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FRIEDEN/1039: Auf Gaza liegt der Schatten der Neuen Weltgewaltordnung (SB)



Der Iran steht am Pranger der Menschenrechtskrieger und wird in die Zielführung der Lenkwaffen einprogrammiert, um einen atomar hochgerüsteten Staat vor erst noch zu bauenden Atomwaffen präventiv zu verteidigen. Durch Afghanistans Himmel kreuzen hochentwickelte HighTech-Produkte der westlichen Wertegemeinschaft und führen die Demokratie ein, indem sie einer Bevölkerung mit durchschnittlicher Lebenserwartung von 45 Jahren erklären, daß ihre vom Hunger ausgezehrten Körper für dieses Ziel einen zusätzlichen Aderlaß zu leisten haben. In Pakistan fällt der Tod aus heiterem Himmel, gelenkt von Videospielern in Uniform, die irgendwo in einer namenlosen US-Vorstadt bei Cola und Chips vor dem Bildschirm sitzen, über ahnungslose Familien her. Im Irak hungert man nach fast 20 Jahren Krieg und Sanktionen besseren Zeiten entgegen, und in Gaza gedenken die Menschen der Opfer der vor einem Jahr über sie hereinbrechenden Kriegsmaschinerie Israels.

Gaza ist im Schreckensszenario der Neuen Weltordnung ein ganz besonderer Ort. Offiziell von der israelischen Besatzungsmacht befreit leiden seine Bewohner mehr denn je unter ihren Folgen. Von der westlichen Wertegemeinschaft ermutigt zu einem demokratischen Wahlgang entschieden sie sich für die falsche Partei und stehen seitdem unter verschärfter Lagerhaft. Der demokratische Wettkampf unter den zwei größten Bewerbern hat sich in einen Schwestern- und Brüderkrieg verwandelt, da die eine Seite von nämlicher Wertegemeinschaft bewaffnet, während die andere mit ihrer Gutheißung ausgehungert wird.

Israels Überfall auf Gaza wurde zwar als in seiner Zerstörungsgewalt übertrieben und unverhältnismäßig bemängelt, wird jedoch allgemein als berechtigter Akt der Selbstverteidigung bewertet. Die exakte Vorgeschichte dieser Aggression interessiert westliche Politiker, die ansonsten bei kleinen Unregelmäßigkeiten der politischen Konkurrenz jahrelang tagende Untersuchungsausschüsse einrichten, nicht im geringsten, denn sie förderte zutage, daß die Angegriffenen im Rahmen gegenseitiger Gewaltanwendung angemessen agierten, den Forderungen der Aggressoren weitgehend entsprachen und für den ihnen angelasteten Beschuß nur bedingt verantwortlich gemacht werden können. Die Verfasser der Jahresrückblicke kommen zwar nicht umhin, dieses Massaker, dem über 1400 Palästinenser zum Opfer fielen, zu erwähnen, tun aber alles dafür, den Deckel auf einer Empörung zu halten, die auch das Verhalten der eigenen Regierung betreffen und sich gegen andere Gewaltprojekte der Neuen Weltordnung richten könnte.

Die Verbindung zwischen dem demokratischen Umerziehungslager Gaza, den Nation Building-Protektoraten Afghanistan und Irak sowie der Ausgrenzung mißliebiger Länder des Südens wie Iran, Venezuela oder Kuba liegt im Anspruch der westlichen Staaten, Sachwalter universeller Werte zu sein und diese auch zum Preis ihrer praktischen Widerlegung durchzusetzen. Die zugrundeliegenden geostrategischen und hegemonialen Interessen werden nach Möglichkeit nicht beim Namen genannt oder von den neokonservativen Wortführern auf den Begriff eines neuen, angeblich wohlwollenden Imperialismus gebracht. Laut diesem müssen die noch nicht in die Neue Weltordnung integrierten Staaten, natürlich nur zu ihrem eigenen Wohl, zum Preis ihrer militärischen Überwältigung eines Besseren belehrt werden.

In Gaza setzt die offenliegende Unvereinbarkeit von freiheitlichem und demokratischen Anspruch sowie machtpolitischer und kapitalistischer Wirklichkeit das Potential einer Gegenbewegung gegen die Zumutungen und Anmaßungen dieser Ordnung frei. Die physische Freiheitsberaubung, militärische Abstrafung und ökonomische Aushungerung der Palästinenser nimmt so den Charakter einer gegen jegliches Aufbegehren ausgebeuteter und unterdrückter Menschen gerichteten Präventivmaßnahme an. Wenn eine ganze Bevölkerung all ihrer Rechte beraubt wird, obwohl sie völkerrechtliche Garantien zu deren Wiederherstellung erhalten und auf demokratischem Wege versucht hat, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu bekommen, dann wird der rechtliche Ausnahmezustand mit der Herstellung einer faktischen Lagersituation konsequent als Maßnahme präventiver Aufstandsbekämpfung vollzogen. Wer sich ohne ideologische Scheuklappen mit der Geschichte des Nahostkonflikts beschäftigt, kommt nicht umhin, seine Genese und Fortschreibung weit über die Besatzungsmacht Israel hinaus als Produkt einer Politik zu erkennen, an der die imperialistischen Mächte Nordamerikas und Westeuropas maßgeblichen Anteil haben.

Der Kernwiderspruch dieses Konflikts liegt in der massenmedial dominanten Lesart, laut der die Palästinenser zumindest teilweise in selbstverschuldetem Elend lebten, und der offenen politischen, militärischen, ökonomischen und ökologischen Gewaltanwendung, der sie ohnmächtig ausgesetzt sind. Nur mit der Unterstellung, daß sie das ihrige zu ihrer Entrechtung beigetragen hätten, läßt sich die verfassungsrechtliche Integrität westlicher Regierungspolitik behaupten. Die Unterstützung Israels, die sich unterhalb der Schwelle vorbehaltloser Gutheißung der Besatzungspolitik als Verzicht auf das Ergreifen wirksamer Maßnahmen zu deren Beendigung wie der Diffamierung der Aktivistinnen und Aktivisten, die dennoch zu solchen aufrufen, wirksam wird, müßte ansonsten mit entsprechenden politischen Konsequenzen als Verstoß gegen die eigenen Werte verurteilt werden, gerade weil diese an anderen Staaten mit aller Gewalt exekutiert werden.

So tritt die Destruktivität der Neuen Weltordnung in diesem Konflikt so unverhohlen wie in kaum einem anderen in Erscheinung. Die Bewohner Gazas leiden unter ihrer willkürlichen Freiheitsberaubung, unter dem Mangel an grundlegenden Versorgungsgütern, unter dem jederzeit möglichen Entzug essentieller Dienstleistungen, unter den ökologischen Folgen der Mangelwirtschaft und Kriegszerstörung, unter der Traumatisierung insbesondere der Kinder und Jugendlichen, unter ihrer politischen Entmündigung, internationalen Isolation und den jederzeit möglichen Übergriffen der Besatzungsmacht. Ihre Lage verweist auf eine Zukunft, die für Milliarden Arme und Hungernde bereits praktische Realität ist, in der Konzentration administrativer Zwangsmaßnahmen bei aufrechterhaltenem demokratischen Schein jedoch innovative Qualitäten staatlicher Verfügungsgewalt und Mangelverwaltung erkennen läßt.

Wenn der dauerhafte Entzug grundlegender Rechte, wenn die Bombardierung einer Bevölkerung, der nicht einmal die Möglichkeit zur Flucht aus dem angegriffenen Gebiet gewährt wurde, nicht eindeutig als Verbrechen verurteilt und die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, dann wird damit eine neue Norm demokratisch legitimierter Verfügungsgewalt gesetzt. Die von den Verbündeten Israels versuchte Diskreditierung des Goldstone-Reports tat ein übriges dazu, das Freiheit und Demokratie vergewaltigende Blendwerk als solches durchschaubar zu machen. Der daraus resultierende Legitimationsverlust ist durch symbolpolitischen Aktionismus nicht mehr einzuholen und muß daher durch repressive Maßnahmen kompensiert werden. An ihnen wird sich zeigen, daß Gaza überall ist, wo Raubinteressen zur Anwendung von Zwang und Gewalt ermächtigen.

26. Dezember 2009