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REDE/760: Köhler zur Eröffnung der zweiten Bonner Konferenz für Entwicklungspolitik, 27.08.09 (BPA)


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Eröffnung
Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler zur Eröffnung der zweiten Bonner Konferenz für Entwicklungspolitik am 27. August 2009 in Bonn:

"Wir brauchen Partnerschaft auf allen Ebenen"


Wir wissen es längst: Wenn wir die Globalisierung gerechter gestalten wollen, dann müssen wir als Weltgemeinschaft handeln. Das bedeutet nicht nur, dass Regierungen kooperieren müssen, sondern auch und gerade Regionen, Kommunen und Zivilgesellschaften. Ich bin überzeugt: wir brauchen Partnerschaft auf allen Ebenen. Und die Länder und Kommunen leisten einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung der Globalisierung. Es ist wichtig, diese Beiträge zu stärken, aber auch, sie besser aufeinander und mit der Politik des Bundes abzustimmen. Das Land Nordrhein-Westfalen und hier insbesondere Herr Minister Laschet machen sich stark für dieses Thema. Deshalb bin ich heute gerne nach Bonn gekommen.

Ich glaube an das Prinzip der Nachhaltigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit; und die tiefste Quelle für Nachhaltigkeit ist Freundschaft. Deshalb ist es gut, wenn Partner in der Entwicklungszusammenarbeit Freunde werden. Um Freundschaften zu schließen, braucht man Zeit. Und das ist es, was langfristige Partnerschaften ausmacht. Sie geben den Partnern Zeit, sich gegenseitig kennenzulernen, einander zuzuhören, die Vorstellungen des anderen zu verstehen und aufeinander zuzugehen bei der Suche nach Lösungen. Partnerschaften eröffnen einen direkten Zugang zu den Menschen. Und am Ende können sie das Erlebnis teilen: Wir haben etwas geschafft. Gemeinsam.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Bei meiner Reise nach Ruanda im letzten Jahr habe ich auch ein Schulprojekt der Partnerschaft zwischen Rheinland-Pfalz und Ruanda besucht. Diese Partnerschaft ist weitergegangen, obwohl der Völkermord 1994 fast eine Million Menschen und Gemeindestrukturen ausgelöscht hat. Viele Aktive in Rheinland-Pfalz fragten sich damals, wie da die Zusammenarbeit aufrechterhalten werden kann. Und doch ist es gelungen: Das über die Jahre gewachsene Interesse aneinander war einfach zu groß.

Wir brauchen das Engagement aus der Bürgergesellschaft heraus, denn es macht deutlich, dass der Einzelne eben doch etwas ändern kann. Rüdiger Safranski hat es einmal so auf den Punkt gebracht: "Globalisierung gestalten, bleibt eine Aufgabe, die sich nur bewältigen lässt, wenn darüber nicht die andere große Aufgabe versäumt wird: das Individuum, sich selbst, zu gestalten." Es kommt also darauf an, das große Ganze in den Blick zu nehmen, wie auch jeden Einzelnen daran zu beteiligen.

Nachhaltigkeit entsteht durch das Engagement Einzelner, braucht aber auch Unterstützung durch starke Institutionen. Im Falle von Rheinland-Pfalz sind das der Partnerschaftsverein, das Koordinationsbüro in Kigali und ein eigenes Referat im Innenministerium in Mainz. Aus den Erfahrungen, die die Partner Rheinland-Pfalz und Ruanda gesammelt haben, können wir lernen, dass wir bei solchen Vorhaben effiziente Strukturen und eine gute Abstimmung für die vielen Projekte brauchen. Sonst überfordern wir unsere Partner, anstatt ihre guten eigenen Ansätze zu fördern. Die Selbstverpflichtung der Industrieländer zu einer besseren Arbeitsteilung, wie sie in der Erklärung von Paris 2005 niedergelegt wurde, muss deshalb auch für die Entwicklungszusammenarbeit der Länder gelten. Und die Regierungschefs der Bundesländer haben es in ihrer Erklärung im letzten Jahr deutlich gesagt: Sie wollen die besonderen Kompetenzen der Länder einsetzen, ohne als weiterer Geber in Konkurrenz zu Anderen zu treten.

Eine gute Arbeitsteilung zwischen den Bundesländern könnte eine stärkere geographische Konzentration auf ein Land oder eine Region bedeuten. Dass sich mit Rheinland-Pfalz und Ruanda zwei Partner zusammengefunden haben, die ungefähr gleich groß sind, hat dieser Partnerschaft sicher gut getan. Ich würde mir wünschen, dass noch andere Bundesländer diesem Beispiel folgten. Nordrhein-Westfalen hat jetzt mit der neuen Partnerschaft mit Ghana eine ähnliche Richtung eingeschlagen. Viele Bundesländer pflegen bereits langjährige Partnerschaften mit Regionen, die ausgebaut werden könnten.

Es geht jedoch auch um eine bessere Arbeitsteilung mit der Bundesebene. Die besonderen Stärken der Länder und Kommunen liegen auf der Hand. Sie ergeben sich aus ihrer eigenen Aufgabenstellung. Nehmen wir beispielsweise die auf Länderebene vorhandenen Erfahrungen in praktischer Gestaltung des Föderalismus. Gerade in Afrika mit seinen Vielvölkerstaaten und seinem Reichtum an Rohstoffen ist das Thema von großer Bedeutung. In Nigeria zum Beispiel kann man erfahren, wie wichtig es für Zusammenhalt und inneren Frieden des Landes ist, dass die Einnahmen aus dem Verkauf von Öl gerecht verteilt und in den Provinzen transparent und effizient verwendet werden. Deutschland hat mit Nigeria im Jahr 2007 eine Energiepartnerschaft vereinbart und steht nun in der Pflicht, diesem Bekenntnis Taten folgen zu lassen. Ich bin überzeugt, dass die Weitergabe guter Erfahrungen mit dem deutschen Föderalismus auch für Nigeria hilfreich sein kann, zum Beispiel bei der Frage, wie man eine Aufgabenverteilung in den Provinzen organisiert und mit der entsprechenden Ressourcenzuordnung koordiniert. Hier könnten Ministerpräsidenten und Fachleute aus den Bundesländern wichtige Unterstützung leisten.

Der bereits erwähnte Beschluss der Regierungschefs der Bundesländer aus dem letzten Jahr richtet besonderes Augenmerk auf die Rolle der Kommunen für Partnerschaften mit Entwicklungsländern. Auch das finde ich zielführend! Denn wir wissen, dass das Wachstum der Städte des Südens eine besondere Problematik der Globalisierung ist, ihre kommunalen Strukturen für diese Herausforderungen aber nicht gerüstet sind. Ich glaube, dass noch mehr getan werden kann, um den Austausch von Know-How und Erfahrungen zwischen Kommunen zu fördern.

Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Aufgabe, die Globalisierung zu gestalten, und der Aufgabe der Integration zu Hause. Herr Minister Laschet, Sie haben diesen Zusammenhang erkannt und bringen ihn in Nordrhein-Westfalen voran.

Wir stellen fest, dass immer mehr Menschen, die bei uns leben und afrikanische Wurzeln haben, hochqualifiziert sind. Wir können ihr Wissen, ihre Erfahrung und ihren Einsatz in Deutschland gut brauchen. Ich freue mich darüber, dass sie inzwischen auch in unseren politischen Parteien mitarbeiten oder dass sie zum Beispiel als Integrationsbeauftragte auf kommunaler Ebene tätig sind. Das hilft bei der Integrationsaufgabe und trägt auch dazu bei, neue Brücken zwischen Deutschland und Afrika zu bauen.

Brücken sollten in beide Richtungen offen sein. Ich höre immer wieder gerade von lernbegierigen jungen Afrikanern, dass es zu wenige Möglichkeiten für sie gibt, ihr Wissen und ihre Erfahrungen in Europa zu vertiefen. Hier hat sich in den letzten Jahren in Deutschland durchaus bereits einiges getan. Ich möchte nur die Initiative der deutschen Wirtschaft "Afrika kommt!", das Austauschprogramm "Go Africa Go Germany" der Bundeszentrale für Politische Bildung sowie die Stipendienprogramme der Bucerius Law School und der Hertie School of Governance nennen. Doch wir brauchen noch viel mehr Begegnung und Ausbildungsmöglichkeiten. Ich denke, Deutschland sollte sich für die Gründung eines großen europäisch-afrikanischen Jugendwerkes einsetzen. Auch hierfür wäre kraftvolle Unterstützung durch die Länder und Kommunen von großer Bedeutung.

Wissenschaft und Forschung gehören zu den besonderen Kompetenzen der Bundesländer. Sie arbeiten bereits mit vielen Industrie- und Schwellenländern in diesen Bereichen zusammen. Partnerschaften mit afrikanischen Ländern haben da noch Seltenheitswert. Ich denke dabei nicht an reine Hilfsprojekte. Der weltbekannte Astrophysiker Stephen Hawking sucht nach eigenem Bekunden die zukünftigen jungen Einsteins längst auch in Afrika. Wir brauchen das Mitmachen, die Kreativität und das Wissen auch Afrikas, wenn wir die globalen Entwicklungsprobleme wie die Bewältigung des Klimawandels, den Umgang mit Migration, die Nutzung natürlicher Ressourcen oder die Bekämpfung von Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose und Aids lösen wollen. Das muss mit Afrika geschehen. Wir brauchen mehr Partnerschaften zwischen Universitäten, Möglichkeiten zum Austausch zwischen Wissenschaftlern und gemeinsame Forschungsprogramme.

Deshalb halte ich es für falsch, dass in Deutschland immer mehr Lehrstühle für Entwicklungsländerforschung und Regionalwissenschaften abgebaut werden. Das gilt besonders auch für die deutsche Afrikawissenschaft.

Überzeugungskraft entsteht aus praktischem Handeln. Projekte aus der Mitte der Bürgergesellschaft machen Entwicklungspolitik am besten konkret erfahrbar. Es geht dabei aber nicht nur darum, zu zeigen, wie Entwicklungsarbeit vor Ort aussieht. Wir sollten auch deutlich machen, was sich bei uns ändern muss, wenn wir die Globalisierung gerechter gestalten wollen. Denn noch immer gibt es auch in unserer Politik zu viele Doppelstandards. Agrarsubventionen oder der Fischfang der Industrieländer vor den afrikanischen Küsten zum Beispiel gefährden dort Lebensgrundlagen der Menschen. Noch immer ist es nicht gelungen, Handels-, Agrar-, und Entwicklungspolitik befriedigend aufeinander abzustimmen.

Auch die Länder und Kommunen können etwas tun, damit unsere Politik glaubwürdiger wird. Sie könnten bei der Beschaffung mit gutem Beispiel voran gehen und in fair produzierte und gehandelte Produkte investieren. Wenn zum Beispiel darauf geachtet wird, dass die Fenster bei der Rathaus-Renovierung aus zertifiziertem Holz gefertigt sind oder bei der Herstellung von Dienstbekleidung aus Entwicklungsländern soziale Mindeststandards eingehalten wurden, dann kann das durchaus Signalwirkung entfalten. Ich höre, Saarbrücken hat sich in diesem Jahr als erste deutsche Stadt für den Titel "Stadt des fairen Handels" qualifiziert, der weltweit bereits an 600 Städte vergeben wurde, und die Bürgerinnen und Bürger sind mit Recht stolz darauf. Das findet hoffentlich in Deutschland viele Nachahmer.

Kompetenzen und Kräfte bündeln: das könnte auch heißen, auf den schon bestehenden Partnerschaften zwischen europäischen Städten und Kommunen aufzubauen und sie mit einer afrikanischen Stadt zu einem Dreieck zu erweitern. Die Städtepartnerschaft meiner Heimatstadt Ludwigsburg mit Montbéliard in Frankreich und der Gemeinde Kongoussi in Burkina Faso ist ein gutes Beispiel dafür. Dass sich eine über Jahrzehnte gewachsene deutsch-französische Partnerschaft, die in besonderer Weise für die Versöhnung zwischen zwei Völkern steht, um eine afrikanische Gemeinde erweitert, ist ein starkes Symbol. Ich kann mir noch mehr beispielgebende Führung durch deutsch-französische Zusammenarbeit in der Entwicklungspolitik vorstellen.

Wir müssen uns etwas vornehmen, mit Ehrgeiz, Glaubwürdigkeit, offenen Augen und Ohren: Jeder kann etwas beitragen, um der Vision von der Einen friedlichen und lebenswerten - Welt näher zu kommen, auch und gerade in den kleinen Lebenskreisen und durch lokale Initiativen. Ein bekanntes südafrikanisches Sprichwort sagt: "Viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, werden das Antlitz dieser Welt verändern." Beteiligen wir uns aktiv daran.


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Quelle:
Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler zur Eröffnung der zweiten
Bonner Konferenz für Entwicklungspolitik am 27. August 2009 in Bonn
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2009