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REDE/873: Minister zu Guttenberg zum Wehrrechtsänderungsgesetz, 24.02.11 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Verteidigung, Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, zum Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag am 24. Februar 2011 in Berlin:


Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Mit dem Gesetzentwurf über die Aussetzung der Verpflichtung zum Grundwehrdienst steht nunmehr einer der Kernpunkte der Neuausrichtung der Bundeswehr auf der Tagesordnung der heutigen Debatte.

Wir nehmen mit der Einführung eines Freiwilligenwehrdienstes Abschied von der Verpflichtung zum Grundwehrdienst. Wir nutzen diese Gelegenheit auch, um den vielen Grundwehrdienstleistenden der letzten Jahrzehnte Dank zu sagen. Es waren Millionen, die in diesem Sinne auch eine besondere Verpflichtung für unser Land zum Ausdruck gebracht haben.

Die allgemeine Wehrpflicht war in der über 50-jährigen Geschichte der Bundeswehr zu ihrer Zeit die richtige Wehrform. Darauf darf man auch immer wieder hinweisen. Die Zusammensetzung unserer Streitkräfte aus Berufs- und Zeitsoldaten, Grundwehrdienstleistenden und zusätzlich freiwillig Wehrdienstleistenden sowie Reservisten hat entscheidend zur erfolgreichen Erfüllung des Auftrages der Bundeswehr und zu ihrem hohen Ansehen beigetragen.

Ich persönlich bin immer ein grundsätzlicher Befürworter der allgemeinen Wehrpflicht gewesen. Das ist bekannt. Die Änderung der Wehrform war für mich niemals Selbstzweck, und sie ist mir - wie vielen von uns in diesem Hause - außerordentlich schwergefallen. Aber die Untersuchungen des letzten Jahres, die Analysen, die wir angestellt haben, der Bericht des Generalinspekteurs und der Bericht der Strukturkommission unter Leitung von Herrn Weise haben in Verbindung mit längeren, sehr ernsthaften, intensiven Diskussionen und Debatten ein eindeutiges Ergebnis gebracht: Die Verpflichtung zum Grundwehrdienst ist heute sicherheitspolitisch nicht mehr begründbar. Auch für mich hat das letztendlich ein Umdenken bedeutet - aber ein Umdenken, aus dem auch eine Perspektive erwachsen sollte.

Der letztlich entscheidende Maßstab für die Bundeswehr muss die Fähigkeit zum Einsatz im Rahmen des gegebenen Auftragsspektrums sein. In diesem Gesamtkontext steht auch der heute vorliegende Gesetzentwurf. Die Bundeswehr hat, wie wir wissen, mit den aktuellen Einsatzverpflichtungen in vielen Bereichen bereits ihre Leistungsgrenze erreicht. Darüber hinaus entsprechen ihre Strukturen nicht mehr den Anforderungen, die an den heutigen Einsatz und die künftigen Einsätze anzulegen sind.

Eine Neuausrichtung mit Blick auf eine stärkere Einsatzorientierung war und ist daher unabdingbar. Wir brauchen deswegen heute keine unverhältnismäßig hohe Zahl von Soldaten mehr, sondern hochprofessionelle Streitkräfte, die über weite Distanzen für schwierige Einsätze schnell verlegt und für Risikoszenarien nachhaltig eingesetzt werden können.

Die Bundeswehr ist heute eine Armee im Einsatz. Erst vor wenigen Tagen haben wir einmal mehr auf erschütternde Weise feststellen müssen, was es bedeutet oder bedeuten kann, Armee im Einsatz zu sein. Ich glaube, unser aller Gedanken und auch Gebete sind heute bei den gefallenen Soldaten von letzter Woche. Wir denken an die zehn Verwundeten und hoffen auf ihre baldige Genesung. Sicher ist: Es wird niemals risikofreie Einsätze geben und geben können. Aber es bleibt unsere dauerhafte Verpflichtung, alles, wirklich alles zu tun, um die Gefahren und Risiken für unsere Soldatinnen und Soldaten auf ein Mindestmaß zurückzuführen, und alles zu tun, um bei Ausbildung, Ausrüstung und Schutzmaßnahmen, die zu ergreifen sind, unserer Verantwortung gerecht zu werden: Wir müssen unsere Soldaten bestens gesichert und für ihre Aufgaben auch ausgebildet in den Einsatz schicken. Die Bedingungen, die wir gerade für das Letztgenannte zu schaffen haben, müssen wir noch intensiver betrachten. Dazu gehören Laufbahn- und Personalstrukturen sowie bestmögliche soziale, aber eben auch materielle Bedingungen. Gerade Letztere haben eine bedeutende Auswirkung auf die Sicherstellung der Motivation unserer Soldatinnen und Soldaten - und damit indirekt auch auf die Fähigkeit, im Einsatz bestehen zu können.

Unter den gegebenen finanziellen Bedingungen liegt hierin eine erhebliche Herausforderung. Auch wir müssen sparen und einen Beitrag zum Sparen erbringen; wir müssen unsere Bundeswehr gleichzeitig aber auch zukunftsfest aufstellen, damit sie eine Perspektive entwickeln kann. Wir müssen hier noch weiter freundschaftlich und intensiv auch innerhalb der Bundesregierung verhandeln, damit wir die Bundeswehr entsprechend aufstellen können.

Bei einem geringeren Gesamtumfang der Streitkräfte würde die Ausbildung und Betreuung von Grundwehrdienstleistenden zu viele Berufs- und Zeitsoldaten binden. Das war einer der Gründe, weshalb wir gesagt haben: Wir können künftig den Grundwehrdienst nicht mehr so wie ursprünglich aufrechthalten. Die weiteren Gründe haben wir ausgiebig und intensiv diskutiert. Es würde heute zu weit führen, darauf noch einmal hinzuweisen.

Es war nach alledem folgerichtig, dass die Bundesregierung zeitgleich mit ihrem Eckpunktebeschluss zur Neuausrichtung der Bundeswehr am 15. Dezember des vergangenen Jahres die Gesetzesnovelle zum Wehrpflichtgesetz auf den Weg gebracht hat. Die Pflicht zum Grundwehrdienst soll zum 1. Juli 2011 ausgesetzt werden; das ist der derzeitige Plan. Die letzten verpflichtend grundwehrdienstleistenden Soldaten wurden am 3. Januar dieses Jahres eingezogen.

An die Stelle des Grundwehrdienstes tritt ein neuer, ein freiwilliger Wehrdienst von zwölf bis 23 Monaten für junge Frauen und Männer. Weder die verfassungsrechtliche noch die einfachgesetzliche Grundlage der Wehrpflicht wird aber gänzlich abgeschafft. Ich halte es weiterhin für geboten und richtig, dass wir die verfassungsrechtliche Grundlage der Wehrpflicht erhalten haben und weiter erhalten; das ist mit Blick auf Szenarien, die wir heute sicher noch nicht ganz absehen können, eine richtige und kluge Entscheidung. Wir wollen Bewährtes erhalten, auch als Rückversicherung. Im Kern wird also lediglich die Verpflichtung zum Grundwehrdienst ausgesetzt.

Ich bin mir völlig im Klaren darüber, dass die Gewinnung von Freiwilligen angesichts der Konkurrenz mit anderen Arbeitgebern um qualifiziertes Personal wahrscheinlich eine der größten Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft darstellt. Gerade bei den Laufbahnen der Mannschaften muss hier ein Schwerpunkt liegen; hierauf hat der Inspekteur des Heeres zu Recht hingewiesen. Wir nehmen diese Herausforderung mit aller Kraft an.

Es geht jetzt darum, auch mit diesem Gesetz die geeigneten Instrumente zu schaffen und sich darüber hinaus mit viel Kreativität dem Wettbewerb zu stellen. Bereits mit dem Wehrrechtsänderungsgesetz ist vorgesehen, dass junge Menschen mit Informationsmaterial über einen Freiwilligendienst in der Bundeswehr versorgt werden und eine ausführliche Beratung über Dienstmöglichkeiten in der Bundeswehr erhalten können. Wir müssen uns auch hier öffnen, neue Wege beschreiten und insbesondere die neuen Medien im Blick haben, also die heutigen Formen, junge Menschen anzusprechen, tatsächlich nutzen.

Der deutlich verbesserte Wehrsold für diejenigen, die den freiwilligen Wehrdienst leisten, sowie die Verpflichtungsprämien sind zusätzliche starke Signale an potenzielle Interessenten. Hinzu kommen bessere Unterbringungsstandards für Mannschaften, eine nach Möglichkeit heimatnahe Verwendung, die Fortgeltung der Steuerfreiheit der Geld- und Sachbezüge, der kostenlosen Familienheimfahrten sowie der Regelungen des Arbeitsplatzschutzgesetzes. Aus dem Parlament, vom BundeswehrVerband und vom Wehrbeauftragten kamen viele Hinweise. Das sind Punkte, auf die wir viel Wert legen und die die künftige Gestaltung der Bundeswehr bestimmen müssen. Sie bilden natürlich auch den Rahmen dafür, wie wir uns künftig finanziell aufstellen können.

Darüber hinaus sind Attraktivitätsmaßnahmen geplant, insbesondere die Erweiterung der Möglichkeit, im Rahmen der Berufsförderung an Aus-, Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen teilzunehmen. Die Attraktivität ist - über die Sicherung des Nachwuchses bei den Mannschaftsdienstgraden hinaus - insgesamt der Schlüssel zur künftigen personellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Zu Beginn dieses Jahres wurde deshalb ein Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr erlassen, das alle Soldatinnen und Soldaten - ich betone: alle - betrifft. Hierüber wurde der Verteidigungsausschuss informiert. Dieses Maßnahmenpaket enthält über 80 grundsätzlich mögliche Maßnahmen, die jetzt alle auf ihre Realisierbarkeit hin geprüft werden. Nicht alles wird und soll kommen; das darf ich an dieser Stelle sagen. Entscheidend sind im Einzelfall kurzfristig greifende Maßnahmen, um den Dienst in der Bundeswehr attraktiver zu machen. Die eine oder andere Idee ist nach einer Überprüfung bereits verworfen worden, aber es bleiben viele, die wir umzusetzen haben.

Neben der Einrichtung von Eltern-Kind-Arbeitszimmern an 200 Standorten planen wir die Flexibilisierung und Verlängerung von Regelverpflichtungszeiten, die verstärkte Besetzung ziviler Dienstposten mit ausscheidenden Soldaten auf Zeit, mehr Möglichkeiten des Wohnens in Gemeinschaftsunterkünften, die Erhöhung von Zulagen und Ausgleichssätzen für mehrgeleisteten Dienst und eine angemessenere Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für dienstlich veranlasste Umzüge. Für einige dieser Maßnahmen brauchen wir gesetzliche Regelungen, um deren Unterstützung ich gerne bitten und werben will.

Heute bitte ich Sie um Zustimmung zu dem vorliegenden Entwurf des Wehrrechtsänderungsgesetzes. Je schneller wir in der Lage sind, die im Gesetz enthaltenen Maßnahmen umzusetzen, umso schneller können wir dringend benötigte Freiwillige in die Streitkräfte einstellen und die im Entwurf enthaltenen Attraktivitätsmaßnahmen wie den erhöhten Wehrsold und die Verpflichtungsprämien endgültig umsetzen. Mit Ihrer Zustimmung leisten Sie alle einen entscheidenden Beitrag zur erfolgreichen Neuausrichtung unserer Bundeswehr, zur Gewährleistung ihrer Einsatzfähigkeit und damit zu unserer Sicherheit. Wir können bei der Neuausrichtung der Bundeswehr einen wichtigen, großen Schritt vorangehen, gerade mit Blick auf die Attraktivität des Dienstes, die unsere Soldaten mehr als verdient haben.


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Quelle:
Bulletin Nr. 20-1 vom 24.02.2011
Rede des Bundesministers der Verteidigung,
Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, zum Wehrrechtsänderungsgesetz
2011 vor dem Deutschen Bundestag am 24. Februar 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2011