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REDE/839: Merkel auf der Abschlußveranstaltung des Petersburger Dialogs, 15.07.2010 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel auf der Abschlussveranstaltung des Petersburger Dialogs am 15. Juli 2010 in Jekaterinburg:


Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Dmitri,
sehr geehrter, lieber Lothar de Maizière,
meine Damen und Herren,

ich freue mich auch, heute hier zu sein. Sie sehen - ich sage das an das Jugendparlament gerichtet: Auch wir machen uns über die Zukunft Gedanken. Denken Sie nicht, dass wir dabei nicht mehr mitgestalten wollen. Aber wir freuen uns natürlich darüber, dass vor allem Sie noch eine längere Lebenszeit vor sich haben werden.

Ich möchte Ihnen auch von meiner Seite aus zu zehn Jahren Petersburger Dialog gratulieren. Ich begleite ihn schon einige Jahre und merke, dass die Atmosphäre sehr viel lebendiger geworden ist, dass man sich besser kennen gelernt hat, dass man freier miteinander diskutiert und dass man einige Hemmungen und Formalismen, die es am Anfang vielleicht noch mehr gab, überwunden hat.

Ich glaube, dass es einen fast unauflöslichen Zusammenhang zwischen den Modernisierungsanstrengungen in der Wirtschaftspolitik, über die wir heute mit den Wirtschaftsvertretern gesprochen haben, und sozusagen der Demokratisierung der Zivilgesellschaft gibt, weil eine gute wirtschaftliche Entwicklung in unseren beiden Ländern letztlich ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit von möglichst vielen Bürgerinnen und Bürgern voraussetzt. Die Fragen "Wie kann ich für mein Leben Verantwortung übernehmen? Traue ich mir zu, dass ich etwas bewege, etwas in Gang bringe, an etwas denke, an das vor mir noch keiner gedacht hat, und dass ich dafür dann auch eine Umsetzung finde?" sind eigentlich das, was Gesellschaften vorantreibt und was, wie wir es nach dem Ende des Kalten Krieges kennen gelernt haben - ich in der Bundesrepublik Deutschland und Sie in der Russischen Föderation -, das Leben heute reichhaltiger und besser, natürlich aber auch zum Teil kontroverser macht, woran wir alle arbeiten müssen. Ich glaube, eine wirklich auf breite Füße gestellte mittelständische Wirtschaft bedarf eben auch einer emanzipierten Zivilgesellschaft. Deshalb war die Idee, einen solchen Petersburger Dialog zu gründen, eine sehr gute.

Es ist auch gut, dass die Themenvielfalt überraschend breit gestreut ist. Ich habe eben zum Präsidenten gesagt: Gibt es eigentlich etwas, womit sich der Petersburger Dialog nicht beschäftigt? - Das scheint fast ausgeschlossen zu sein. Falls Sie also einmal die Breite nicht mehr überblicken, könnten Sie sich auch wieder auf etwas konzentrieren; und wir werden trotzdem noch zufrieden sein.

Es gibt wirklich auch sehr interessante Projekte wie etwa die Gründung des Jugendparlaments. Ich glaube, das zeigt uns, dass unsere Jugendlichen doch sehr eng zusammenwachsen. Ich möchte ausdrücklich sagen, dass wir uns das Thema des Austauschs von Auszubildenden - also nicht nur der akademischen Jugend, sondern auch derjenigen, die einen Ausbildungsberuf erlernen - noch einmal anschauen sollten. Wir haben in unserer Delegation heute den Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Wir können auch einmal mit den Wirtschaftsvertretern und den Gewerkschaften darüber reden, wie wir den Jugendaustausch noch besser hinbekommen.

Ich habe auch verstanden, dass gerade die Visumsfrage eine Frage ist, die unsere Kontakte in vielen Bereichen doch noch sehr lähmt. Wir werden uns auch dieses Themas wieder annehmen. An dieser Stelle sagt Dmitri Medwedew immer zu mir, dass er niemanden beauftragt hat, das Thema anzusprechen, sondern dass es von ganz alleine aufkommt.

Ich glaube, dass die Zusammenarbeit im Bereich des Journalismus auch eine sehr interessante und spannende ist und dass wir hier sozusagen einer technischen Revolution begegnen, die die Meinungsbildung und die Vielfalt der Meinungsäußerungen in unserer Zeit völlig verändern wird. Es ist wohl nicht übertrieben, wenn man sagt, dass das Internet letztlich eine solche Revolution ist, wie es die Erfindung der Buchdruckerkunst einmal war. Wir werden gemeinsam vor neue Herausforderungen gestellt, weil wir nicht nur eine Vielzahl an Informationen haben. In den Blogs und Interneteintragungen besteht heute auch überhaupt keine Gewichtung hinsichtlich dessen, was sozusagen eine valide Meinungsäußerung ist und was der Wahrheit vielleicht nur halbwegs entspricht. Unsere jungen Menschen und wir alle werden völlig neu lernen müssen, Informationen zu bewerten und darin sozusagen auch wieder Zusammenhänge erkennen zu können.

Ich finde das Projekt der Erarbeitung eines gemeinsamen Geschichtsbuchs absolut spannend und halte es für ein sehr wichtiges Projekt. Ich werde mich auch informieren lassen, wie das vorangeht. Wenn man nämlich gemeinsam Geschichte schreiben kann, dann hat man sehr viel in Bezug darauf geschafft, keine Vorurteile mehr zu haben, sondern sich gegenseitig besser zu verstehen. Geschichte gemeinsam zu schreiben, bedeutet letztlich auch, mit Vorurteilen über die anderen aufzuräumen. Deshalb ist ein solches Projekt von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

Als wir uns voriges Jahr in München getroffen haben, wurde in der Tat auf den Tag genau der Mord an Natalia Estemirowa verübt. Deshalb haben wir auch darüber gesprochen, dass es für eine Zivilgesellschaft sehr wichtig und unabdingbar ist, dass Menschen, die Menschenrechte beschneiden, auch einer gerechten Strafte zugeführt werden. Ich glaube, das ist auch deshalb von so großer Bedeutung, weil es letztlich anderen Menschen wieder Mut macht, die eigene Meinung zu sagen, weil der Rechtsstaat funktioniert. Deshalb wird es auch wichtig sein, an dieser Stelle weiter an der Aufklärung zu arbeiten. Wir begrüßen auch außerordentlich, dass der Präsident den Rat zur Unterstützung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte wieder eingerichtet hat.

Ich glaube, dass dieser Petersburger Dialog auch durch die Tatsache, dass er jetzt im Lande - nicht nur in Petersburg, sondern auch heute hier in Jekaterinburg - tagt, ein ganz wichtiger Beitrag dazu ist, dass unsere politischen Beziehungen auf breite Füße gestellt werden und dass wir eine Resonanz in Bezug auf das bekommen, was in den Gesellschaften gedacht wird.

Deshalb sage ich ganz einfach: Auf weitere gute zehn Jahre Petersburger Dialog. Ich habe meinerseits noch nicht abschließend meine Bereitschaft erklärt, nach der aktiven politischen Tätigkeit hier jemandem den Job streitig zu machen. Aber immerhin ist das Gremium so interessant, um sich darüber schon einmal Gedanken zu machen. Alles Gute und weiterhin viel Freude an Ihrer Arbeit.


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Quelle:
Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel auf der
Abschlussveranstaltung des Petersburger Dialogs
am 15. Juli 2010 in Jekaterinburg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2010