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REDE/934: Dr. Ursula von der Leyen - Bundesministerin der Verteidigung, 29.01.2014 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Rede der Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen, zur Verteidigungspolitik der Bundesregierung in der Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vor dem Deutschen Bundestag am 29. Januar 2014 in Berlin:



Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Erlauben Sie mir, zunächst einmal auf der Tribüne Fallschirmjäger des Bataillons 263 aus Zweibrücken ganz herzlich zu begrüßen. Ich freue mich, dass Sie heute dieser Debatte beiwohnen können.

Das Jahr 2014 ist ein wichtiges Jahr für die deutsche Sicherheitspolitik, für Europa und die Nordatlantische Allianz, und zwar aus vielerlei Gründen. Ich möchte zu einigen Stellung nehmen.

Zunächst einmal: In welchem Rahmen bewegen wir uns? Die NATO erreicht die Mitte der Dekade, die durch ihr strategisches Konzept von Lissabon 2010 bestimmt ist. Wir werden auf dem NATO-Gipfel im September entscheiden, wie die zweite Hälfte unter sich verändernden Bedingungen gestaltet werden soll; das wird ein spannender Prozess werden. Zugleich haben wir erlebt, dass der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs im Dezember 2013 zum ersten Mal seit Jahren die Stärkung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik - ich betone: Gemeinsamen - auf den Weg gebracht hat. Sie hat sich ein sehr anspruchsvolles Programm für die Verbesserung der zivilen und militärischen Fähigkeiten der Europäer gegeben.

Das alles spielt sich vor dem Hintergrund ab, dass in Afghanistan die Allianz und ihre Partner den größten, den längsten und den anspruchsvollsten Kampfeinsatz in der Geschichte der NATO beenden. Bei aller Pein, die das mit sich gebracht hat, hat uns Afghanistan viel gelehrt. Der Kampfeinsatz war anfangs notwendig zur Bekämpfung des Terrorismus. Aber gerade als Verteidigungsministerin kann ich nur immer wieder betonen, wie wichtig der vernetzte Ansatz ist, bei dem militärische Sicherheit, entwicklungspolitische Hilfe, diplomatische Verhandlung und wirtschaftlicher Aufbau Hand in Hand gehen.

Wir wollen, dass dieses Land für seine Sicherheit und Stabilität bald selber sorgen kann. Dazu setzen wir bereits jetzt alle Kraft für die Ausbildung einer afghanischen Armee und Polizei ein. Wir haben den Flughafen in Masar-i-Scharif den Afghanen übergeben. Wir haben im vergangenen Sommer ein Generalkonsulat in Masar-i-Scharif eröffnet. Das ist ein starkes Zeichen dafür, wie wichtig uns Afghanistan ist. Aber wir müssen auch willkommen sein. Die kommenden Monate sind entscheidend, ob es gelingt, dass Karzai oder ein Nachfolger das bilaterale Sicherheitsabkommen mit den USA unterschreibt. Das ist Grundbedingung dafür, dass wir die für uns so wichtige Folgemission der Ausbildung und der Unterstützung auf den Weg bringen können. Heute Nacht hat Obama in seiner State of the Union noch einmal bekräftigt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika auf diesem Sicherheitsabkommen zu Recht bestehen, aber dass sie dann bereit sind, diese Resolute Support Mission zu unterstützen.

Ich will nicht verhehlen, dass ich mir gewünscht hätte, dass in Afghanistan die Vorarbeit für diese Mission früher begonnen hätte, dass die Folgemission also jetzt schon gesichert wäre. Die Zeit drängt, und umso wichtiger ist es, dass wir in der verbleibenden Zeit alles daransetzen, dass Schutz, Training und Ausbildung, also RSM, möglich werden.

Afghanistan hat aber auch zum allerersten Mal gezeigt, wie sehr die Europäer in der NATO darauf angewiesen sind, sich untereinander abzustimmen. Im Norden tragen wir die Hauptverantwortung; wir sind die Rahmennation für 16 weitere Nationen. Im Ergebnis zeigt sich ein geschlossener, kohärenter Einsatz, breit angelegt und durchhaltefähig. Wir haben im Einsatz gelernt: Keiner kann mehr alles allein vorhalten. Nur gemeinsam können wir Verantwortung in Europa übernehmen.

Hinzu kommt, dass die globale Finanzkrise, insbesondere die Euro-Krise, tiefe Spuren hinterlassen hat. Die neue europäische Wirtschafts- und Währungsunion nimmt feste Formen an; aber alle hier im Raum wissen, dass unsere nationalen Budgets unter einem enormen Konsolidierungsdruck stehen. Das ist so. In der Folge werden Verteidigungsbudgets gekürzt, ob es gefällt oder nicht. Wir müssen aber vermeiden, dass unabgestimmt in vielen Mitgliedstaaten gekürzt wird, was zur Folge haben kann, dass viele Lücken gerissen werden und wir den Verlust von gemeinsamen Fähigkeiten noch erhöhen. Ich bin der Überzeugung, dass wir trotz der schwierigen Lage als Europäer intelligenter zusammenarbeiten können, und das sollten wir auch tun.

Wir brauchen mehr Kooperation, wir brauchen mehr Transparenz, wir brauchen mehr Abstimmung, und das heißt mehr Vertrauen. Das sind die Gebote der Stunde. Sie kennen die Schlagworte: Smart Defense und Pooling and Sharing. Wir müssen auch nach dem ISAF-Einsatz das hohe Niveau der Zusammenarbeit, das, was wir im Norden gelernt haben - ich habe es eben geschildert -, unter anderem durch anspruchsvolle Übungsprogramme in den nächsten Jahren wahren. Da ist die Connected Forces Initiative der NATO ein richtiger und wichtiger Schritt in die Zukunft. Dieses Signal sollten wir verstärken.

Deutschland übernimmt Verantwortung im Bündnis. Das brauche ich hier eigentlich nicht zu wiederholen. Alle wissen, dass wir der zweitgrößte Beitragszahler sind und dass wir bei den beiden größten NATO-Missionen in Afghanistan und im Kosovo einer der zentralen Truppensteller sind. Nun werden wir zusehends mit einer Vielzahl von Krisenherden in Afrika konfrontiert. Diese haben sehr schnell auch Auswirkungen auf Europa. Keiner von uns hat die Bilder von Lampedusa vergessen. Wir sind daher auch hier zum Handeln verpflichtet. Das beginnt mit der Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika und geht bis hin zu Einsätzen in Mali und Zentralafrika. Wir wollen den in 2013 begonnenen Einsatz in Mali zusammen mit unseren europäischen, aber auch mit unseren afrikanischen Partnern zu einem Erfolg bringen. Wir überprüfen daher die Ergänzung, aber auch die Aufstockung der Zahl unserer Soldatinnen und Soldaten, die in Mali schon im Einsatz sind, und wir prüfen eine Unterstützung der kommenden EU-Mission in der Zentralafrikanischen Republik. Wir haben diese EU-Mission als Europäer gemeinsam auf den Weg gebracht. Also müssen wir uns jetzt, wenn wir diese Mission ausplanen, auch entsprechend verhalten.

Mir sind zwei Dinge wichtig.

Erstens. Es bleibt bei unserem Grundsatz: Kein Kampfeinsatz in Zentralafrika. Aber wir haben Fähigkeiten - das geht unter den Begriffen Pooling and Sharing und Smart Defense ganz konsistent voran - zum Beispiel im Verwundetentransport, MedEvac, die andere so nicht haben. Wenn diese Fähigkeiten nötig sind, dann sollten wir sie auch stellen. Wir sollten diese Diskussion führen; denn ich finde: Wenn man innerhalb des Bündnisses gemeinsam etwas auf den Weg bringt, dann muss man auch bereit sein, gemeinsam die Verantwortung dafür zu übernehmen. Das heißt, ein differenziertes Vorgehen ist uns wichtig, und dieses Vorgehen muss selbstverständlich auf dem Boden eines Mandats stattfinden.

Der zweite Punkt, der mir wichtig ist. Dauerhafte Stabilität kann nur durch den Wiederaufbau staatlicher Strukturen erzeugt werden, siehe Afghanistan. Wir haben gelernt, dass es auch eine Frage der Zeit ist, wann man mit Folgemissionen auftritt. Dabei geht es um vernetzte Sicherheit. Deshalb: Der Wiederaufbau staatlicher Strukturen kann nicht und darf nicht nur die Aufgabe des Militärs sein. Gerade als Verteidigungsministerin kann ich immer wieder nur betonen, wie wichtig es ist, die militärische Sicherheit, die entwicklungspolitische Hilfe und den Wiederaufbau Seit' an Seit' zu haben. Denn ich bin der festen Überzeugung: Streitkräfte und damit die Bundeswehr sind gelegentlich nötig, um die Lage zu klären; gar keine Frage. Wir sehen mit Stolz und Dankbarkeit auch auf unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, die das für uns immer wieder im Bündnis leisten.

Aber wir wissen eben auch: Wir sind Teil des Gesamtinstrumentariums der vernetzten Sicherheit, und wir können und dürfen nicht das einzige Instrument sein. Ich bin deshalb der festen Überzeugung, dass es richtig ist, sich jetzt an eine Afrika-Strategie zu machen, diese gemeinsam mit den Ressorts - dem Außenministerium, dem Entwicklungshilfeministerium - und den Fraktionen auf den Weg zu bringen. Ich habe mich über die verschiedenen Signale gefreut. Ja, Afrika ist unser Nachbar. In Afrika ist uns vieles nicht von vornherein selbstverständlich und nah. Aber wir als Europäer haben eine enge Verbindung zum Nachbarkontinent. Wir als Europäer wissen viel über Afrika. Wenn wir dieses Wissen und unsere Fähigkeiten bündeln, dann ist das der richtige Weg zur Erreichung von Frieden und zum Aufbau demokratischer und stabiler Strukturen in Afrika.

Die Bundeswehr ist ein zentrales sicherheitspolitisches Instrument mit dem Mandat des Deutschen Bundestages. Lassen Sie mich noch den Blick nach innen werfen. Wir haben in der letzten Sitzungswoche eine ausgeprägte Diskussion über die Attraktivität der Bundeswehr im Rahmen der Debatte über den Bericht des Wehrbeauftragten geführt. Deshalb verwende ich heute weniger Zeit darauf. Ich fand es sehr schön, wie die Kanzlerin heute Morgen sagte: Wir machen Politik für die Menschen. - Das wollen wir durchdeklinieren bis tief in die Bundeswehr und ihren Alltag hinein, liebe Freundinnen und Freunde.

Das zentrale Ziel der Neuausrichtung ist die dauerhafte Einsatzfähigkeit. Ja, das stimmt. Aber Attraktivität, Modernität, Verankerung in der Gesellschaft sind auch zentrale Faktoren der dauerhaften Einsatzfähigkeit. Sie sind kein Widerspruch, sondern ergänzen sich. Ich bin der festen Überzeugung: Eine familienfreundliche Bundeswehr wird nicht schwächer, sie wird stärker.

Die Diskussion über das Wie wird noch lange andauern. Vieles ist gut; aber viel ist auch noch zu tun. Mir ist wichtig: Das ist keine Frage, die "nur" die Frauen in der Bundeswehr angeht, sondern eine Frage, die vor allem auch den Soldaten betrifft, der Vater ist und für sein Kind als Vater unverzichtbar ist. Das bedeutet, dass er gemeinsame Zeit mit seiner Familie braucht, und die wollen wir ermöglichen. Wir wollen nicht aasen mit seiner Zeit, sondern wir wollen durch Flexibilität diese Zeit ermöglichen.

Wir haben in der letzten Sitzungswoche eine breite Diskussion über das Thema "Frauen in der Bundeswehr" geführt. Auch dazu sage ich: Mehr Frauen in der Bundeswehr machen die Bundeswehr ganz sicher nicht schwächer, sondern sehr viel stärker.

Der Frauenanteil in der Bundeswehr liegt bei zehn Prozent; das wissen wir alle. Diese Frauen in der Truppe sind selbstbewusste Frauen. Ich weiß aus der eigenen Lebenserfahrung, dass nicht jeder damit umgehen kann, aber die allermeisten können das - und die wollen wir stärken. Deshalb müssen wir die Karrierepfade für Frauen gangbarer machen. Wir müssen sie sichtbarer machen, und wir müssen sichtbarer machen, wie sehr die Bundeswehr von der wachsenden Zahl der Frauen in der Truppe profitiert.

Die Bundeswehr hat sich bewährt. Sie hat sich bewährt als eine Armee für den Frieden im multinationalen Raum und als eine Armee der Demokratie. Wir wollen sicherstellen, dass das so bleibt.

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Quelle:
Bulletin 08-3 vom 29. Januar 2014
Rede der Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen,
zur Verteidigungspolitik der Bundesregierung in der Aussprache
zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vor dem Deutschen Bundestag
am 29. Januar 2014 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2014