müssen wir gemeinsam mit den Afghanen konsequent bekämpfen.

Zweitens. Ein wichtiges Thema beim Gipfel werden die Beziehungen der Allianz zu unseren Partnern im Osten und insbesondere zu Russland sein. Wir wollen auf dem Gipfel mit Albanien und Kroatien wieder zwei Länder als neue Mitglieder begrüßen. Ich bin zuversichtlich, dass uns der Grenzstreit zwischen Slowenien und Kroatien hier keinen Strich durch die Rechnung macht. Ich hoffe, dass in naher Zukunft auch der mazedonische Beitritt möglich wird und nicht länger an einer Namensfrage scheitert. Ich erwähne dies ausdrücklich, weil mir der Beitrittsprozess wichtig bleibt und ich nicht möchte, dass wir den Blick darauf verlieren. Ich sage ausdrücklich: Georgien und die Ukraine behalten eine Beitrittsperspektive. Die Tatsache, dass sich immer wieder weitere Länder aus freien Stücken um die Aufnahme in das Bündnis bemühen, zeigt die Attraktivität der Allianz.

Ich stehe weiterhin voll und ganz dazu, dass wir europäische Demokratien aufnehmen sollten, die gewillt und die fähig sind, zu unserer gemeinsamen Sicherheit beizutragen. Gerade wir Deutschen wissen noch gut, dass die freie Bündniswahl ein hohes Gut ist.

Wir dürfen nicht zulassen, dass andere aufgrund ihres veralteten Denkens in Einflussräumen versuchen, dem mit einem Veto einen Riegel vorzuschieben.

In den Beziehungen zu Russland werden wir auf dem Gipfel auch förmlich die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit im Rahmen des NATO-Russland-Rates beschließen. Die Außenminister der Allianz haben diesen wichtigen Schritt bereits vorbereitet. Wir setzen als atlantische Partner darauf, dass sich Russland kooperativ verhält. Die NATO-Partner und Russland stehen zum großen Teil vor den gleichen sicherheitspolitischen Bedrohungen. Über diese sollten wir im NATO-Russland-Rat offen und im Geiste guter Zusammenarbeit sprechen. Ich bin sehr davon überzeugt, dass wir die Chance haben, gemeinsame Antworten zu finden, sei es zum Schutz vor zukünftigen weitreichenden Raketen von Regimes wie dem Iran, sei es bei Fragen der Proliferation oder der Abrüstung und Rüstungskontrolle. Ich werde diese Fragen nächste Woche noch einmal ausführlich mit Präsident Medwedew beraten. Dabei werden wir auch über seine Vorschläge zu einer europäischen Sicherheitsarchitektur sprechen.

Wenn es um Architektur geht, dann muss man sich, wie es so schön heißt, natürlich zunächst um das Fundament kümmern. Das Fundament in der Sicherheitspolitik heißt immer wieder Vertrauen. Genau dieses Vertrauen muss gefestigt werden, auch und gerade mit Blick auf Russland.

Wenn wir uns einmal anschauen, wie die Lage ist, stellen wir fest: Die Defizite liegen nicht in den Regeln, die wir für die Sicherheitspolitik in Europa haben, die übrigens in der OSZE gemeinsam mit Russland beschlossen worden sind. Wenn es ein Defizit gibt, dann ist es ein Defizit bei der Implementierung, das heißt bei den gelebten Regeln und nicht bei den geschriebenen Regeln. So sind aus meiner Sicht manche Konflikte rasch und leicht lösbar. Ich erinnere zum Beispiel an den Konflikt zwischen Moldawien und Transnistrien. Moskau könnte hier ein Zeichen seines guten Willens setzen. Das würde uns in vielerlei Fragen sehr voranbringen.

Ich sage ausdrücklich: Die Bundesregierung möchte eine gute und vertrauensvolle Partnerschaft mit Russland. Dies ist im deutschen Interesse, dies ist im europäischen Interesse, und dies ist auch im atlantischen Interesse. Russland hat schon jetzt eine wichtige Rolle in der euro-atlantischen Sicherheitsarchitektur. Die OSZE und der NATO-Russland-Rat existieren bereits als Foren. Ich schlage vor, dass wir auch in der gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik regelmäßige Konsultationen mit Russland aufbauen.

Es ist auch im deutschen Interesse, dass der Dialog zwischen der neuen amerikanischen Administration und Russland wieder stärker in Gang kommt. Es besteht die Chance, dass sich jetzt eine enge und gute Partnerschaft entwickelt. Ich sage ausdrücklich: Die NATO will Russland als guten Partner. Wir sind seit 20 Jahren keine Gegner mehr. Die Zeit des Kalten Krieges ist unwiederbringlich vorbei.

Drittens. Ich unterstütze ausdrücklich die Initiativen des Bundesaußenministers, das Profil der NATO in den Bereichen Abrüstung und Rüstungskontrolle zu stärken. Wir haben bereits auf unserem letzten Gipfel in Bukarest hierzu wichtige Festlegungen getroffen. Ich hoffe, dass wir diese bestätigen und ausbauen können. Die Perspektiven dafür sind vielleicht so gut wie lange nicht mehr. Wir können hoffen, dass es im nuklearen Bereich bald zu Fortschritten kommt, und zwar bei den Regelungen zur Reduzierung strategischer Atomwaffen und womöglich auch bei der Haltung der amerikanischen Regierung zum Atomteststoppabkommen.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine Bemerkung zur nuklearen Teilhabe. Wir sollten gut aufpassen, dass wir Ziel und Weg nicht vermischen. Ich bleibe bei dem Ziel der vollständigen Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen. Sich diesem Ziel verantwortlich zu nähern, heißt, die richtigen Etappen zu fixieren und vor allen Dingen wasserdichte Prüfmechanismen zu etablieren, denen sich alle unterwerfen.

Die NATO hat ihr Nuklearpotenzial gegenüber dem Jahr 1989 bereits um rund 95 Prozent reduziert und die Bereitschaftsstrukturen der Nuklearwaffen gesenkt. Zugleich stellen wir aber fest, dass sich die Zahl der nuklearen Akteure und Arsenale ebenso wie die Risiken der Proliferation weltweit erhöht haben. Deshalb ist dies eines der großen Sicherheitsrisiken, denen wir entschieden und entschlossen entgegentreten müssen. Dies ist eine der Aufgaben, an deren Bewältigung auch Deutschland ein elementares Interesse hat.

Die Bundesregierung hat deshalb die nukleare Teilhabe in der Allianz im Weißbuch verankert, weil wir wissen, dass sie uns Einfluss im Bündnis, auch in diesem höchstsensiblen Bereich, sichert.

Im konventionellen Bereich ist der Erhalt des KSE-Systems ein großes Anliegen der Bundesregierung. Hier müssen die atlantischen Partner gemeinsam Russland noch von den Vorteilen einer kooperativen Politik überzeugen. Es ist deshalb sehr wichtig, dass im Auswärtigen Amt demnächst eine Konferenz stattfindet, die gerade diesen KSE-Prozess wieder beleben und vorantreiben soll. Ich finde es gut, dass der Bundesaußenminister gerade dies zu einem Thema Deutschlands macht, damit wir den richtigen Weg forcieren können.

Viertens. Fortschritte erhoffe ich mir beim Gipfel auch für die Zusammenarbeit zwischen der NATO und der Europäischen Union. Das Potenzial für die Nutzung von Synergien ist groß. Die jeweilige Politik, auch in der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, ist sozusagen aus der Taufe gehoben und gestärkt worden. Aber die Wahrheit ist: Wir müssen eine Vielzahl von Blockaden überwinden. Um es beim Namen zu nennen: Gerade die ungelösten Konflikte zwischen Zypern und der Türkei führen immer wieder dazu, dass in jeder praktischen Frage, in der eine enge Kooperation von NATO und europäischer Sicherheitspolitik notwendig wäre, Schwierigkeiten auftreten.

Wir sollten entschlossen und gemeinsam darauf hinwirken, dass diese Kooperation von EU und NATO endlich Realität werden kann; sei es im Kosovo, sei es in anderen Missionen, wo wir jedes Mal Stunden und Aberstunden damit verbringen, um irgendein Problem praktisch lösen zu können.

Die Vielzahl der mit dem Jubiläumsgipfel der NATO verbundenen Aufgaben ist unübersehbar. Eines sollten wir als Politiker hierbei nicht vergessen: Dieses Treffen in Straßburg, Kehl und Baden-Baden sollte in der vorgesehenen Form stattfinden können. Das ist nicht zuletzt auch denen zu verdanken, die durch ihre Arbeit den sicheren Verlauf dieses Gipfels ermöglichen. Ich meine die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern und auch die französischen Kollegen. Sie arbeiten mit großem Engagement und äußerst professionell zusammen. Wir haben ihnen schon heute Dank zu sagen.

Ich ergänze ausdrücklich: Auch all diejenigen, die ihre Meinung gegen die Politik der NATO kundtun wollen, haben meinen Respekt, wenn sie sich beim Ausdruck ihres Protestes an die Regeln unseres freiheitlichen Rechtsstaates halten.

Ich hoffe, dass sie dabei auch daran denken, dass es ganz entscheidend die NATO war, die über Jahrzehnte hinweg in und für Deutschland Frieden und Freiheit garantiert hat und damit auch Garant für das Recht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit war und ist, das sie heute genießen.

Wir wollen für den NATO-Gipfel gute Gastgeber sein. Ich danke deshalb allen, die an den Vorbereitungen teilhaben: den Bundesministern des Auswärtigen, der Verteidigung und des Innern, der Landesregierung von Baden-Württemberg, den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern und ganz besonders den Menschen in Baden-Baden, Kehl und Straßburg, die sicherlich gute Gastgeber sind.

Ich hoffe, dass der Gipfel unser aller Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Sicherheitspolitik schärfen wird, die auch in unserer globalisierten Welt in guten Partnerschaften gestaltet ist und Frieden und Freiheit für uns alle schützt. Um Frieden und Freiheit wird es auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten der transatlantischen Wertegemeinschaft der NATO gehen. Deutschland wird seinen Beitrag dazu leisten.

Herzlichen Dank.


*


Quelle:
Regierungserklärung von Angela Merkel zum Nato-Gipfel vom 26.03.2009
http://www.bundesregierung.de/nn_1502/Content/DE/Regierungserklaerung/2009/
03/2009-03-26-regerkl-merkel-nato.html
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, D-10117 Berlin
Telefon: 01888 / 272 - 0, Telefax: 01888 / 272 - 2555
E-Mail: InternetPost@bundesregierung.de
Internet: http://www.bundesregierung.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2009