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REDE/906: Westerwelle - Beteiligung an Reaktionen auf terroristische Angriffe gegen die USA, 23.11.11 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, zur Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA vor dem Deutschen Bundestag am 23. November 2011 in Berlin:


Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege Nouripour, ich möchte zu Ihrem Beitrag von eben noch einen Nachsatz machen.

Sie haben mich zitiert und gesagt, Sie seien ein bisschen empört. Ich bitte, mich dann auch umfassend zu zitieren. Ich habe niemandem den Verstand abgesprochen, sondern ich habe gesagt: Wer ein bisschen nachdenkt und sein Herz bewegt, der wird vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die 700.000 Tonnen Lebensmittel fast ausschließlich über den Seeweg zu den Hungernden gelangt sind, zu der Entscheidung kommen müssen - aus meiner Sicht jedenfalls -, dass man diesem Mandat zustimmt.

Sie werden es mir nachsehen: Als Außenminister - auch schon vorher - bin ich sehr viel unterwegs. Ich sammle sehr viele Spendengelder. Gerade bei solchen humanitären Katastrophen - das ist mit Abstand eine der größten, die wir weltweit derzeit kennen - möchte ich denen, die spenden - auch den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland, die spenden -, sagen können: Wir tun alles dafür, dass Ihre Spendengelder in Form von Nahrungsmitteln auch wirklich bei den Betroffenen ankommen. Ich finde, das muss man einfach sehen.

Es bleibt Ihnen aber unbenommen: Nur so habe ich das gesagt, und ich habe niemandem seine andere Meinung abgesprochen. Ich bitte Sie!

Wir kommen nun zu einem weiteren Mandat, einem schwierigen Mandat; das will ich hier unumwunden auch zum Ausdruck bringen. Unter dem Eindruck der furchtbaren Terroranschläge des 11. Septembers hat der Deutsche Bundestag im November des Jahres 2001 erstmalig ein Mandat erteilt, damit sich deutsche Streitkräfte an den Einsätzen zum Schutz gegen den internationalen Terrorismus beteiligen können.

Seit dem Sommer des Jahres 2010 ist dieses auf die Operation Active Endeavour begrenzt. Viele von Ihnen bewegt die Frage - bei uns, bei Ihnen -, ob dieser Einsatz zehn Jahre nach dem 11. September nicht abgeschlossen werden kann. Für diesen Abwägungsprozess - das möchte ich hier ausdrücklich sagen - habe ich großes Verständnis. Auch ich habe mir diesen Abwägungsprozess nicht leicht gemacht und die völkerrechtliche Frage mit unseren Experten und der Völkerrechtsbeauftragten nachdrücklich erörtert. Aber ich denke, dass sich die Bundesregierung bewusst sein muss und bewusst ist, dass der Einsatz im Hause nicht unumstritten ist.

Die Notwendigkeit einer umfassenden Bekämpfung des internationalen Terrorismus bleibt aber bestehen. Sie ist weiterhin eine der zentralen Herausforderungen für die internationale Staatengemeinschaft. Das hat erst kürzlich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Resolution 1989 vom 17. Juni 2011 unzweideutig erneut zum Ausdruck gebracht. Das ist eine neue Resolution vom Sommer dieses Jahres.

Ein wichtiger Bestandteil der gemeinsamen Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft bleibt die Bereitstellung entsprechender militärischer Fähigkeiten. Die NATO-geführte Seeraumüberwachungsoperation steht für den gemeinsamen Handlungswillen der Staatengemeinschaft gegen die Bedrohung des internationalen Terrorismus. Die deutsche Beteiligung an OAE dient der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion der NATO auf die terroristischen Angriffe gegen die Vereinigten Staaten von Amerika. Das heißt, wir haben bei dem Mandat nicht nur die Geschichte, sondern selbstverständlich auch die Bündnisaspekte zu berücksichtigen.

Erst vor wenigen Wochen hat Präsident Obama einen Brief an den NATO-Generalsekretär Rasmussen geschrieben. In diesem Brief bedankt er sich im Namen des amerikanischen Volkes ausdrücklich für die Solidarität, die die NATO-Partner durch ihre Teilnahme an OAE bis heute zeigen. Auch dieser Aspekt muss mit erwogen werden, wenn man hier zu einer Entscheidung kommen möchte.

Deutschland ist ein verlässlicher Partner. Wir zeigen mit unserer Beteiligung an der Operation Solidarität im Bündnis. Ich muss Ihnen das so sagen, weil Sie alle wissen, dass wir in diesem Jahr einiges versucht und bewegt haben. Alle unsere Partner, und zwar ohne Ausnahme, halten eine Fortsetzung von Active Endeavour für erforderlich. Ich bitte Sie, dies bei Ihrer Abwägungsentscheidung mit zur Kenntnis zu nehmen.

Gemeinsam mit unseren Bündnispartnern aber überprüft die Bundesregierung, ob und wie die Operation Active Endeavour mittelfristig in ständige NATO-Operationen integriert werden kann. Ich habe bereits mehrfach meine Sympathie für diese Richtung zum Ausdruck gebracht, beim letzten Mal auch hier. Ich muss aber hinzufügen: Wir können das nicht alleine tun. Es gibt Fortschritte. Die werden Sie anerkennen. Wir brauchen den Konsens in der NATO. Um den zu erreichen, müssen wir auch mit der notwendigen Umsicht vorgehen.

Das neue Strategische Konzept der NATO definiert kollektive Verteidigung und kooperative Sicherheit als Kernaufgaben des Bündnisses. Beide Kernaufgaben werden bei OAE miteinander verbunden. Die Operation dient der kollektiven Verteidigung gemäß Artikel fünf des NATO-Vertrages; auf diesen völkerrechtlichen Zusammenhang weise ich noch einmal hin. Darüber hinaus verfolgt sie den Ansatz der kooperativen Sicherheit. Mehrere Partnerstaaten der NATO beteiligen sich an OAE, so etwa Russland, die Ukraine und Marokko. Damit dient die Operation auch der Vertrauensbildung zwischen den Partnerstaaten. Auch diesen Gesichtspunkt dürfen wir nicht ignorieren.

Die NATO legte bei OAE einen Schwerpunkt auf Informationsgewinnung und Informationsverarbeitung. Alle Beteiligten profitieren durch ein verbessertes Lagebild. Auch das darf nicht ignoriert werden. Wer würde bestreiten, dass ein solches Lagebild gerade im Süden unseres Bündnisgebietes und gerade zu diesen Zeiten notwendiger denn je ist? Schließlich gibt es Entwicklungen, die wir noch nicht zu Ende kalkulieren können, gerade im Bereich des südlichen Mittelmeeres.

Das Mittelmeer ist eine der Hauptadern des internationalen Seeverkehrs. Die Unsicherheiten in der Region südlich des Mittelmeeres nehmen derzeit leider nicht ab, sondern die Unsicherheiten nehmen zu. Präsenz und Überwachung vor Ort sind daher weiter erforderlich. Auch wenn die Anwendung militärischer Gewalt in der Vergangenheit überwiegend nicht zum Tragen gekommen ist, was eine gute Nachricht ist, so sieht der Operationsplan von OAE entsprechende Befugnisse weiter vor. Darum ist es richtig, dass der Deutsche Bundestag über dieses Mandat entscheidet.

Die NATO-geführte Seeraumüberwachungsoperation ist sinnvoll und notwendig, und zwar aus sicherheitspolitischen wie aus bündnispolitischen Überlegungen. Das sage ich deshalb, weil ich weiß, dass das im Ausschuss ein Thema ist, und es war natürlich auch im letzten Jahr ein wichtiges Thema. Das wissen Sie, und Sie wissen, dass das bei uns erwogen und genauestens erörtert worden ist. Damit wir die richtige Geschäftsgrundlage unserer Entscheidung haben, möchte ich es noch einmal für die Bundesregierung gewissermaßen amtlich einführen: Durch Artikel 51 der UN-Charta und die Resolutionen 1368 und 1373 sowie entsprechende Folgeresolutionen, von denen ich eine bereits genannt habe, ist die Operation völkerrechtlich eindeutig legitimiert. Das klarzustellen, sind wir auch den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr schuldig, die an dieser Mission mitwirken und denen wir aufrichtig danken und unsere Anerkennung zum Ausdruck bringen möchten.

Ich bitte daher den Bundestag, dem Mandat zuzustimmen.


*


Quelle:
Bulletin Nr. 124-6 vom 23.11.2011
Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle,
zur Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr bei der Unterstützung
der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA
vor dem Deutschen Bundestag am 23. November 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2011