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REDE/755: Angela Merkel auf der Fraunhofer-Jahrestagung, 23.06.09 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
"REGIERUNGonline" - Wissen aus erster Hand

Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel auf der
Fraunhofer-Jahrestagung "Fraunhofer bewegt: 60 Jahre Motor für Innovation"
am 23. Juni 2009 in München


Sehr geehrter Herr Professor Bullinger,
sehr geehrter Herr Staatsminister, lieber Herr Zeil,
lieber Herr Parlamentarischer Staatssekretär,
liebe Kollegen aus den Parlamenten, dem Bundestag und
vielleicht auch dem Bayerischen Landtag,
meine Damen und Herren!

Ich bin aus Überzeugung hierher gekommen. Es ist heute nicht mein einziger Termin - damit haben Sie Recht -, und ich darf Ihnen sogar berichten, dass ich schon in Bewegung war, weil ich nämlich heute das Robert-Koch-Institut in Berlin besucht habe, wo die Elektronenrastermikroskope aus Gründen der Schwingungssicherheit tief unten im Keller stehen und andere besichtigte Labore weiter oben sind, weshalb einige Treppen zu steigen waren. Insofern war meine Bewegung auch schon multidimensionaler als die, die auf den Drehstühlen möglich ist und die doch relativ eintönig ist, gemessen an den Bewegungsformen, die man insgesamt aufbringen kann.

Ich bin nun aus Überzeugung hierher gekommen, weil ich Ihnen nachträglich gratulieren möchte. Dass vor der Bundesrepublik Deutschland und dem Grundgesetz so etwas Wichtiges gegründet wurde, spricht dafür, dass die Menschen damals wirklich in die Zukunft schauen konnten, dass sie sich etwas zugetraut haben und Deutschland immer schon auf Forschung und Wissenschaft gesetzt hat. Das war angesichts der Tradition, auf die wir bereits blicken konnten, auch richtig. Wie gesagt, wenn man im Museum des Robert-Koch-Instituts ist und sich dort einmal anschaut, was Robert Koch von der Tuberkulose bis hin zu anderen Infektionskrankheiten entdeckt hat, dann sieht man, dass das ein kleiner Baustein dessen ist, was Deutschland schon lange als Wissenschaftsstandort stark gemacht hat.

Gelobt worden sind Sie nach dem, was Sie vorgetragen haben, Herr Professor Bullinger, wirklich ausreichend. Deshalb will ich mich darauf beschränken, an dieser Stelle zuerst einmal Danke für eine umfassende Beratung auch der Bundesregierung zu sagen.

In diesem Zusammenhang will ich nebenbei erwähnen, dass wir in dieser Legislaturperiode neben den Fragen der Forschung, auf die ich gleich zu sprechen kommen werde, einen doch sehr interessanten Versuch gewagt haben. Die Wissenschafts- und Forschungsministerin Annette Schavan hat es, wie man Veränderungen in Deutschland meistens durchsetzt, lautlos geschafft, eine Nationale Akademie zu gründen. Ich weiß gar nicht, ob ich das im Beisein eines bayerischen Staatsministers sagen darf, denn mit den Ländern war das nicht einfach. Aber damals waren Sie ja noch nicht im Amt, sonst hätten Sie es bestimmt auch gut gefunden, Herr Zeil. Wir haben jetzt also das, was die Briten schon immer hatten, nämlich eine Ansprechinstitution. Leopoldina und acatech müssen sich diesen Stand noch ein bisschen teilen. Wir haben dies natürlich auch im Respekt vor den Länderakademien getan.

Wir haben insgesamt eine sehr robuste Forschungslandschaft geschaffen. Dafür, dass das alles einen einigermaßen geordneten Weg nimmt, sind auch Herr Professor Bullinger als Person und die Fraunhofer-Gesellschaft insgesamt ein guter Garant. Ein herzliches Dankeschön dafür.

Dafür, dass sich die Bundesrepublik erfolgreich entwickeln kann, sind Forschung und Wissenschaft natürlich immer von wesentlicher Bedeutung. - Das wissen wir, aber das ist nicht allen im Lande immer bewusst. - Deshalb ist die Fraunhofer-Gesellschaft in ihrer Bedeutung auch gar nicht hoch genug zu schätzen. Sie haben nämlich immer die Verbindung in die Wirtschaft hinein gehalten und damit auch ein Gefühl für die Anwendbarkeit von Forschung bei gleichzeitigen Spitzenerfolgen entwickelt. Wenn es in Deutschland manchmal eine Schwachstelle gibt, dann ist es genau dieser Punkt, nämlich wie wir eigentlich von den Höhen der Grundlagenforschung im Rahmen eines vernünftigen Prozesses auch zu der Anwendbarkeit und dazu kommen, dass wir aus den Erfindungen wirklich etwas machen. Der MP3-Player und der Computer, der noch vor der Gründung der Fraunhofer-Gesellschaft von Konrad Zuse entwickelt wurde, sind Beispiele dafür. Das sind Dinge, die in Deutschland entstanden sind. Aber wenn man sich einmal anschaut, wo heute in der Welt die Wertschöpfung um diese Produkte herum stattfindet, dann würde ich sagen: Es könnte noch mehr werden, an dem Deutschland wirklich Anteil hat. Dafür ist die Fraunhofer-Gesellschaft ein wichtiges Bindeglied. Aber die Gästeschar hier zeigt, dass das angenommen wird und der Wille dazu besteht. Ich will hier für die Politik ausdrücklich sagen, dass wir dies unterstützen wollen, dies unterstreichen wollen und dazu auch verschiedene Maßnahmen in dieser Legislaturperiode ergriffen haben.

Die Bedeutung der Fraunhofer-Gesellschaft wird in den nächsten Jahren zunehmen, auch weil wir uns jetzt in einer wirtschaftlich krisenhaften Situation befinden - in einer Krise, in der die Karten auf der Welt neu gemischt werden und in der sich beweisen wird, ob Deutschland an 60 Jahre erfolgreicher Arbeit anknüpfen kann oder ob uns andere in dieser Krise überholen. Deshalb war die politische Botschaft, die drei Pakte, auf die ich dann noch zu sprechen kommen werde, bis zum Jahr 2019 fortzusetzen, ein ganz wichtiges Signal, um deutlich zu machen: Wir wissen, dass nur Forschung, Innovation und Kreativität unseren Wohlstand in diesem Land erhalten können. Deshalb wird dies auch ein Schwerpunkt nicht nur in dieser Legislaturperiode sein, sondern auch weit darüber hinaus bleiben.

Wenn man sich einmal anschaut, was es jetzt in der Welt an Konjunkturpaketen gibt, dann weiß man, dass diese in den Vereinigten Staaten von Amerika auch ganz stark auf Zukunftsinvestitionen ausgerichtet sind. Wir wissen, dass China sehr stark auf die Entwicklung seiner eigenen Wirtschaftskraft setzt. Deshalb ist es natürlich sehr wichtig, dass wir in der Krise, aber auch über die Krise hinaus den Forschungsaspekt nicht vergessen. Da das Drei-Prozent-Ziel, also das Ziel, dass wir drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland für Forschung und Entwicklung ausgeben, ein Gemeinschaftsziel ist, das zu einem Drittel von der Bundesregierung und den Ländern - herzlichen Dank dem Freistaat, der an dieser Stelle sein Soll übererfüllt - und zu zwei Dritteln von der Wirtschaft finanziert wird, ist es natürlich auch ganz wesentlich, dass wir in Zukunft gerade die Forschungsbedingungen in der Wirtschaft verstetigen, es Leidenschaft in der Wirtschaft, auch im Mittelstand, für Forschung gibt, wir aber auch die Bedingungen für Forschungsausgaben verbessern. Deshalb findet sich jetzt in vielen Wahlprogrammen, wenn ich einmal einen Blick in die Zukunft werfe, auch die Forderung nach einer steuerlichen Förderung von Forschung und Innovation, gerade auch im mittelständischen Bereich, die deutlich macht: Hier setzen wir Prioritäten. Ich glaube, das wird uns in der nächsten Legislaturperiode beschäftigen.

Qualität "made in Germany" ist ein Schlagwort, das wir auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten gerne in der ganzen Welt hören wollen. Wir haben es geschafft, dass wir als Exportnation trotz zunehmender Konkurrenz in den letzten Jahren kaum Exportanteile verloren haben. Wir wollen als Exportnation auch weiterhin stark bleiben. Das bedeutet natürlich, dass wir immer so viel besser sein müssen, als wir in unserem Lande teurer sind. Da wir auf einem vernünftigen Wohlstandsniveau leben wollen, ist der Motor unseres Wohlstands sozusagen, besser als andere zu sein, neue Produkte zu entwickeln, neue Ideen zu entwickeln und neue Ideen umzusetzen. Deshalb ist Ihr Motto "60 Jahre im Auftrag der Zukunft" genau richtig. Deshalb freue ich mich auch, dass Sie dies in vielen einzelnen Initiativen und Projekten der Fraunhofer-Gesellschaft immer wieder unter Beweis gestellt haben.

Damit Sie das tun können, brauchen Sie verlässliche Rahmenbedingungen. Dabei ist der Pakt für Forschung und Innovation sicherlich die Leitplanke, entlang der Sie planen und entwickeln können. Natürlich freut es uns, wenn Sie dann sagen, dass Sie in Kombination mit Aufträgen aus der Wirtschaft im letzten Jahr 1.400 Leute neu einstellen und in diesem Jahr 400 Menschen eine Chance geben konnten. Das wird in den nächsten Jahren noch wichtiger sein. Unsere vielen Bemühungen, junge Leute für Forschung, für die naturwissenschaftlichen und die ingenieurwissenschaftlichen Fächer zu begeistern, dürfen natürlich nicht darin enden, dass diejenigen, die sich nun zum Studium entschlossen haben, anschließend wegen der wirtschaftlichen Situation keine Anstellung bekommen, womit wir einen Schwung in der Jugend, den wir schon ein Stück weit erreicht haben, wieder aufs Spiel setzen würden. Deshalb also gibt es den Pakt, der bis 2010 von einer Steigerung der Mittel in Höhe von drei Prozent spricht, ab 2011 sogar in Höhe von fünf Prozent - nicht nur für die Fraunhofer-Gesellschaft, sondern auch für die anderen Forschungsinstitutionen. Ich glaube, das ist etwas, was für Sie doch ein Stück Planungssicherheit, aber auch ein Stück Anerkennung für die Arbeit sein soll.

Sie haben sich sehr ehrgeizige Ziele gesetzt. Das heißt, dass Sie das Vertrauen, das wir in Sie setzen, auch rechtfertigen wollen. Einer der großen Schwerpunkte in diesem Zusammenhang ist natürlich auch alles, was sich um die Umweltforschung herum rangelt. Ich glaube, es war ganz, ganz wichtig, dass die Bundesforschungsministerin zu Beginn dieser Legislaturperiode mit der Hightech-Strategie einmal so etwas wie eine Bestandsanalyse gemacht und eine Zukunftsperspektive vorgegeben hat. Wir haben aufgelistet, wo Deutschland in vielen Feldern steht und wie wir dort unsere Entwicklung und unseren Platz in der Welt verbessern wollen. Damals, als ich das gelesen habe, gab es erkennbarerweise Bereiche, in denen wir führend sind. Aber es gibt auch Bereiche, in denen Schwächen analysiert wurden, wobei jetzt strategisch daran gearbeitet werden kann, voranzukommen.

Einer der Bereiche, die wirklich zukunftsträchtig sind, ist die Umwelttechnologie. Wir haben bei Umweltschutzgütern immerhin einen Welthandelsanteil von rund 16 Prozent erreicht. Damit haben wir unseren Vorsprung gegenüber den Wettbewerbern weiter ausgebaut. Aber wenn man sich jetzt einmal anschaut, was in den Vereinigten Staaten von Amerika und beispielsweise in China passiert, dann sehen wir: Dort wurde auch erkannt, dass darin Zukunftsmärkte liegen, dass man damit Geld verdienen und gleichzeitig CO2 einsparen kann. Deshalb wird der Wettbewerb sehr viel härter werden. Was wir politisch sichern werden oder zu sichern versuchen werden, ist, dass es keinen Protektionismus gibt - weder in versteckter noch in offener Form. Diese Gefahr ist vorhanden. Auf der anderen Seite können wir aber natürlich nur bestehen, wenn wir selbst gute Produkte haben.

Ich will etwas hinzufügen. Ich habe mich heute mit dem Asien-Pazifik-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft und vor wenigen Tagen mit denen unterhalten, die den transatlantischen Handelsbeziehungen verpflichtet sind. Auf beiden Seiten wird das Thema der Normung und Standardisierung ein herausragendes Thema für die Zukunft sein. Wer nämlich die Standards, die Normen setzt, der hat natürlich auch immer Marktvorteile. Deshalb sollten wir das Thema der Standardisierung und Normung in den G20-Prozess einbringen, damit wir auch wirklich faire Chancen haben, unsere guten Produkte zu exportieren. Ansonsten ist ein Markt wie der chinesische, wenn er sich seine Standards selbst setzt, natürlich einer, in den man dann sehr viel schwieriger hineinkommt.

Wir haben in der deutschen Umweltindustrie insgesamt bereits 1,5 Millionen Beschäftigte. Allein der Bereich der erneuerbaren Energien bietet 250.000 Arbeitsplätze. Wir haben auch in anderen Bereichen weltmarktführende Positionen inne. Ich will hier nur die optischen Technologien und die Lasertechnik nennen. Der deutsche Maschinenbau hätte nicht die Stellung in der Welt einnehmen und so, wie er sie heute hat, behalten können, wenn wir es nicht geschafft hätten, die klassische Fähigkeit des Maschinenbaus mit der Innovation der Lasertechnologie zu verbinden. Das ist ein Riesenfortschritt, der uns gelungen ist. Wir können auch sagen, dass sich hier die Forschungs- und Entwicklungsausgaben sehr gut entwickelt haben. Es sind etwa zwei Milliarden Euro pro Jahr, die wir dafür einsetzen, und dies mit großem Erfolg.

Im Bereich der Biotechnologie haben wir 500 Firmen, die Deutschland zum führenden Standort in der europäischen Landschaft gemacht haben. Bei der Gründungsdynamik in der Nanotechnologie müssen wir am Ball bleiben und diese auch vorantreiben, weil ich glaube, dass Deutschland mit seiner Gesamtkunde der Werkstofftechnologien, ähnlich wie beim Maschinenbau und der Lasertechnologie, wirklich eine gute Chance hat, den Anschluss zu schaffen. Es gibt bereits mehr als 700 innovative Unternehmen mit 50.000 Arbeitsplätzen. Das zeigt, auch hier entwickeln sich neue Felder.

Wir setzen auf die Fraunhofer-Gesellschaft, wenn wir unsere Hightech-Strategie weiterentwickeln. Es ist immer so, dass man zwischen der Erfassung der Breite aller Forschungsgebiete und der Konzentration auf bestimmte Bereiche eine kluge Balance finden muss. Sicherlich war die Hightech-Strategie in ihrer Anfangsphase sehr breit angelegt, weshalb man in Zukunft noch einmal fragen muss, wie wir eine Konzentration auf bestimmte Bereiche am besten voranbringen können.

Nun steht Deutschland vor einem Problem, das wir nicht unterschätzen dürfen. Wir werden im nächsten Jahrzehnt einen erheblichen demografischen Wandel erleben, der auch an den Bereichen der Ingenieure, der Kreativen, der Forscher und der Wissenschaftler nicht ohne Spuren vorbeigehen wird. Deshalb ist das Thema "Nachwuchs" ein entscheidendes Thema. Deshalb haben wir in der Bundesregierung - und ich anlässlich des Jubiläums "60 Jahre Soziale Marktwirtschaft" - auch gesagt: Die essenzielle Frage wird sein, wie wir es schaffen, eine Republik zu sein, die man mit Fug und Recht Bildungsrepublik nennen kann - eine Republik, die den jungen Menschen eine Chance gibt, Berufe zu ergreifen, in denen sie anschließend Spitzenleistungen vollbringen können, eine Republik, die neugierig bleibt, obwohl sie eine alternde Gesellschaft hat, und die in die Zukunft investiert. Das sind keine trivialen Aufgaben. Sie werden unsere gesamte Kraft erfordern.

In den nächsten Jahren werden sich mehr als 300.000 Akademiker im Bereich der gewerblichen Wirtschaft in den Ruhestand verabschieden, darunter etwa 70.000 Naturwissenschaftler und 85.000 Ingenieure. Das bedeutet natürlich, dass wir uns um entsprechenden Nachwuchs kümmern müssen. Das wiederum bedeutet, dass die Aufgabe der Wissenschaftsorganisationen in den nächsten Jahren noch einmal verstärkt die sein wird, tief in die Gesellschaft hineinzuwirken.

Deshalb haben wir es auch nicht beim Pakt für Forschung und Innovation belassen und gesagt, dass wir die Forschungsinstitutionen für die nächsten Jahre in berechenbarer Weise vernünftig ausstatten, sondern haben auch eine gemeinsame Qualifizierungsinitiative von Bund und Ländern gestartet. Das ist in Deutschland nicht so einfach, weil die Schulpolitik Ländersache ist. Auch die Kindergartenplatzbereitstellung, obwohl wir dabei hilfreich sind, ist Ländersache. - Aber irgendwie empfinden die Eltern es nicht immer so, dass sie genau wissen, in welchem Zuständigkeitsbereich sich ihr Kind gerade befindet. Sie sehen die Biografie eines Kindes sozusagen kontinuierlich, wozu ich den Eltern auch nur raten kann. - Wenn aber das Kind irgendwann die Realschule verlässt und festgestellt wird, dass es nicht ausbildungsfähig ist, dann landet es irgendwie doch wieder im Zuständigkeitsbereich des Bundes. Deshalb haben wir das einzig Vernünftige gemacht und gesagt, dass wir uns die Schnittstellen einmal gemeinsam anschauen.

Wir haben verabredet, dass wir bis zum Jahr 2015 zehn Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung - drei Prozent für Forschung und sieben Prozent für Bildung - ausgeben wollen, weil wir damit dann im internationalen Rahmen einigermaßen den Anforderungen entsprechen. Das wird uns noch eine große Kraftanstrengung kosten.

Ein Teil dessen ist natürlich die Hochschulausbildung. Wir sollten anstreben, dass 40 Prozent unserer jungen Menschen eine Hochschulausbildung, respektive eine Fachhochschulausbildung, bekommen - das entspricht internationalem Standard -, und dies in der Kombination mit dem Abitur nach zwölf Jahren, worüber man auch nicht so einfach sprechen kann. Wenn ich es selbst nicht nach zwölf Jahren geschafft hätte und heil herausgekommen wäre - das war allerdings in der DDR -, dann würde ich sagen: Das müsste eigentlich leichter gehen. Aber irgendwie scheint es ja sehr schwierig zu sein. Aber wir werden auch das schaffen. In der Kombination von zwei Jahrgängen - denen, die 13 Jahre gebraucht haben, und denen, die zwölf Jahre brauchen - wird es einen Ansturm auf unsere Hochschulen geben. Auch diese Herausforderung wollen Bund und Länder gemeinsam schultern. Ich glaube, das ist eine richtige Initiative. So haben wir eine Chance, auch mit Blick auf das Thema Integration, das ich an dieser Stelle auch noch einmal ansprechen möchte.

Wir haben heute unter den 25-Jährigen in allen industriellen Kernbereichen Deutschlands bereits zwischen 35 bis 45 Prozent junge Menschen mit Migrationshintergrund. Diese müssen wir natürlich in ihren Bildungserfolgen genauso weit bringen wie diejenigen, die schon angestammt in Deutschland leben. Das wird noch eine Herkulesaufgabe werden, aber nur so werden wir es insgesamt schaffen können, dass wir die Bildungsanforderungen, die an ein modernes Land gestellt werden, auch wirklich umsetzen können.

Wir brauchen natürlich auch eine Offensive in Richtung Wettbewerb. Dabei ist die Exzellenzinitiative etwas, das sich bewährt hat. Damit ist Bewegung in die ganze Sache gekommen. Wenn man aus dem Norden kommt, ist man hierbei nicht immer glücklich, weil man dort bei der Exzellenzinitiative noch nicht so gut abgeschnitten hat. Aber ich finde, es hat auch keinen Sinn, gegenüber denen im Norden den Eindruck zu erwecken, sie seien so gut wie die im Süden, während es nicht ausgesprochen wird, dass es leider noch nicht so ist. Deshalb muss daran gearbeitet werden, dass wir, verteilt über das ganze Land, Exzellenz haben. Es gibt dann noch einige Cluster - das will ich nicht verhehlen -, die, glaube ich, sogar bis nach Kiel verteilt sind, aber in Bezug auf so genannte Eliteuniversitäten ist das leider noch nicht der Fall.

Außerdem müssen wir Wissenschaft - das sage ich jetzt einmal als Physikerin - in den Köpfen und Herzen aller Menschen in Deutschland als eine freudvolle Sache verankern. Es darf nicht so sein, dass Mathematik als langweilig und Sozialkunde als interessant angesehen wird. Jedes Fach muss interessant sein. Es darf auch nicht so sein, dass es in einer Nation, die so viele Nobelpreise erhalten hat, immer noch als so schwierig und kaum verständlich gilt, dass man sich mit Naturwissenschaften befasst. Diesbezüglich ist meine Bitte an die Wissenschaftscommunity: Sprechen Sie verständlich. Sie haben sich manchmal schon daran gewöhnt, dass sich sowieso nicht alle für Ihre Dinge interessieren, und sind deshalb nicht mehr bereit, so zu sprechen, dass Sie auch ein Mensch verstehen kann, der sich nicht jeden Tag mit wissenschaftlichen Fragen befasst. Das führt dazu, dass die Menschen, die Sie nicht verstehen, Sie nicht mehr fragen. Das wiederum führt dazu, dass die Kontakte abbrechen. Das wiederum führt dazu, dass dann nur noch eine Minderheit an diesem Gebiet interessiert ist. So entstehen Ängste. Und aus Ängsten entsteht meistens eine Abwehrhaltung. Dies müssen wir durchbrechen, wenn wir als Gesellschaft - ich sage es noch einmal: als eine eher alternde Gesellschaft - neugierig und offen bleiben wollen.

Deshalb sind all die Initiativen, die auch von der Fraunhofer-Gesellschaft zum Teil sehr intensiv begleitet werden, von allergrößter Wichtigkeit - so etwa der Girls' Day und die Förderung der so genannten MINT-Fächer, also der mathematischen, Ingenieur-, naturwissenschaftlichen und technischen Fächer. Deshalb ist der "Science Express" - als so etwas Ähnliches in Indien eingeweiht wurde, haben wir noch von einem Wissenschaftszug gesprochen -, also dieses Gefährt auf der Schiene, das durch verschiedene Städte rollt und in dem sich dann auch Schulklassen, Senioren und viele andere einmal umschauen und sich von der Wissenschaft begeistern lassen können, etwas sehr Gutes. Das ist auch die Fraunhofer-Talent-School. - Ich weiß nicht, wo hier die englische Aussprache beginnt; aber "Frownhofer" muss man wahrscheinlich noch nicht sagen. Ich gehöre einer Partei an und bin sogar deren Vorsitzende, die gegen meinen Willen beschlossen hat, dass Deutsch ins Grundgesetz aufgenommen werden soll. Insofern muss ich mich ab und zu einmal dazu äußern. - Ihre Talentschule mit mehrtägigen Workshops ist also wunderbar. "Jugend forscht" ist eine tolle Massenbewegung mit erstaunlichen und wirklich bewundernswerten Leistungen, übrigens erfreulicherweise auch mit einem ansteigenden Anteil von Mädchen, die auch an den Wettbewerbspreisen Anteil haben.

An vielen Stellen gibt es also schon eine sich gut entwickelnde Breitenbewegung. Insofern würde ich sagen: Sie sollten nicht selbstzufrieden sein - das wäre schlecht - sich auch nicht nur eindimensional, sondern durchaus in alle Richtungen bewegen - aber immerhin: die Assoziation zum Motto "Fraunhofer bewegt" ist vorhanden - und mit Zuversicht an die Sache herangehen. Dann können wir es schaffen, dass Deutschland ein spannendes und attraktives Land bleibt. Ich finde es immer gut, dass Deutschland für Besuche von Museen aller Art eine Reise wert ist, aber ich möchte auch, dass Deutschland in zehn, 20 und 30 Jahren immer noch ein spannender Ort sein wird, an dem man forschen, entwickeln und Dinge sehen kann, die es noch nicht auf der Welt gegeben hat. Dafür gibt es keinen Rechtsanspruch auf der Welt, sondern das können wir nur aus uns selbst heraus schaffen. Das ist eine wunderschöne Aufgabe. Das, was Deutschland in der Vergangenheit stark gemacht hat, das wird es auch in Zukunft tun.

Herzlichen Glückwunsch, weiterhin viel Kraft, viele Ideen, gute Laune, dann bekommen Sie auch unsere Unterstützung.


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Quelle:
Bulletin Nr. 75-1 vom 24.06.2009
Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel auf der Fraunhofer-Jahrestagung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2009