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INTERNATIONAL/094: "Arabischer Frühling" blieb ohne Einfluss auf IWF-Politik in MENA-Region (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Dezember 2015

Entwicklung: 'Arabischer Frühling' blieb ohne Einfluss auf IWF-Politik in MENA-Region

von Ronald Joshua


BERLIN (IDN/IPS) - Bei den so genannten Brotrevolten gingen 1977 Hunderttausende Menschen in den größten Städten Ägyptens spontan auf die Straße. Sie protestierten gegen den Abbau staatlicher Subventionen, den die Weltbank und der Internationale Währungsfonds IWF der Regierung vorgeschrieben hatten. Diese Aufstände, die von der Armee niedergeschlagen wurden, zeigten, mit welcher Gefühllosigkeit die beiden Finanzorganisationen ihre aggressive Politik der Wirtschaftsliberalisierung durchsetzten, ohne das Leid der Bevölkerung im Blick zu haben.

Inzwischen wird den so genannten ehemaligen Bretton-Woods-Organisationen zwar nachgesagt, besser auf die Erfordernisse der globalen politischen und wirtschaftlichen Situation zu reagieren, insbesondere seit den Aufständen in den arabischen Ländern im Jahr 2011. Ein neuer Bericht der britischen Nichtregierungsorganisation 'Bretton Woods Project' (BWP), der die IWF-Strategien in vier Ländern der MENA-Region (Naher Osten und Nordafrika) vor und nach 2011 vergleicht, kommt allerdings zu dem Schluss, dass es "wenige substanzielle Veränderungen" gegeben hat.

"Die Rhetorik des IWF mag sich gewandelt haben, nachdem die Bevölkerung auf breiter Ebene Reformen in ihren jeweiligen Ländern gefordert hat. Die von dem Fonds unterstützten Strategien erscheinen jedoch wenig verändert", sagte der Autor der Studie, Mohammed Mossallem.


Ägypten ging bei IWF-Kreditverhandlungen leer aus

Im Mai 2011 hätten sich eine Gruppe internationaler Institutionen und die Regierungen der G8-Staaten unter dem Dach der 'Deauville-Partnerschaft' zusammengeschlossen und bis zu 40 Milliarden US-Dollar in Form von Krediten und anderer Unterstützung für die so genannten 'Arabischen Länder im Übergang' (ACT) zugesagt, so Mossallem. Bis 2012 schloss der IWF zweijährige Kreditabkommen mit Marokko und Jordanien, gewährte dem Jemen eine Nothilfekreditlinie und traf mit Tunesien eine vorsorgliche Finanzierungsvereinbarung. Ägypten verhandelte dagegen in zwei Runden erfolglos über ein Darlehensprogramm.

In dem 24 Seiten umfassenden Bericht werden die Auswirkungen der Politik des IWF auf die post-revolutionären arabischen Staaten im Detail analysiert und die Kooperation des Fonds mit den Regierungen Tunesiens, Marokkos, Jordaniens und Ägyptens bis in die Jahre vor 2011 zurückverfolgt. In allen vier Ländern wurden auf Betreiben des IWF umfassende Strukturreformen durchgeführt. Internationale Finanzorganisationen bescheinigten ihnen dabei Erfolg.

Angesichts des Niedergangs der Volkswirtschaften in Entwicklungs- und Industrieländern in der jüngeren Vergangenheit plädiert der Report 'The IMF in the Arab World: Lessons Unlearnt' für "einen Übergang zu antizyklischen Strategien und höheren Staatsausgaben zur Verhinderung von Rezessionen, eine Ankurbelung der Wirtschaft, den Aufbau produktiver Beschäftigungsverhältnisse, die Unterstützung von Entwicklungserfordernissen und Nachbesserungen beim Sozialvertrag". In diesem Zusammenhang werden staatliche Subventionen, Austeritäts- und Liberalisierungsmaßnahmen sowie Privatisierungen eingehend betrachtet.

Der IWF müsse sich darüber im klaren werden, dass die arabischen Regierungen Energie und Lebensmittel in großem Umfang subventionierten, um ihre Bürger angesichts der hohen Warenpreise zu entlasten, meint BWP. Da es in der Region keine weit entwickelten Sozialsysteme gibt, würden die zurzeit geforderten einschneidenden Subventionskürzungen die Bevölkerung noch ärmer machen und die sozialen Gegensätze weiter verschärfen.

In dem Report wird der Währungsfonds aufgefordert, soziale Schutzmechanismen als Voraussetzung für jedwede ernsthafte Reform der Subventions- und Rentenschemata zu schaffen. "In seinen nach 2011 veröffentlichten Berichten hat der IWF schadensbegrenzende Maßnahmen begleitend zu den Subventionsreformen vorgeschlagen. Dazu zählen die Ausweitung der sozialen Sicherungssysteme sowie gezielte Energiebeihilfen oder 'Cash Transfers'."


Soziale Sicherungssysteme rückständig

Dabei wird allerdings übersehen, dass die Sozialschutzsysteme in den arabischen Staaten unterentwickelt sind. Nicht ausreichende Verwaltungskapazitäten, ein großer informeller Wirtschaftssektor und Korruption sind nur einige der Hindernisse, die daran zweifeln lassen, dass diese schadensbegrenzenden Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden können. "Diese Subventionen sind unwirksam. Ein erheblicher Teil wird von reichen Unternehmen genutzt und kommt nicht dem Teil der Bevölkerung zugute, der sie am dringendsten brauchen würde", so der Bericht.

In einer Untersuchung werde der IWF dafür kritisiert, mit seinen Forderungen nach einem kurz- bis mittelfristigen Subventionsabbau im Energiesektor nur die Symptome und nicht die Gründe für die tief wurzelnde soziale und wirtschaftliche Ungleichheit zu bekämpfen, die zu den Volksaufständen in der Region geführt habe, hebt der BWP-Report hervor. "Die Minderleistung der arabischen Staaten wird nicht ohne tiefgreifende Veränderungen der Produktionsstrukturen ihrer Volkswirtschaften umzukehren sein. Zu diesem Ziel müssen effiziente Institutionen aufgebaut werden, die die wirtschaftliche und soziale Entwicklung zur Priorität erheben."

Auch die Vereinten Nationen und die Internationale Arbeitsorganisation ILO warnten wiederholt vor den Folgen von Austeritätsprogrammen, die die globale Wirtschaft weiter in die Rezession treiben und zu mehr Ungleichheit führen würden.


Gefahr unlauteren Wettbewerbs internationaler Konkurrenz

Mossallem wies darauf hin, dass eine Liberalisierung von Investitionen und Privatisierungen ohne eine unterstützende institutionelle Infrastruktur in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Entwicklungsländern zu fragwürdigen Ergebnissen geführt hätten. Solche Erfahrungen wurden auch in der arabischen Region gemacht. Der Abbau von Zollschranken, die Abschaffung vieler Importbeschränkungen, die Kürzung von Subventionen für Produzenten im Inland, die Privatisierung staatlicher Unternehmen und Einrichtungen sowie die Lockerung von Devisenkontrollen sind nur einige der zentralen Maßnahmen, die bereits umgesetzt wurden und weiterhin verlangt werden.

Laut dem Bericht könnte die Öffnung der Märkte für konkurrierende Importe und eine Liberalisierung ausländischer Direktinvestitionen zwar den Wettbewerb ankurbeln. Ohne Schutzmaßnahmen bestehe jedoch die Gefahr, dass ausländische Firmen unlauteren Wettbewerb betrieben und ihre dominante Stellung auf dem Markt ausnutzten.

BWF hält dem IWF vor, seine Strategie im Vergleich zu den Jahren vor 2011 nicht nennenswert verändert zu haben, obwohl die negativen Folgen der in der Region vorangetriebenen Handelsliberalisierung und Investitionspolitik längst deutlich geworden seien. "Die von den arabischen Ländern umgesetzten aggressiven Liberalisierungsstrategien haben oftmals zu einem unverhältnismäßigen Anstieg der Importe im Vergleich zu den Exporten geführt. Zugleich sanken die Produktions- und Fertigungskapazitäten dieser Volkswirtschaften." Der Report fordert den IWF auf, das souveräne Recht eines jeden Staates auf ein eigenes Entwicklungsmodell anzuerkennen. (Ende/IPS/ck/23.12.2015)


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http://www.indepthnews.info/index.php/global-issues/2632-imf-does-not-trigger-bread-riots-but-sticks-to-old-policies

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IPS-Tagesdienst vom 23. Dezember 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Dezember 2015

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