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REDE/909: Thomas de Maizière zur Fortsetzung der Beteiligung am ISAF-Einsatz in Afghanistan, 15.12.11 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, zur Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr am Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (ISAF) vor dem Deutschen Bundestag am 15. Dezember 2011 in Berlin:


Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Bundesregierung hat gestern beschlossen, das deutsche militärische Engagement in Afghanistan um ein weiteres Jahr verlängern und bis zum 31. Januar 2013 fortführen zu wollen. Heute bitte ich gemeinsam mit dem Kollegen Westerwelle dafür um Ihre breite Zustimmung.

Wir wollen mit diesem Beschluss den eingeschlagenen Weg einer Übergabe in Verantwortung konsequent fortsetzen. Verantwortung beschreibt dabei den Weg und das Ziel.

Wir sind seit 2002 an ISAF beteiligt, wie alle wissen. Wir tragen in Afghanistan als Führungsnation für die Nordregion und als drittgrößter Truppensteller eine besondere Verantwortung. Es gibt außer den Vereinigten Staaten von Amerika und uns kein anderes großes Land, das eine solche regionale Verantwortung trägt.

Die Mandatsobergrenze beträgt derzeit 5.350 Soldatinnen und Soldaten. Wir sehen erstmals eine Verringerung der personellen Obergrenze vor. Ich finde die Formulierung unseres Kollegen von der FDP - wir machen weiter, aber das ist kein Weiter-so - eine sehr präzise Beschreibung des Sachverhaltes.

Mit Beginn des neuen Mandatszeitraums, also im Februar 2012, soll die personelle Obergrenze für das gesamte deutsche Einsatzkontingent ISAF einschließlich AWACS zunächst maximal 4.900 Soldaten betragen.

Herr Kollege Erler, Sie haben mit den Zahlen von November/Dezember dieses Jahres argumentiert und gesagt, das sei ja alles schon erreicht. Sie wissen es doch eigentlich besser. Bei einem Kontingentwechsel - so steht es auch im Mandat - gibt es immer Schwankungen von mehreren Hundert. Das ist politischer Konsens; das ist fachlich geboten; das steht im Mandat. So ist es auch hier gewesen. Daher ist an sich kein Anlass für Ihre Bemerkung gegeben.

Die Voraussetzungen für diese erste Reduzierung unseres militärischen Beitrages sind in den letzten beiden Jahren geschaffen worden. Herr Schmidt, da haben wir in der Tat einen Dissens. Wie sind sie geschaffen worden? Auch durch Kampf. Die Amerikaner haben 33.000 zusätzliche Soldatinnen und Soldaten nach Afghanistan geschickt, wir ein paar Hundert. In der Tat sind in diesen zwei Jahren ganze Gebiete freigekämpft worden. Das hatte einen großen Preis und einen hohen Blutzoll - auch bei zivilen Opfern. Das ist wahr. Es war aber auch eine notwendige Voraussetzung für die schrittweisen Erfolge der Sicherheit, die wir jetzt haben. Das gehört zur Wahrheit. Wir haben da einen Dissens. Ich verkleistere den Dissens gar nicht. Das ist aber so. Wir wollen deswegen jetzt die Möglichkeit nutzen, schrittweise zurückzuführen. Die Sicherheitslage ist besser geworden. Was Sie von der Konrad-Adenauer-Stiftung zitiert haben, kenne ich jetzt nicht. Ich werde der Sache einmal nachgehen.

Wenn Sie sich die Zahlen angucken, sehen Sie, dass wir in diesem Jahr einen Rückgang der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle in ganz Afghanistan um 25 Prozent und im Norden, in dem wir Verantwortung tragen, von 50 Prozent hatten. Das ist nicht unser Verdienst. Dass der Unterschied so groß ist, liegt auch an den unterschiedlichen Gegebenheiten. Das ist allerdings ein wirklicher Fortschritt.

Ich füge aber auch hinzu, dass die Zahl der zivilen Opfer unter den Afghanen höher ist als im letzten Jahr. Das bedeutet, dass es auch eine Veränderung der Anschlagstaktik gibt. Ich muss deutlich sagen: Anschläge auf eigene Landsleute zu organisieren, wie das hier der Fall ist, ist das Niederträchtigste, was Menschen sich ausdenken können.

Es gibt also Fortschritte. Sie sind labil. Deswegen ist es völlig richtig, dass wir die gleiche Formulierung wie bei der letzten Mandatsbeschreibung wählen und sagen: Wir nehmen den Abzug vor, wenn die Sicherheitslage es erlaubt und unsere eigenen Soldaten nicht gefährdet werden. - Es ist das Selbstverständlichste der Welt, dass man eine Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, um es einmal so auszudrücken, bereits formuliert. Das haben wir gesagt, das sagen wir, und das bleibt so.

Nun zur Frage der Klarheit, Herr Schmidt. Es ist so: Wir können keine Klarheit darüber haben, wie es weitergeht. Wir brauchen Flexibilität, gerade für das nächste Jahr. Darum reden wir nicht herum. Warum ist das so? Weil die Amerikaner ihre Pläne zum Abzug bis zum 30. September 2012 befristet haben. Unser Mandat wird jetzt bis zum Januar 2013 gehen. Die Amerikaner sagen uns erst im April, was sie nach dem 30. September machen werden. Deswegen können wir jetzt nicht genau festlegen, was wir in der zweiten Jahreshälfte 2012 vorhaben. Deswegen ist die Zahl von 500 Soldaten, um die die Truppe reduziert wird, flexibel auf das Jahr zu verteilen. Es bleibt dabei: Wir sind gemeinsam nach Afghanistan reingegangen, und wir gehen gemeinsam raus. Nichts anderes wäre verantwortlich.

Die Planungen darüber werden wir vorlegen, Herr Schmidt. Aber sie folgen einem Prinzip, das ich folgendermaßen beschreiben will: Wo wir sind, sind wir richtig. Wir werden keine Ausdünnung an Einsatzstandorten dergestalt machen, dass wir die Sicherheit unserer Soldaten gefährden. Das ist die konsequente Umsetzung eines Transitionsprozesses. Wenn Afghanistan die Verantwortung für die Sicherheit in Gebieten übertragen bekommt, dann bitte schön. Das ist die Konsequenz dieses Prozesses. Diesen werden wir Schritt für Schritt vollziehen.

Nun will ich noch ein Wort zu den Jahren danach oder für den Weg bis 2014 sagen. Ich habe das gestern auch schon im Verteidigungsausschuss gesagt. Einen Abzug zu organisieren, ist so ungefähr das Komplizierteste, was es militärisch gibt.

Um es mit einem Bild zu verdeutlichen: Von einem Baum herunterzuklettern, ist manchmal komplizierter, als auf einen Baum hinaufzuklettern. Deswegen werden wir im Laufe des nächsten Jahres darüber diskutieren und die Pläne transparent vorlegen. Ein Abzug muss klug organisiert werden. Dazu braucht man gegebenenfalls andere Kräfte als die, die jetzt da sind. Das werden wir besprechen.

Wir wissen auch nicht, ob möglicherweise der ganze Norden wegen der Unsicherheit im Osten von Pakistan das Abzugsgebiet für die Amerikaner, Franzosen, Briten und alle anderen ist. Dann stellen sich die Fragen 2013 noch einmal anders. Ob sich die ganze Organisation des Abzuges über den Norden vollziehen wird, können wir jetzt noch gar nicht sagen, Herr Schmidt. Aber ich weise darauf hin, dass ein Abzug andere Kräfte temporär bindet. Darüber werden wir in Ruhe zu reden haben.

Das Mandat, das wir erarbeitet haben und das wir heute in erster Lesung diskutieren, ist militärisch verantwortbar und politisch zustimmungsfähig. Wir haben uns, wie viele hier im Raum wissen, um eine Zustimmung der Opposition, insbesondere der großen Oppositionsfraktion, bemüht. Ich bedanke mich, Herr Erler, für die Zustimmung, die Sie heute vor dem Deutschen Bundestag signalisiert haben.

Diese breite Zustimmung des Parlaments wäre neben dem Dank, den wir alle ausgesprochen haben, das beste Zeichen des Respekts und der Anerkennung vor der Leistung der Soldatinnen und Soldaten, der Polizisten, der zivilen Aufbauhelfer und der Diplomaten. Je breiter die Zustimmung hier ist, desto besser für sie. Deswegen bitte ich nach einer gründlichen Diskussion Anfang des nächsten Jahres um eine breite Zustimmung zu diesem Weg.


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Quelle:
Bulletin Nr. 136-2 vom 15.12.2011
Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière,
zur Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr am Einsatz der
Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (ISAF)
vor dem Deutschen Bundestag am 15. Dezember 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2011