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FRIEDEN/1047: Menschenrechtskrieger in Konfrontation mit Iran nicht gefragt (SB)



Im Anschluß an die Münchner Sicherheitskonferenz hat der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Omid Nouripour, beklagt, daß die Menschenrechte im Iran für die dort versammelten Politiker kein Thema waren. Seiner Ansicht nach ist es ein großer Fehler zu versuchen, dieses Thema von der Atomfrage abzukoppeln, "weil die Menschenrechtsfrage, weil die Situation im Iran einen immensen inneren Druck macht, auch auf die Verhandlungsposition Ahmadinedschads im Atomstreit" (Deutschlandfunk, 09.02.2010).

Ganz allein ist Nouripour mit seinem Konzept, den auf den Iran ausgeübten Druck humanitär zu moderieren, nicht. So hat der Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel mehr als 50 Nobelpreisträger dazu gebracht, einen offenen Brief zu unterzeichnen, in dem die Menschenrechtsverletzungen der iranischen Regierung verurteilt und ihr Atomprogramm als Gefahr für die Menschheit bezeichnet wird. Er würde keine Träne vergießen, wenn Ahmedinejad bei einem Anschlag ums Leben käme, so Wiesel über den seiner Ansicht nach geisteskranken iranischen Präsidenten, der vorhabe, weitere sechs Millionen Juden umzubringen (Haaretz, 09.02.2010).

Auch Nouripour ist davon überzeugt, daß Ahmedinejad irrational genug ist, seine angeblichen Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel in die Tat umzusetzen. Die Idee, ihn mit menschenrechtlichen Argumenten zur Aufgabe seiner Position in der Atomfrage zu bringen, krankt allerdings an dem von ihm attestierten Problem, daß der dadurch begünstigte Oppositionsführer Mirhossein Mussawi sich gegenüber der Forderung, die Urananreicherung außerhalb des Landes zu vollziehen, nicht minder verschlossen zeigt, hat er doch seinem Gegner Ahmedinejad vorgeworfen, in der Atomfrage dem Westen gegenüber zu weich zu sein. Zwar ist der Politiker der Grünen der Ansicht, daß die Oppositionsbewegung keine Bedrohung für Israel darstellt und ihr Bestehen auf das Recht, die Urananreicherung in eigener Regie betreiben zu können, ausschließlich ziviler Art ist, doch wäre mit einem vom Westen unterstützten Regimewechsel nicht sicher garantiert, daß eine neue Regierung in Teheran mehr Zugeständnisse in der Atomfrage machte als die jetzige.

Zudem könnte der Verzicht auf ein bewährtes Feindbild wie Ahmedinejad strategische Nachteile zeitigen, was erklärte, warum die Regierungen der NATO die Menschenrechtskarte derzeit eher nicht ziehen. Je moderater die Teheraner Regierung wäre, desto schwächer wären die Argumente, mit denen sie zur Aufgabe der Urananreicherung im eigenen Land zu bringen wäre. Zudem rückten andere, den wichtigsten regionalen Gegner des Irans betreffende Fragen wieder in den Vordergrund. Wenn Elie Wiesel den Untersuchungsbericht des südafrikanischen Richters Richard Goldstone über den Überfall auf Gaza als "ein Verbrechen gegen das jüdische Volk" (Haaretz, 09.02.2010) geißelt, obwohl dem Dokument von zahlreichen Experten Seriosität und Unvoreingenommenheit attestiert wird, dann gerät sein humanitärer Ethos auch im Falle des Irans in den Verdacht interessenbedingter Parteinahme.

Je größer die internationale Legitimität einer iranischen Regierung wäre, desto erfolgreicher könnte sie die Aufmerksamkeit von der eigenen Atomproblematik auf die der von keiner internationalen Kontrolle behelligten Atomrüstung Israels lenken. Ein Regimewechsel in Teheran, der einen bewährten Politiker der Islamischen Republik wie Mussawi oder Ali Akbar Rafsanjani an die Spitze brächte, böte keineswegs die Garantie dafür, daß der Iran sein Hegemonialstreben aufgäbe und sich den geostrategischen Interessen des Westens nachordnete. Ein Erfolg der Oppositionsbewegung, der das gesamte theokratische System zum Einsturz brächte und damit auch dessen Gewährsleute im eigenen Lager ausmanövrierte, ist wiederum so unwahrscheinlich, daß die NATO-Regierungen aus gutem Grund darauf verzichten, mit ihrem weiteren Vorgehen auf eine solche Möglichkeit zu setzen.

Als Waffe, mit der sich eine geostrategische Konfrontation siegreich bestreiten läßt, haben sich Menschenrechte zusehends überlebt. Sie können diplomatische wie militärische Offensiven als Element der Legitimationsproduktion vorbereiten und flankieren, sind als zentraler Faktor globaler Machtpolitik jedoch zusehends harten materiellen Zwangsmitteln gewichen. Die realpolitische Anerkennung doppelter Standards bei ihrer Durchsetzung hat ihrer Glaubwürdigkeit geschadet, und die Rückbindung an den Gegner adressierter humanitärer Ansprüche an die Forderungen der eigenen Bevölkerung belastet die sich ihrer bedienenden Akteure mit einer Hypothek, die sie immer weniger aufnehmen wollen und auch können. Vergleicht man die Herrschaftspraktiken der iranischen Führung mit denen ihrer prowestlichen arabischen Nachbarn, dann zeigt sich, daß humanitäre Interventionen, wenn überhaupt, dann bei diesen stattzufinden hätten. Stellt man die von Israel in Palästina begangenen Rechtsbrüche und die von seiner Regierung ausgehenden Bedrohungen des Irans den Vorwürfen gegenüber, die der Teheraner Regierung angelastet werden, ergibt sich kein vorteilhafteres Bild. An der den Schaum der Ereiferung durchdringenden Erkenntnis, daß die gegen den Iran gerichteten Maßnahme dem bloßen Hegemonialstreben der westlichen Akteure geschuldet sind, kommt man daher immer weniger vorbei.

10. Februar 2010