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REDE/879: Thomas de Maizière zum Entwurf des Wehränderungsgesetzes 2011, 24.03.2011 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, zum Entwurf des Wehränderungsgesetzes 2011 vor dem Deutschen Bundestag am 24. März 2011 in Berlin:


Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mit dem Wehrrechtsänderungsgesetz, das heute abschließend beraten wird, setzen wir die Verpflichtung zum Grundwehrdienst zum 1. Juli dieses Jahres aus. Zugleich führen wir einen freiwilligen Wehrdienst ein. Beides sind zentrale Elemente auf dem Weg zur Neuausrichtung der Bundeswehr. Ich wiederhole: Wir reden nicht nur über die Aussetzung der Wehrpflicht, wir reden gleichzeitig über die Einführung eines neuen freiwilligen Wehrdienstes.

Unser Land braucht Streitkräfte, die modern, leistungsstark, wirksam, international geachtet und im Bündnis verankert sowie nachhaltig finanzierbar sind. Unser Land braucht Streitkräfte, die auf die gegenwärtige Situation reagieren können und ausreichend vorbereitet und flexibel sind, sich an neue Herausforderungen anzupassen.

Das ist der Grund, warum eine Neuausrichtung der Bundeswehr erforderlich ist. Ich habe bei meinem Amtsantritt - dieser war erst vor drei Wochen - gesagt, dass ich mir die Zeit nehme, die ich brauche. Das heißt nicht, dass ich Entscheidungen auf die lange Bank schiebe oder schieben kann. Bis Juni dieses Jahres möchte ich die grundlegenden Festlegungen über die Zahl der Soldaten, über das Fähigkeitsprofil und über die groben Strukturen der Bundeswehr treffen. Auch die Entscheidung über das Ministerium und die Entscheidung über die zivile Wehrverwaltung gehören dazu. Alle diese Entscheidungen müssen in einem Zusammenhang getroffen, in einem Zusammenhang begründet und in einem Zusammenhang umgesetzt werden. Das habe ich vor. Die Entscheidung, die Verpflichtung zum Grundwehrdienst auszusetzen, ist richtig, und sie ist nicht mehr infrage zu stellen.

Eine Wehrpflichtarmee lässt sich erstens sicherheitspolitisch nicht mehr begründen, und sie ist zweitens militärisch nicht mehr erforderlich. Eine umfassende Wehrgerechtigkeit wäre drittens auch nicht mehr gewährleistet. Es gibt keinen Weg zurück. Ich sage das nicht mit Freude. Denn die Aussetzung der Wehrpflicht heute ist kein Freudenakt. Es ist eine notwendige, aber mich nicht fröhlich stimmende Entscheidung.

Entscheidend sind heute nicht mehr hohe Zahlen von Soldaten, sondern professionelle Streitkräfte, die unter schwierigen und anspruchsvollen Bedingungen rasch und erfolgreich im Inland und im Ausland im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grundlagen zum Einsatz gebracht werden können.

Mit dem Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, tritt an die Stelle des verpflichtenden Grundwehrdienstes ein neuer freiwilliger Wehrdienst von 12 bis 23 Monaten für junge Frauen und Männer. Weder die verfassungsrechtliche noch die einfachgesetzliche Grundlage der Wehrpflicht werden gänzlich abgeschafft. Nicht zuletzt ist dies eine Rückversicherung mit Blick auf die sich in der Zukunft möglicherweise ändernden sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen.

Mit dem freiwilligen Wehrdienst verdeutlichen wir zugleich, dass junge Frauen und Männer Dienst in der Bundeswehr im Sinne eines staatsbürgerlichen Engagements leisten können, ohne sich gleich länger als Soldat auf Zeit verpflichten zu müssen. Das ist ganz ohne Frage ein Einschnitt. Niemand kann Ihnen heute mit Sicherheit sagen, wie viele Freiwillige am 1. Juli zu uns kommen werden.

Es gibt viele Spekulationen über die Zahlen; dabei wird hinsichtlich der Kurzzeitfreiwilligen und Grundwehrdienstleistenden viel durcheinandergeworfen. Ich kann das nicht im Einzelnen bewerten. Ich finde es nicht verwunderlich, dass es keine klare Auskunft über die Zahlen gibt; schließlich verabschieden wir erst heute diesen Gesetzentwurf. Ich werde keine Zahl nennen, wie viele wohl am 1. Juli den neuen freiwilligen Wehrdienst antreten werden. Ich freue mich über jede und über jeden, der oder die kommt.

Die Frage, ob dieses Gesetz ein Erfolg wird, entscheidet sich erst im Laufe der Jahre, nicht im ersten Quartal dieses Jahres.

Ich halte es für selbstverständlich, dass gesetzgeberische Entscheidungen - auch diese - auf ihre Praktikabilität und gesellschaftliche Akzeptanz überprüft werden. Ich schlage Ihnen deshalb vor, dass wir schon nach dem ersten Jahr eine Evaluierung dieses Gesetzes und des freiwilligen Wehrdienstes durchführen. Dazu werde ich dem Deutschen Bundestag gern einen Bericht vorlegen. Dann können wir sehen, welche Erfahrungen wir damit gemacht haben und wo wir im Einzelnen nachsteuern müssen.

Wir setzen natürlich verstärkt auf Nachwuchswerbung. Wir müssen sicherstellen, dass wir die Besten und die Fähigsten für den neuen freiwilligen Wehrdienst gewinnen, und zwar solche Frauen und Männer, die als Soldaten auch eine ethische Verpflichtung empfinden; ich komme gleich darauf zurück.

Deswegen - aber nicht nur deswegen - auch ein Wort an die jungen Frauen. Bisher haben wir um junge Frauen als länger dienende Zeitsoldaten geworben, nicht als Grundwehrdienstleistende. Das wird sich jetzt ändern. Es ist nicht nur aus Gründen der Demografie und eines Ergänzungsbedarfs, sondern es liegt auch im Sinne der Streitkräfte, dass wir mit dieser tollen Generation junger Frauen so umgehen und um sie so werben, dass wir viele von ihnen für die Streitkräfte gewinnen. Ich würde mich freuen, wenn Sie alle dabei mithelfen.

Der deutlich verbesserte Wehrsold für den freiwilligen Wehrdienst und die Verpflichtungsprämien für Soldaten auf Zeit senden starke Signale. Ich freue mich sehr über den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen, der vorsieht, dass man bestimmte Zahlungen wegen der längeren Beratungsfrist des Bundesrates schon vor Inkrafttreten des Gesetzes leisten kann. Das wäre für uns eine gute Grundlage, um kurzfristig zu handeln.

Wir streben bessere Unterbringungsstandards für Mannschaften und nach Möglichkeit heimatnahe Verwendungen an. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Fortgeltung der Steuerfreiheit der Geld- und Sachbezüge, der kostenlosen Familienheimfahrten sowie der Regelungen des Arbeitsplatzschutzgesetzes, all das sind weitere Elemente einer attraktiven Ausgestaltung des freiwilligen Wehrdienstes.

Darüber hinaus wollen wir im Rahmen der Berufsförderung die Möglichkeiten der Teilnahme an Aus-, Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen erweitern.

Ich möchte einen Satz aus dem Entschließungsantrag der SPD vortragen, den ich mir gerne zu eigen machen möchte:

"Wer freiwillig Wehrdienst leistet, muss besser gestellt werden als derjenige, der keinen Freiwilligendienst versieht."

Damit bin ich voll einverstanden. Ich werde Sie daran erinnern. Wenn wir mit SPD-Wissenschaftsministern über Wartezeiten und Ähnliches reden, dann hoffe ich auf Ihre Unterstützung. - Vielen Dank.

Nur wenn wir den Dienst attraktiv ausgestalten, sichern wir die personelle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Das alles ist notwendig und unverzichtbar. Aber - das soll im Rahmen dieser Rede mein letzter Gedanke sein - neben den rein materiellen Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität darf ein Aspekt nicht vernachlässigt werden: Jeder, der sich für einen Dienst in den Streitkräften entscheidet, ob als freiwillig Wehrdienstleistender beziehungsweise als Berufs- oder als Zeitsoldat, muss Anerkennung für seinen freiwilligen Dienst erfahren. Wer ausschließlich wegen des Geldes zur Bundeswehr kommt, ist vielleicht genau derjenige, den wir nicht haben wollen.

Ausschließlich mit finanziellen Anreizen und Vergünstigungen werden wir den freiwilligen Wehrdienst nicht lebensfähig erhalten und der Bundeswehr nicht helfen. Ein Soldat muss sich darauf verlassen können, dass sein Dienst als das angesehen und geachtet wird, was er ist: als ein Dienst an unserer Gesellschaft, als ein ehrenvoller Dienst für unser Land, auf den der Soldat stolz ist und auf den unser Land stolz ist.

Wenn es gelingt, dafür ein größeres Bewusstsein zu schaffen - das geht mit keiner Werbekampagne und auch nicht über Nacht, sondern nur im Rahmen eines Prozesses, den wir in unserer Gesellschaft anstoßen müssen - und sichtbar zu machen, was Soldaten heute und morgen für unser Land leisten, dann können wir zuversichtlich sein, dass auch künftig der Dienst in der Bundeswehr, auch der freiwillige Wehrdienst in der Bundeswehr, zum Wohle und Nutzen von uns allen ist. Ich bitte Sie auf diesem Weg herzlich um Unterstützung.


*


Quelle:
Bulletin Nr. 32-3 vom 24.03.2011
Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière,
zum Entwurf des Wehränderungsgesetzes 2011 vor dem Deutschen Bundestag
am 24. März 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2011