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INTERNATIONAL/084: Ohne Hilfen und Steuern keine Entwicklung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. August 2015

Entwicklung: Keine Hilfen, keine Steuern, keine Entwicklung

von Jomo Kwame Sundaram *


Bild: © FAO

Jomo Kwame Sundaram
Bild: © FAO

ROM (IPS) - Die Agenda von Addis Abeba [der Dritten Internationalen Konferenz für Entwicklungsfinanzierung] wird weitgehend als Enttäuschung für die Entwicklungsländer verstanden. Manche Beobachter hoffen indes auf angemessene Mittel zur Umsetzung der Agenda, damit nationale Entwicklungs- sowie die Nachhaltigkeitsziele (SDGs) erreicht werden können.

Es ist offensichtlich, dass der Süden, einschließlich der am wenigsten entwickelten Länder, auf keinen ernsthaften Fortschritt bezüglich der vor fast einem halben Jahrhundert gegebenen Zusage hoffen kann, der zufolge die Industriestaaten 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in die Entwicklungsländer transferieren. Und um das Ganze noch schlimmer zu machen: Die Entwicklungsländer dürfen nicht damit rechnen, an zwischenstaatlichen Diskussionen zur Steigerung des Steueraufkommens bedeutend beteiligt zu werden.

Die Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stimmen zwar darin überein, dass die Erhebung von Steuern die einzig gangbare Strategie für Entwicklungsländer ist, sich längerfristig aus der Abhängigkeit von auswärtigen Finanzhilfen zu befreien. Dennoch lehnen sie es ab, dem Wunsch dieser Länder nach einer eigenständigen zwischenstaatlichen Behörde für internationale Zusammenarbeit in Steuerangelegenheiten unter der Ägide der Vereinten Nationen zu entsprechen.

Die Fähigkeit, Entwicklungsstrategien voranzutreiben, hängt entscheidend von dem verfügbaren fiskalischen Spielraum ab, der größtenteils durch Einnahmen im Inland - vor allem Steuern - bestimmt wird. Das Steueraufkommen in den meisten Staaten mit niedrigen und niedrigen mittleren Einkommen ist jedoch gering. In diesen Ländern beläuft sich die durchschnittliche Steuerquote auf 15 beziehungsweise 19 Prozent, während sie in reicheren Staaten bei mehr als 30 Prozent liegt.

Länder mit niedrigen und niedrigen mittleren Einkommen sollten Maßnahmen ergreifen, um ihre Einkünfte zu erhöhen. In den letzten Jahrzehnten wurden Steuern jedoch meist nur dann angehoben, wenn dies unvermeidlich war. Man ging davon aus, dass die Bevölkerung die Steuergesetze eher beachten würde, wenn die Steuersätze niedrig blieben.

Zudem plädierte man dafür, die Steuerbasis zu verbreitern, auch wenn sich die Möglichkeiten zur Steuererhebung in bescheidenen Grenzen halten. Daher erhöhte sich eher die indirekte Steuerbelastung, während die direkte Besteuerung von Unternehmen und Einzelpersonen abnahm. Letzteres wurde trotz fehlender empirischer Untersuchungen als günstig für Investitionen und Wachstum betrachtet.

In den meisten Ländern in Subsahara-Afrika und Lateinamerika stagniert die Steuerquote oder geht zurück, weil Handelssteuern wie etwa die Exportzölle, die den größten Teil der Steuereinnahmen ausmachten, im Zuge der Handelsliberalisierungen gesunken sind. Leider sind andere Steuern, die diese Verluste ausgleichen könnten, nicht erhöht worden.

Es ist dringend notwendig, diese Entwicklung umzukehren und höhere Einkünfte zu generieren, um den sozialen Schutz verbessern, Arbeitsplätze schaffen und auf andere Weise zu einer nachhaltigen Wirtschaftserholung beitragen zu können. Angesichts der unterschiedlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen ist es für Entwicklungsländer nicht sinnvoll, bei der Generierung von Einkommen die Volkswirtschaften der Industriestaaten als Vorbild zu betrachten. Auch unter den Entwicklungsländern gibt es Unterschiede. Zudem müssen sich Steuersysteme mit Blick auf die sich verändernden ökonomischen Umstände weiterentwickeln.

Die Steuerquote kann erhöht werden, indem die Steuerbasis im Inland verbreitert und die Steuerflucht begrenzt wird sowie neue Möglichkeiten für die Erhebung von Steuern auf internationaler Ebene gefunden werden. Es gibt keinen Grund, eine direkte Besteuerung zu pessimistisch zu sehen, da Steuerreformen in vielen Ländern den Anteil der direkten Steuern an den Gesamteinnahmen beträchtlich erhöht haben.

Sicherlich ist es möglich, die Steuereinnahmen weiter zu steigern, indem der Anteil der direkten Steuern durch eine stärkere Progression der Einkommensteuersätze in Entwicklungsländern gesteigert wird. Zugleich sollten mehr Anstrengungen unternommen werden, um die Einhaltung der Steuergesetze zu gewährleisten und das Steueraufkommen zu vergrößern. Die Digitalisierung der Steuerverwaltung kann dabei helfen, Korruption einzugrenzen, da Unterlagen schwieriger manipuliert werden können.

Eine effizientere Steuerverwaltung kann den Anteil der persönlichen Einkommenssteuer am gesamten Steueraufkommen erhöhen. Die Ausweitung der Möglichkeiten für Steuerabzüge hat sich als nützlich erwiesen, um auch diejenigen zu besteuern, die ansonsten schwer erreichbar wären. Jeder, der ein Haus, ein Fahrzeug, eine Kreditkarte, einen Pass und einen Führerschein besitzt, kann dazu angehalten werden, eine Steuererklärung einzureichen.

Verbrauchssteuern sind eine weitere wichtige Quelle für die Generierung von Einkünften in Entwicklungsländern, da sie eine breite Basis haben und kostengünstig verwaltet werden können. In der Regel werden sie auf Waren wie Alkohol, Tabak, Erdöl, Autos und Ersatzteile erhoben. Derzeit machen solche Verbrauchssteuern allerdings weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Ländern mit niedrigen Einkommen aus, während sie sich in Industriestaaten auf etwa drei Prozent belaufen.

Auch gegen Einkommensverluste infolge der Globalisierung muss etwas unternommen werden. Für diese Entwicklung gibt es drei Hauptgründe: Kapitalbewegungen schaffen zusätzliche Möglichkeiten zur Steuerflucht, da die jeweiligen Steuerbehörden nur begrenzt in der Lage sind, die in Übersee erzielten Einkünfte der Bewohner ihrer Staaten zu kontrollieren. Wenn Dividenden, Zinsen, Tantiemen und Verwaltungsgebühren nicht in dem Land besteuert werden, in dem sie gezahlt werden, können sie in den Staaten, in denen die Empfänger leben, leichter verschleiert werden.

Die Steuervermeidung kann auch aufgrund der unterschiedlichen Steuerregelungen und -sätze zunehmen. Unternehmen können für gewöhnlich zwischen verschiedenen Systemen wählen, vor allem, wenn es um die Besteuerung von Gewinnen aus international getätigten Geschäften geht. Die Verrechnungspreisgestaltung für Waren, Dienstleistungen und Ressourcen bietet zudem Möglichkeiten zu einer Verschiebung von Einkommen, um die Steuerpflicht zu minimieren.

Drittens hat der internationale Wettbewerb um ausländische Direktinvestitionen Regierungen dazu bewogen, Steuersätze zu senken und ausländischen Investoren mehr Konzessionen zu gewähren. Die Höhe der Steuersätze, die die Regierungen festlegen können, wird also durch die internationale Konkurrenz in Grenzen gehalten. Aus Furcht vor Kapitalflucht werden die Steuersätze daher nur zögernd erhöht, obwohl bekannt ist, dass direkte Steuervergünstigungen nur geringe Auswirkungen auf die Umleitung internationaler Investitionen oder auf die Anziehung von Kapitalflüssen haben.

Derartige Steuervergünstigungen führen also zu einem unnötigen Verlust von Einkünften. Finanzministerien und Steuerbehörden in Entwicklungsländern müssen untereinander und mit ihren Kollegen innerhalb der OECD kooperieren, um im beiderseitigen Interesse Steuerschlupflöcher zu schließen. (Ende/IPS/ck/26.08.2015)


* Jomo Kwame Sundaram ist Koordinator für wirtschaftliche und soziale Entwicklung bei der UN-Agrarorganisation FAO. Im Jahr 2007 erhielt er den 'Wassily Leontief Prize for Advancing the Frontiers of Economic Thought'.


Link:
http://www.ipsnews.net/2015/08/opinion-no-aid-no-tax-no-development/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2015

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