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REDE/009: Finanzminister Wolfgang Schäuble zum Haushaltsgesetz 2012, 22.11.2011 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag am 22. November 2012 in Berlin:


Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Wir führen diese Haushaltsdebatte in einer Zeit ungewöhnlicher Beunruhigungen an den Finanzmärkten. Wir wissen, dass sich die Unruhe an den Finanzmärkten allmählich in die Realwirtschaft umsetzt. Daran kann leider kein Zweifel bestehen; der Kollege Norbert Barthle hat das zu Beginn dieser Haushaltsdebatte angesprochen.

Wir werden alles daransetzen, die Gefahren für die Stabilität des Euro als Ganzen zu bekämpfen, aber wir werden das nur auf eine Weise tun: Wir werden sicherstellen, dass die gemeinsame europäische Währung eine stabile Währung bleibt - das ist das Versprechen der gemeinsamen europäischen Währung, das wir gegeben haben -, mit einer unabhängigen Notenbank, die nicht als Staatsfinanzierer zur Verfügung steht. Wir werden dabei nicht darum herumkommen - um auch diese Bemerkung zu machen -, das Instrumentarium zur Durchsetzung der verabredeten Begrenzung im Bereich der nationalen Finanz- und Haushaltspolitik zu schärfen, und ich bin davon überzeugt, dass wir dafür innerhalb der Euro-Zone kurzfristig Vertragsänderungen brauchen.

Das ist die eine Seite, die wir sehr klar benennen müssen. Darüber hinaus können wir aus anderen, aus globalen Gründen eine Abschwächung der Konjunktur feststellen. Auch dies spiegelt sich in der wirtschaftlichen Entwicklung wider. Nichtsdestoweniger ist unsere reale wirtschaftliche Situation - in einer Haushaltsdebatte muss man eine wirtschaftliche Einordnung vornehmen; wir stehen ja am Beginn dieser Haushaltswoche - nach wie vor eine starke. Norbert Barthle hat ja den jüngsten Konjunkturbericht der EU-Kommission erwähnt. Nach wie vor sind wir die Wachstumslokomotive in Europa. Wir sind der Stabilitätsanker. Gerade in dieser krisenhaften, von großer Beunruhigung geprägten Situation fällt uns daher eine besondere Verantwortung in Europa zu, auch eine Führungsverantwortung. Wir stellen uns dieser Verantwortung auch mit diesem Haushaltsentwurf, über den wir in dieser Woche beraten. Ich bitte schon jetzt darum, ihn zu beschließen.

Zum Thema Verantwortung gehört im Übrigen auch, dass wir im europäischen und im G20-Rahmen andere Debatten, die unter dem Stichwort "Imbalances" geführt werden, auszuhalten haben. Dieses Stichwort habe ich in Ihren Wortbeiträgen überhaupt nicht gefunden, Herr Kollege Schneider. Von Ihren Kollegen im Europäischen Parlament bin ich in den letzten Wochen richtig gequält worden. Wir mussten vermeiden, dass aufgrund von Überschüssen Sanktionsverfahren gegen uns geführt werden. Diese Debatte führen wir im globalen Bereich übrigens schon seit Beginn dieser Legislaturperiode. Sie werden sich an die Debatten erinnern, die wir vor einem Jahr mit dem amerikanischen Finanzminister geführt haben. Es wurde behauptet, wir würden mit einer zu schnellen Reduzierung unseres Defizits - das war der Vorhalt - das globale Wachstum gefährden. Ich habe immer gesagt: Nein, wir machen das, was wir immer gesagt haben. Wir machen eine wachstumsfreundliche Politik der Defizitreduzierung. - Der Haushalt 2012, der im Entwurf zur Beschlussfassung vorliegt, entspricht genau dieser Linie. Wir setzen die Konsolidierungs politik fort, aber auf eine Weise, die die ohnedies nicht besonders starke Konjunktur nicht gefährdet, sondern zur Verstetigung beiträgt. Das ist wachstumsfreundliche Defizitreduzierung.

Mit Zahlenspielen - da geht es endlos rauf und runter - kann man die Öffentlichkeit verwirren. Den Versuch unternehmen Sie; aber auch durch Wiederholung werden falsche Zahlen nicht richtig. Sie vergleichen bei Soll und Ist wirklich Äpfel mit Birnen.

Wir haben angefangen mit dem Haushalt 2010. Der erste Entwurf, den ich vorfand, war noch von meinem Vorgänger: 86,1 Milliarden Euro Neuverschuldung. Dann haben wir den Entwurf mit 85,8 Milliarden Euro aufgestellt. Wir haben ihn mit knapp 80 Milliarden Euro Neuverschuldung verabschiedet. Im Ist waren es dann für 2010 48 Milliarden Euro. Gleichzeitig haben wir den Haushaltsentwurf für 2011 mit 48,4 Milliarden Euro Neuverschuldung im Parlament verabschiedet. Am Ende dieses Jahres werden das - das ist jetzt absehbar - vermutlich 22 Milliarden Euro tatsächliche Neuverschuldung sein. Nun stellen wir einen Haushalt mit 26,1 Milliarden Euro Neuverschuldung als Obergrenze auf.

Der Kollege Fricke hat auf den grundlegenden Unterschied in der Betrachtungsweise hingewiesen: Ihnen geht es immer darum, möglichst viel Geld auszugeben. Uns geht es darum, eine möglichst vernünftige, verantwortliche, solide Finanzpolitik zu betreiben.

Ich sage Ihnen zu, Frau Kollegin Hinz: Sie werden auch im Jahre 2012 erleben, dass die Bundesregierung, die Koalition und der Bundesfinanzminister sehr darauf achten, dass wir auch im Haushaltsvollzug mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sorgsam und verantwortungsvoll umgehen. Wie hoch die Neuverschuldung am Ende des Jahres sein wird, wissen wir nicht. Aufgrund der Erfahrungen sage ich aber: Bei uns ist das Prinzip der Vorsicht angesagt. Sie brauchen sich doch nur anzuschauen, wie sich die Ausgaben im Bundeshaushalt in dieser Legislaturperiode entwickelt haben. Es hat seit den 70er Jahren keine Legislaturperiode gegeben, in der wir Jahr für Jahr bei den Ausgaben eine durchschnittliche Steigerungsrate von unter eins Prozent hatten, und zwar bei einer Geldentwertungsrate, die maßvoll, aber doch höher ist. Das ist doch die entscheidende Zahl. Wenn unsere Ausgaben Jahr für Jahr real rückläufig sind, dann ist das maßvoll.

Es ist doch erfreulich, dass sich der Arbeitsmarkt so positiv entwickelt hat. Das ist doch auch ein Erfolg der Politik dieser Bundesregierung, und dazu gehört auch die Finanzpolitik.

Die Bundesbank hat uns aufgefordert - das steht im jüngsten Bundesbankbericht; Sie haben ihn erwähnt -, das Mittelfristziel eines strukturell annähernd ausgeglichenen Staatshaushalts früher zu erreichen. Dazu will ich sagen: Das Mittelfristziel des annähernd ausgeglichenen Haushalts nach dem europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt sieht ein strukturelles Defizit von maximal einem halben Prozent vor. Dieses Ziel werden wir nach den jetzt vorliegenden Planungen im kommenden Jahr erreichen. Wir sind weit vor dem Plan. Von daher werden wir unserer Verantwortung als Wachstumslokomotive und als Stabilitätsanker in Europa gerecht.

Ich möchte noch eine Bemerkung machen. Bereits in der Einbringungsrede zum Bundeshaushalt habe ich beschrieben, dass wir keine vom Gesetzgeber nicht beschlossenen Steuererhöhungen - das nennt man "kalte Steuerprogression" - wollen. Deswegen haben wir verabredet, dass wir so, wie es von Verfassung wegen notwendig ist, das Existenzminimum erhöhen und darüber hinaus darauf achten werden, dass sich durch das Zusammenwirken von Steuerprogression im Lohn- und Einkommensteuerbereich und Geldentwertungsrate nicht eine höhere prozentuale Belastung der Einkommen ergibt. Daraufhin hat ein Kollege der Opposition gesagt, wir würden die Steuerpolitik nicht für die kleinen Leute machen, die seien davon gar nicht betroffen. Das ist wahr. Menschen, die keine Steuern zahlen, sind weder von der Steuerprogression noch von Steuerentlastungen betroffen.

Dass das Zerrbild, das Sie von unserem Steuersystem gezeichnet haben, nicht stimmt, zeigt sich gerade darin, dass ein erheblicher Teil unserer Bevölkerung von Lohn- und Einkommensteuer befreit ist und bleibt, und zwar auch durch unsere Steuerpolitik, nämlich durch eine maßvolle Anhebung des steuerfreien Existenzminimums.

Würden wir nicht eine solche Entscheidung treffen, dann würde man uns unterstellen, dass wir darauf setzen, dass durch das Zusammenwirken von weniger Preisstabilität und Steuerprogression Mehreinnahmen entstehen.

Wir werden demnächst einen Gesetzentwurf einbringen. Dann werden wir darüber sehr ausführlich reden. - Die Fakten haben wir schon. Das hat sein geordnetes Verfahren. Das ist im Grundgesetz und in der Geschäftsordnung des Bundestages geregelt. Dann werden wir von Ihnen hören wollen, ob Sie entgegen den verfassungsrechtlichen Anforderungen gegen eine Anhebung des steuerfreien Existenzminimums sind.

Ich sage Ihnen: Die glaubwürdigste Entscheidung einer Regierung für Preisstabilität ist, dass sie dauerhaft auf die kalte Progression, auf die Vorteile einer heimlichen Besteuerung verzichten will. Die Auswirkungen sind jetzt aufgrund der niedrigen Preissteigerungsrate nur gering; das ist wahr. In der Entscheidung, dass wir dies in Zukunft als strukturelle Maßnahme wieder und wieder machen, liegt der eigentliche Reformansatz dieser Verabredung. Deswegen ist es ein Bekenntnis zur Stabilität.

Sie wollen mit all dem, was Sie finanzpolitisch vorschlagen, in Wahrheit Steuererhöhungen. Steuererhöhungen helfen hier nicht weiter. Wenn Sie das Geld zur Verfügung haben, wird es auch ausgegeben. Wenn Sie zu einem vernünftigen Umgang mit dem Geld der Steuerzahler kommen wollen, müssen Sie die Einnahmen knapp halten. Das ist notwendig. Nur in diesem Rahmen können wir die entsprechende Gestaltungsverantwortung tragen.

Letzte Bemerkung. Wir arbeiten daran, unsere gemeinsame europäische Währung stabil zu halten, weil wir eine Verantwortung für Europa haben und Europa eine Verantwortung in der globalen Welt hat. Diese Verantwortung kann Europa nur erfüllen, wenn wir für Nachhaltigkeit eintreten. Wenn wir Nachhaltigkeit wollen, müssen wir in der Finanzpolitik für Stabilität sorgen. Der Haushaltsentwurf, so wie er zur Beschlussfassung vorliegt, entspricht diesen Anforderungen. Ich bitte um Ihre Zustimmung.


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Quelle:
Bulletin Nr. 123-2 vom 22.11.2011
Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble,
zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag am 22. November 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2011