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REDE/892: Minister de Maizière zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag, 07.09.11 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag am 7. September 2011 in Berlin:


Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Viele von uns waren in den letzten Wochen unterwegs - in den Standorten, in den Kasernen, in den Einsatzgebieten - und haben mit den Soldaten gesprochen. Das gilt auch für mich. Es waren gute und offene Gespräche.

Mir wurde dabei deutlich: Die Bundeswehr besteht aus hochmotivierten, von ihren Aufgaben überzeugten Soldaten und zivilen Mitarbeitern. Sie leisten ihren Dienst mit großem Engagement. Wir alle können uns auf sie verlassen, und wir können stolz auf sie sein.

Es kommen aber auch berechtigte Fragen auf; die werden wir gleich diskutieren. Wie ist es mit der Ausgestaltung ihres Dienstes in Zukunft? Wie ist es mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Wann fallen die insbesondere sie betreffenden Entscheidungen? Und immer wieder: Wie ist es mit der einsatzgerechten Ausrüstung und Ausstattung? Eine Antwort auf all diese Fragen ist die Neuausrichtung der Bundeswehr.

Deutschland benötigt einsatzbereite und einsatzfähige Streitkräfte, die in Qualität von Ausstattung und Ausbildung dem internationalen Stellenwert und Gewicht unseres Landes entsprechen. Dabei dürfen sich die Streitkräfte und die Öffentlichkeit nicht statisch auf jetzt aktuelle Einsatzszenarien festlegen. Afghanistan kann, muss aber keineswegs Vorbild für künftige Einsätze sein. Nur ein breites militärisches Fähigkeitsprofil bietet verschiedene Optionen, um den Anforderungen von heute und morgen gerecht zu werden.

Das heißt keineswegs, dass zwangsläufig mehr deutsche Soldaten in Auslandseinsätze entsandt werden. Ich sage gerade auch angesichts der aktuellen Debatten ganz offen: Wir werden stets souverän entscheiden, woran wir uns beteiligen und woran nicht. Dabei ist unsere Bündnisverpflichtung ein entscheidender Maßstab. Ich füge hinzu: Im Zweifel ist sie der entscheidende Maßstab. Wir werden ebenso in Übereinstimmung mit unseren Partnern entscheiden, laufende Einsätze zurückzufahren, sofern entsprechende Rahmenbedingungen gegeben sind.

Wir müssen in der Lage sein, verantwortbare und verlässliche Entscheidungen zu treffen. Dies setzt sicherheitspolitischen Handlungsspielraum voraus, der nicht zuletzt von einer hochwertigen Bundeswehr abhängt. Das, was man will, muss man auch können; was man nicht kann, sollte man auch nicht wollen.

Wie Sie wissen, habe ich im Mai grundlegende Entscheidungen zu Personalumfängen im Ministerium und im nachgeordneten Bereich getroffen; darüber haben wir anlässlich einer Regierungserklärung diskutiert. Wir arbeiten jetzt mit Hochdruck an den Einzelheiten: an den künftigen Strukturen, den Folgerungen für den Personalumbau und damit auch für die Stationierung und die notwendigen Begleitmaßnahmen.

Natürlich stelle ich genauso wie andere eine gewisse Ungeduld fest. Dafür habe ich zuallererst Verständnis. Aber es bleibt dabei: Die Entscheidungen müssen gut vorbereitet und durchdacht sein; sie müssen sich aufeinander beziehen. Deswegen fallen die Entscheidungen nach und nach im Herbst. Spätestens bis zur zweiten und dritten Lesung des Haushaltes sind alle Entscheidungen gefallen, die Stationierungsentscheidungen in der letzten Oktoberwoche.

Eine der einschneidendsten Veränderungen in der Geschichte der Bundeswehr haben wir bereits umgesetzt: Seit Juli dieses Jahres ist die Bundeswehr eine reine Freiwilligenarmee. Diese Entscheidung war - ich füge hinzu: leider - richtig. Die Zeit für die Vorbereitung auf den neuen freiwilligen Wehrdienst war knapp. Die ersten Freiwilligen sind da. Die Zahlen sind etwas besser als befürchtet. Ja, es gehen auch einige weg, aber das ist alles noch nicht besorgniserregend. Über den Erfolg dieses Konzepts entscheiden nicht der Juli 2011 und nicht der Oktober 2011, sondern erst die nächsten Jahre. Deswegen sollten wir - das ist eine herzliche Bitte an die Opposition - das Modell des freiwilligen Wehrdienstes nicht kaputtreden, sondern alles dafür tun, dass er ein Erfolg wird.

Ich möchte in diesem Zusammenhang darum bitten, nicht von einer "Berufsarmee" zu sprechen. Es wird jetzt oft gesagt: "Aus der Wehrpflichtarmee ist eine Berufsarmee geworden." Das ist falsch. Es ist eine Freiwilligenarmee. Warum? Weil das Verhältnis von Berufs- zu Zeitsoldaten jetzt ungefähr eins zu 2,5 beträgt. Das heißt, wir haben mehr als doppelt so viele Zeitsoldaten wie Berufssoldaten. Ich finde, das sollte so bleiben. Deswegen ist "Freiwilligenarmee" die richtige Bezeichnung, nicht "Berufsarmee".

Nun haben wir im Mai diskutiert. Ich erinnere mich an Wortbeiträge der Opposition, in denen gesagt wurde: "Ja, Herr Minister, das hört sich alles ganz gut an; allerdings fehlt die Finanzierungsgrundlage. Ohne Finanzierungsgrundlage ist alles heiße Luft." Ich habe dann wiederum gesagt: "Die Kritik hört sich richtig an; aber wir werden bei der Beratung des Haushalts darüber diskutieren, nicht jetzt. Dafür bitte ich um Verständnis." Das hat Sie geärgert, aber so sind die Spielregeln. Insofern freue ich mich, Ihnen heute die finanziellen Grundlagen vortragen zu können.

Der von der Bundesregierung am 6. Juli beschlossene Entwurf des Verteidigungshaushalts umfasst mit rund 31,7 Milliarden Euro eine durchaus stattliche Summe. Die gesamtstaatliche Herausforderung, die gegenwärtige Finanzkrise zu bewältigen und die Schuldenlast künftiger Generationen zu mindern, zwingt uns wie alle anderen Politikfelder auch, Prioritäten zu setzen. Das ist nicht nur für die Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion - über die wir heute diskutiert haben - von Bedeutung, sondern auch von sicherheitspolitischer Bedeutung. Im gleichen Duktus wie wir diskutieren unsere Kollegen in Großbritannien, in Frankreich und sogar in den USA.

Entscheidend ist im Übrigen nicht die Entwicklung des kommenden Jahres, sondern die Entwicklung der nächsten Jahre. Ich will Ihnen kurz ein paar Zahlen vortragen. Nach der bisherigen Finanzplanung - ich glaube, es war die 44. - wäre der Verteidigungshaushalt in den nächsten Jahren kontinuierlich abgesunken und hätte im Jahre 2015 einen Umfang von 27,6 Milliarden Euro erreicht. Merken Sie sich bitte diese Zahl. Demgegenüber sind nach der jetzt beschlossenen Finanzplanung die Verteidigungsausgaben in diesem Zeitraum um annähernd 8,6 Milliarden Euro höher. Davon fließen zwar - damit wir seriös bleiben - 3,5 Milliarden Euro an die BImA, das ist wahr, aber es verbleibt gleichwohl ein Substanzgewinn und damit ein solides Fundament für die Finanzierung unserer Bundeswehr. Gleichzeitig leisten wir mit einer moderat sinkenden Finanzlinie durchaus unseren Beitrag zur Haushaltskonsolidierung. Zielgröße bei der Finanzplanung für das Jahr 2015 sind nicht mehr 27,65 Milliarden Euro, sondern 30,4 Milliarden Euro. Ich finde, das ist eine gute Nachricht für die Bundeswehr und die Sicherheit unseres Landes.

Das ist aber noch nicht alles. Ich bin dem Finanzminister Wolfgang Schäuble und meinen Kollegen im Kabinett sehr dankbar, dass wir noch etwas Weiteres beschlossen haben, nämlich die Ausgaben für das zivile Überhangpersonal. Das klingt jetzt sehr technisch: Damit sind die Menschen gemeint, die uns wegen des Personalabbaus auch bei der Zivilverwaltung - von jetzt rund 76.000 auf 55.000 Stellen - verlassen müssen. Diese Ausgaben in Höhe von einer Milliarde Euro werden künftig außerhalb des Verteidigungshaushaltes veranschlagt. Jedenfalls bitten wir das Hohe Haus um Zustimmung. Das bedeutet, dass wir praktisch, zusätzlich zu den Zahlen, die ich eben genannt habe, jedes Jahr eine Milliarde Euro mehr zur Verfügung haben. Das ist eine noch bessere Nachricht für die Bundeswehr und die Sicherheit unseres Landes. Um Ihnen ein Beispiel zu nennen: Das führt im Jahre 2012 zu einer Erhöhung des immer Not leidenden Etats für Materialerhaltung der Bundeswehr um 200 Millionen Euro.

Bei der Neuausrichtung der Bundeswehr geht es nicht nur darum, Personal abzubauen, es geht auch nicht nur um die Gewinnung neuen Personals. Wir müssen uns genauso um diejenigen kümmern, die bleiben, mit denen wir die Zukunft bauen wollen, die Beförderungschancen brauchen und nicht das Gefühl haben sollen - wie manchmal vielleicht der Eindruck entsteht -, wir würden uns besonders um die kümmern, die kommen sollen, und um die, die gehen sollen. Unser Hauptanliegen gilt natürlich denen, die bleiben. Im Rahmen eines Reformbegleitprogramms werden deshalb Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes erarbeitet. Der Regierungsentwurf zum Haushalt 2012 sieht hierfür bereits im Vorgriff einen Betrag von rund 200 Millionen Euro vor.

Entscheidend für den Erfolg jeder Armee ist neben den Menschen die Ausrüstung. Das wissen wir. Es ist kein Geheimnis, dass die Beschaffungsprozesse bei uns erheblich verbessert werden müssen. Ich habe an anderer Stelle ausführlich darüber gesprochen. Die Verfahren dauern zu lange, Verzögerungen und Verschiebungen begründen Bindungen für Material, das unter Umständen gar nicht mehr oder nicht mehr im vorgesehenen Umfang benötigt wird. Das führt dazu, dass uns zwar 23 Prozent des Haushaltes für Investitionen zur Verfügung stehen, aber nur auf dem Papier. Fast alles ist durch Bestellungen, die in der Vergangenheit getätigt wurden, gebunden. Das ist kein Vorwurf; Bestellungen dauern lange. Aber für die Zukunft ist es eine schlechte Nachricht.

Ich habe deswegen die Erarbeitung eines Konzepts in Auftrag gegeben, wie wir mit Blick auf das neue Fähigkeitsprofil der Bundeswehr Spielräume zurückgewinnen können. Das heißt, wir werden die geplanten Rüstungsbeschaffungen unabhängig von der Frage, ob sie vertraglich gebunden sind oder nicht, priorisieren. Dann werde ich Vertreter der Rüstungsindustrie einladen und mit ihnen Folgendes besprechen:

Es gibt zwei Varianten.

Die erste Variante ist: Wir bezahlen, was bestellt ist, und stellen die Dinge, die wir nicht mehr brauchen, auf den Hof; dann können wir nichts Neues bestellen.

Die zweite Variante ist: Wir passen die Planungen an; die Mittel, die dadurch frei werden, können wir für neue Bestellungen nutzen.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir uns auf den zweiten Weg verständigen können.

Ein Wort zur Stationierung. Ich weiß, dass dieses Thema viele von Ihnen betrifft. Ich bin im Augenblick einer der gefragtesten Gesprächspartner der Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag. Ich freue mich, wenn Kollegen zu mir kommen und sagen: Bei mir ist kein Standort mehr; mit mir können Sie ganz entspannt reden. Ich möchte Folgendes sagen: Wir machen das nicht aus Jux und Tollerei. Wir machen das auch nicht unter dem Aspekt der Beliebtheit. Es spielt auch keine Rolle, wer am lautesten schreit. Wir machen das nach Kriterien. Wir machen das nach fachlichen Überlegungen. Wir machen das ganz transparent. Wir hoffen, dass am Ende jeder versteht: Diese Entscheidungen sind schmerzlich, aber nötig.

Es bleibt dabei - das muss ich leider auch den Vertretern der Länder und Kommunen sagen -: Das, was wir tun, basiert auf einer Bundesentscheidung. Wir treffen die Entscheidung nach fachlichen Überlegungen. Die Verteilung von Bundeswehrstandorten ist kein Strukturprogramm für die Länder. Ich weiß, dass das strukturelle Auswirkungen hat, dass so etwas in Überlegungen einfließt, aber das erkenntnisleitende Motiv kann nicht die Strukturpolitik für Länder und Kommunen sein, so leid mir das tut.

Ich bitte Sie um Unterstützung bei den Beratungen zu diesem Haushalt und auf dem schwierigen Weg der Neuausrichtung, auf dem wir uns befinden. Ich biete, wie bereits im Mai, auch der Opposition eine entsprechende Zusammenarbeit an. Wir brauchen eine Bundeswehr, die unserem Schutz und unserer Sicherheit dient, eine Bundeswehr, die zwar knapp, aber trotzdem solide finanziert ist, eine Bundeswehr, die fest in unserer Gesellschaft verankert und auch in Zukunft einsatzbereit ist.


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Quelle:
Bulletin Nr. 86-3 vom 07.09.2011
Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière,
zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag am 7. September 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2011