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REDE/951: Thomas de Maizière zu den Vorkommnissen bei der Einweihung der EZB-Zentrale, 19.03.2015 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Thomas de Maizière, in der vereinbarten Debatte zu den Vorkommnissen in Frankfurt bei der Einweihung der EZB-Zentrale vor dem Deutschen Bundestag am 19. März 2015 in Berlin:


Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Am 18. März 2015 fand von elf bis 14 Uhr die Feier zur Eröffnung des Neubaus der EZB statt. In diesem Zusammenhang waren zahlreiche Demonstrationen angemeldet worden. Bereits im Vorfeld konnten an den Grenzen zahlreiche Veranstaltungsteilnehmer festgestellt werden, welche aus der Schweiz, den Niederlanden, Dänemark, Griechenland und Italien anreisten. In einem Reisebus aus den Niederlanden wurden Gegenstände, die als Wurfgeschosse genutzt werden können, sowie Schlagwerkzeuge beschlagnahmt. Bereits in der Anreisephase am frühen Morgen stellte die Bundespolizei massive Gleisüberschreitungen von bis zu 400 Personen fest, welche durch Einsatzkräfte unterbunden wurden.

Im Zusammenhang mit den angemeldeten Versammlungen und Aufzügen kam es im Stadtgebiet zu massiven Ausschreitungen. Seit 5.30 Uhr waren mehrere größere gewalttätige Gruppen im Stadtgebiet unterwegs. Mehrere Straßen und Brücken wurden zeitweise blockiert und Barrikaden errichtet, die teilweise in Brand gesetzt wurden. Es kam zu massiven Angriffen auf Polizeibeamte, mit Steinen und Pyrotechnik. Darüber hinaus erfolgten zahlreiche Inbrandsetzungen von Fahrzeugen, darunter auch Einsatzfahrzeuge der Polizei.

Teilweise verfügten die gewalttätigen Demonstranten über Schutzbewaffnung. Etwa 80 Einsatzkräfte wurden durch die Freisetzung von ätzenden Flüssigkeiten beziehungsweise Reizgasen verletzt. Die Störer setzten in der Folge Schutzmasken auf und schützten sich vor den Gasen. Es erfolgte auch ein Angriff auf die Polizeistation. Die Polizei setzte mehrfach Wasserwerfer und Pfefferspray zur Lageberuhigung ein. Einsatzkräfte der Feuerwehr wurden bei den Löscharbeiten durch Störer massiv behindert und mit Steinen attackiert.

Das ist die nüchterne Sprache eines Polizeiberichts. Faktisch war es viel schlimmer. Die Gewalttäter haben gestern eine Schneise der Verwüstung durch die Frankfurter Innenstadt gezogen: Autos brannten, Blockaden wurden errichtet, dunkle Rauchsäulen stiegen in den Himmel. Am 1. Polizeirevier zündeten Vermummte drei Streifenwagen an und warfen Pflastersteine auf das Polizeigebäude. Pflastersteine wurden gezielt auf Polizisten geworfen. Die Gewalt hat gestern ein Ausmaß erreicht, wie es zumindest Frankfurt noch nie erlebt hat.

Mich hat vor allem das Ausmaß der Verrohung, die wir gestern erlebt haben, tief erschüttert. Die vorläufige Bilanz ist verheerend: 150 Polizeibeamte wurden verletzt, einige davon schwer; 55 beschädigte Dienstfahrzeuge, sieben weitere in Brand gesetzt; eine Polizeistation wurde angegriffen; mehrere U-Bahnen wurden "entglast" - das ist so ein Ausdruck aus der Szene, den ich schon empörend finde. 293 Platzverweise wurden erteilt. Gegen 26 Personen wurden Strafverfahren eingeleitet.

Die Gewalttäter machten auch vor gänzlich Unbeteiligten nicht Halt: Zahlreiche Ladengeschäfte, Arztpraxen, Wohnhäuser wurden demoliert. Der öffentliche Nahverkehr musste komplett eingestellt werden. Selbst vor einer Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge - einem Kolpinghaus - hat die blinde Zerstörungswut der Randalierer nicht haltgemacht. Hier findet Gewalt nur noch um der Gewalt willen statt, von politischer Auseinandersetzung kann da überhaupt nicht mehr die Rede sein. Gezielte Stein- und Flaschenwürfe auf Polizeibeamte, brennende Fahrzeuge und Straßenbarrikaden haben mit Demonstrationsfreiheit nichts mehr zu tun. Diesen Gewalttätern fehlt jeder Respekt vor Leben oder Gesundheit. Polizistinnen und Polizisten werden von ihnen entmenschlicht, zu Hassobjekten gemacht. Wer so handelt, missbraucht seine Freiheitsrechte und überschreitet ganz klar die Grenze, die wir im Rechtsstaat bereit sind zu tolerieren.

Aber damit nicht genug: Das katastrophale Geschehen ist gestern auch noch öffentlich gerechtfertigt und verharmlost worden. Ein junger Gewerkschafter aus dem Südwesten relativiert das Geschehen - ich zitiere -: Die symbolische Gewalt - "symbolische" Gewalt! -, für die ein Auto in Flammen steht, ist doch nichts verglichen mit der strukturellen Gewalt unseres Wirtschaftssystems.

Ich kenne diese Sprache, aus den 70er Jahren; sie kommt mir sehr bekannt vor.

Selbst Verständnis für die Randalierer wurde eingefordert. Der Blockupy- Sprecher Christoph Kleine kritisierte den - ich zitiere - massiven Polizeieinsatz, den Einsatz von Schlagstöcken und Tränengas. - Selbst das ist nicht alles: Man müsse, so sagt er, eine andere Geschichte erzählen: die Geschichte der Menschen, die den Mut gehabt hätten, sich diesem Gewaltapparat auszusetzen. - Das ist absolut inakzeptabel.

Solche Äußerungen kommen auch aus dem politischen Bereich. Wenn da etwa eine Politikerin der Partei Die Linke die gestrigen Krawalle mit dem Maidan in Kiew vergleicht, macht mich das fassungslos. Solidarität ist hier wirklich fehl am Platz.

Ich erwarte von den Linken hier und heute - Frau Kipping hat auch eine, wie ich finde, problematische Äußerung getätigt, die vielleicht aus dem Zusammenhang gerissen war - eine klare und unmissverständliche Distanzierung von dieser Gewalt und jeder Art von Verharmlosung - ohne jede Hintertür. Das gilt auch für die Organisatoren des Blockupy-Bündnisses. Auch sie sind mitverantwortlich für das, was gestern geschehen ist. Diese Verantwortung muss hier klar benannt werden.

Das Blockupy-Bündnis beruft sich nun offiziell darauf, dass die gewalttätigen Ausschreitungen nicht Teil der Planung waren. Ulrich Wilken, hessischer Landtagsabgeordneter der Linkspartei und Anmelder der Proteste, sagte, er sei betrübt, er habe sich den Mittwochvormittag anders gewünscht. Andererseits habe er aber auch großes Verständnis für die Wut der Menschen, die von der Verelendungspolitik der EZB betroffen seien. - Ich sage Ihnen: Das war keine spontane Wut, das war seit Monaten geplante, kühl kalkulierte Gewalt.

Wir haben aus Lautsprecherwagen vor Demonstranten Musik mit folgendem Textteil gehört - die hat man nicht spontan dabei, sondern die wird mitgebracht - ich zitiere -: "Wir sind kampfbereit, bis an die Zähne bewaffnet." Wenn man so Demonstranten beschallt, dann muss man sich über die Reaktionen nicht wundern.

Auch die Beschwichtigungsversuche der Blockupy-Organisatoren vor Ort sprechen ihre eigene Sprache. Ich zitiere einen Lautsprecherspruch:

"Hört auf, mit Gegenständen zu werfen, das trifft unter Umständen die eigenen Leute in den vorderen Reihen."

Das verschlägt mir die Sprache.

Der gestrige Gewaltexzess kam nicht aus heiterem Himmel. Die Sicherheitsbehörden hatten seit langem Hinweise darauf, dass die linke Szene diesen Anlass nutzen will, um Gewalt auszuüben. Auch das Ausmaß der Gewalt spricht dafür, dass solche Aktionen seit langem geplant waren. Deswegen können die Veranstalter heute auch nicht so tun, als hätten sie das überhaupt nicht gewusst.

Schon der Name "Blockupy" verheißt nichts Friedliches. Das ist eine Kombination eines deutschen und eines englischen Wortes, eine Kombination aus "Blockieren" und "Besetzen". Ich finde, das hat mit friedlicher Demonstration ziemlich wenig zu tun.

Wir leben in einer wehrhaften Demokratie. Das heißt, dass sich unser Staat verteidigen darf und verteidigen muss, wenn er und seine Bürger angegriffen werden. Wenn ein Auto angezündet wird, in dem zwei Polizisten sitzen, dann reden wir nicht über Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder über Wutbürger, sondern vielmehr mindestens von versuchtem Totschlag. Der Tod von Polizisten wird hier billigend in Kauf genommen.

Jeder dieser Angriffe war ein Angriff auf unseren Rechtsstaat, auf jeden Bürger dieses Landes. Alle, die sich dabei missbräuchlich auf Freiheitsrechte berufen, müssen mit der vollen Härte des Rechtsstaates rechnen. Als Mitglieder des Deutschen Bundestages - das sind wir alle hier - ist es heute an uns, jedem Versuch der Rechtfertigung von allen Fraktionen eine klare und unmissverständliche Absage zu erteilen. Das sollte uns eine Lehre für zukünftige Ereignisse, wie G7-Treffen oder anderes, sein.

Wehret den Anfängen! Verharmlost nicht Gewalt! Macht nicht gemeinsame Sache mit Gewalttätern! Bietet ihnen keinen Schutz! Rechtfertigt es nicht! Es gibt in unserer Demokratie, aus welchem sozialen Protest heraus und aus welchem Grund auch immer, keinen einzigen Grund, Gewalt anzuwenden - gegen nichts und niemanden. Das muss Konsens in diesem Hause sein.

Ich will mit einem Dank und anerkennenden Worten an alle eingesetzten Polizisten, Feuerwehrleute, THW-Helfer und anderen Rettungskräften schließen. Die Bundespolizei hat allein im Bereich der Bahnpolizei 1.000 Polizeibeamte eingesetzt. Die Polizei des Landes Hessen wurde von insgesamt über 5.000 Polizisten aus nahezu allen Bundesländern unterstützt. Hinzu kamen 700 Kräfte der Bundespolizei. Noch während des Einsatzes wurden weitere Unterstützungskräfte aus dem gesamten Bundesgebiet mobilisiert.

Meine Gedanken sind bei den Polizisten von Bund und Ländern, die unter Einsatz von Leib und Leben nicht nur die EZB, sondern vor allem auch die Bürgerinnen und Bürger in Frankfurt geschützt haben. Meine besondere Anteilnahme gilt den zahlreichen verletzten Polizisten und ihren Angehörigen.

Wir alle haben die Bilder von gestern im Kopf. Wir sind uns hoffentlich parteiübergreifend einig: Wir verlangen verdammt viel von unseren Polizistinnen und Polizisten. Sie verdienen unseren Respekt und unsere Anerkennung für die Arbeit, die sie für uns alle und unseren Rechtsstaat leisten.

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Quelle:
Bulletin 41-3 vom 19.03.2015
Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Thomas de Maizière,
in der vereinbarten Debatte zu den Vorkommnissen in Frankfurt bei der
Einweihung der EZB-Zentrale vor dem Deutschen Bundestag am 19. März 2015 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2015

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