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FRIEDEN/1034: Außenminister Guido Westerwelle im Schatten Jürgen Möllemanns (SB)



Was das Verhältnis der Bundesrepublik zu Israel betrifft, so lastet auf den Schultern des deutschen Außenministers eine schwere Hypothek. Guido Westerwelle wird bis heute vorgeworfen, er habe Jürgen Möllemann 2002 zu lange bei dessen angeblich antisemitischer Kampagne gegen den damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon gewähren lassen. Daraus ergibt sich eine Bringschuld Westerwelles, wie die Stellungnahme des Zentralrats der Juden in Deutschland zeigt, der für den Besuch des Außenministers in Israel positive Akzente anmahnte. Hier habe die FDP "erheblichen Nachholbedarf", so der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan Kramer, gegenüber der Passauer Neuen Presse (23.11.2009). Westerwelle habe sich "nicht besonders damit hervorgetan, die Kritiker und Feinde Israels zu verurteilen", so sein kategorisches Urteil. Sein Besuch in Israel könne daher nur ein erster Schritt der Vertrauensbildung sein, stellt Kramer fest. Zudem moniert er die Zurückhaltung der FDP bei der Forderung nach Sanktionen gegen den Iran, der seiner Ansicht nach Wirtschaftsinteressen zugrundeliegen.

Der sogenannten Möllemann-Affäre lag im wesentlichen ein Streit mit Michel Friedman zugrunde. Dem damaligen Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden hatte der FDP-Politiker in einem ZDF-Interview vorgeworfen, dem Antisemitismus in Deutschland durch seine "intolerante und gehässige Art" mehr Zulauf verschafft zu haben als Ariel Sharon. Das löste einen Eklat aus, bei dem Möllemann unterstellt wurde, er habe damit gemeint, Juden seien selbst für den Antisemitismus verantwortlich, den sie zu erleiden haben. Obwohl der FDP-Politiker klarstellte, daß es ihm um die Kritik an der israelischen Besatzungspolitik ging und keineswegs um eine generelle Anfeindung von Juden, wurde er den Ruf des rechtspopulistischen Antisemiten nicht mehr los. Da der passionierte Politiker nicht darauf verzichtete, trotz seiner bereits prekären Position mit Angriffen auf die Politik Sharons Wahlkampf zu betreiben, wurde der ehemalige Bundesminister und stellvertretende Bundeskanzler von seiner eigenen Partei und nicht zuletzt ihrem Vorsitzenden Westerwelle nach der Bundestagswahl 2002 kaltgestellt.

Dieser hatte im Mai 2002 einen seit längerem geplanten Besuch in Israel absolviert, bei dem ihm Sharon vor den laufenden Kameras der internationalen Medien Vorhaltungen über die Verbreitung des Antisemitismus in Deutschland machte. In dieser Situation half Westerwelle keine Stellungnahme gegen den Antisemitismus, er war durch seine Verbindung zu Möllemann mit dem Makel des Judenhasses befleckt. Wenn der deutsche Außenminister nun in ausführliche Beratungen mit seinem israelischen Kollegen Avigdor Lieberman tritt, dann holt ihn die Möllemann angelastete Nähe zum Rechtsextremismus von ganz anderer Seite wieder ein. Noch sein Vorgänger Frank-Walter Steinmeier achtete strikt darauf, seine Treffen mit dem israelischen Außenminister kurz zu halten und diskret zu absolvieren, sind dessen rassistische Äußerungen gegenüber Palästinensern doch allgemein bekannt. So verrufen Möllemann auch sein mag, seine politischen Positionen zum Nahostkonflikt bewegten sich im Rahmen der dafür zuständigen UN-Resolutionen und standen unter der Prämisse, daß am Existenzrecht Israels in sicheren Grenzen kein Zweifel bestehen kann. Lieberman hingegen hat keine seiner Äußerungen, mit denen er Palästinenser und israelische Araber zu Menschen zweiter Klasse herabwürdigte, zurückgenommen noch einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 jemals gutgeheißen.

Ungeachtet der nie erfolgten Aufarbeitung der sogenannten Möllemann-Affäre, die der Instrumentalisierung des Antisemitismusverdachts gegen Kritiker der israelischen Besatzungspolitik erheblichen Vorschub leistete und die mit dem Tod des Fallschirmspringers im Juni 2003 endgültig ad acta gelegt wurde, ist der amtierende Außenminister für alle Fragen, die die Politik des Nahen und Mittleren Ostens betreffen, so korrumpiert, daß er kaum mit einer unabhängigen Meinung und Bewertung in Erscheinung treten kann. Westerwelle fordert zwar das Einfrieren des Ausbaus israelischer Siedlungen, doch damit kann er sich auf den breiten Konsens zumindest der EU-Regierungen stützen. Er ist jedoch keineswegs in der Lage, an die nach wie vor relevante Verhandlungsgrundlage der Schaffung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 anzuknüpfen oder gar die Bedeutsamkeit des Goldstone-Reports anzuerkennen.

Auf diesem wichtigen Feld der Außenpolitik, das von der Gefahr eines Angriffs auf den Iran durch die USA, Israel oder sogar die NATO bestimmt ist, kann Westerwelle bestenfalls Mitläufer und Parteigänger der potentiellen Aggressoren sein. Einmal abgesehen davon, daß Bundeskanzlerin Angela Merkel längst die Weichen zugunsten der Unterstützung der USA und Israels im Konflikt mit dem Iran gestellt hat, verfügt Westerwelle in allen diplomatischen Angelegenheiten, in denen Sicherheitsinteressen Israels geltend gemacht werden, über noch weniger Handlungsfreiheit als seine Vorgänger. Das wiederum schadet dem Interesse der Bundesbürger daran, daß die Bundesrepublik sich nicht an kriegerischen Eskalationen beteiligt.

Sieben Jahre nach dem Eklat um Möllemanns Streit mit Friedman und Kritik an Sharon geht die Saat des gegen den verstorbenen FDP-Politiker in Stellung gebrachten Gesinnungsverdachts auf, ohne daß Westerwelle sich die Argumente seines Parteikollegen zu eigen machen mußte. Sich der Anprangerung Möllemanns nicht sofort angeschlossen zu haben reicht heute noch dazu aus, als unzuverlässiger Kantonist der anderen Seite exponiert zu werden, was zeigt, daß die Instrumentalisierung des Antisemitismus nichts von ihrer Wirksamkeit im politischen Kampf eingebüßt hat.

23. November 2009