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FRIEDEN/1062: Bundesregierung torpediert friedliche Annäherung im Nahostkonflikt (SB)



Um Frieden zu schließen, muß man miteinander sprechen, lautet die Grundregel diplomatischer Konfliktbewältigung. Im Falle Gazas scheint die Bundesregierung auf Krieg ohne Ende zu setzen. Das geht zumindest aus ihrem Verhalten gegenüber der dort regierenden Hamas hervor, deren Sieg in einer für die arabische Welt vorbildlichen demokratischen Wahl die Bundesrepublik seither zum Anlaß umfassender Boykottmaßnahmen nimmt. Da die politische Isolation der Hamas und die Wirtschaftsblockade des Gazastreifens nicht voneinander zu trennen sind, macht sich die Bundesrepublik auch mitschuldig an der humanitären Notlage, unter denen die Bewohner dieses hermetisch abgeschlossenen Gebiets leiden. Fast vollständig davon abgehalten, das Gebiet zu verlassen, wiederholt massiven militärischen Angriffen Israels ausgesetzt und im Griff eines systematisch erzeugten Mangelregimes wird an den Palästinensern in Gaza ein Exempel westlicher Grausamkeit statuiert, das die von europäischen und nordamerikanischen Regierungen beschworenen humanistischen Werte zur Karikatur zynischer Ignoranz verkommen läßt.

Wie gering das Interesse der Bundesregierung ist, daran etwas zu ändern, belegt die aktive Torpedierung jedes zivilgesellschaftlichen Engagements für den Frieden in Nahost. So wurde dem Hamas-Politiker Aziz Dweik, der am Wochenende auf der 8. Konferenz der Palästinenser in Europa sprechen sollte, laut Angabe der israelischen Botschaft in Berlin kein Visum ausgestellt. Das Schlimmste, was auf dieser Konferenz der palästinensischen Exilgemeinde, die in der Bundesrepublik bis zu 100.000 Mitglieder zählen soll, passieren könnte, besteht darin, daß die Teilnehmer der Konferenz den völkerrechtlichen Ansprüchen der Palästinenser eine Stimme verleihen. Unter Anwesenheit diverser Abgeordneter des Bundestags und deutscher Friedensaktivisten sollen sicherlich keine Bomben gebaut und antisemitischen Parolen gebrüllt werden. Doch der Bogen des Erträglichen wird für manche schon damit überspannt, wenn die palästinensischen Flüchtlinge das ihnen von den Vereinten Nationen zugesicherte Rückkehrrecht anmahnen und die Freiheit der in israelischen Knästen sitzenden politischen Gefangenen fordern.

Den Eindruck zumindest erweckt die Stellungnahme eines ungenannt gebliebenen israelischen Diplomaten, der in der Jerusalem Post (05.05.2010)[1] seiner "großen Befriedigung" darüber Ausdruck verleiht, daß die Bundesregierung keine Hamas-Mitglieder einreisen läßt, weil die Partei eine zu isolierende Terrororganisation sei. "Wir werden wachsam sein, um sicherzustellen, daß kein Hamas-Mitglied Deutschland als Plattform für Terrorpropaganda nutzen kann", versichert der Diplomat, ohne näher auszuführen, was genau an Terroristischem von diesem palästinensischen Politiker zu erwarten ist.

Wie viele andere Abgeordnete des palästinensischen Parlaments wurde Dweik trotz seiner Immunität nach dem Wahlsieg der Hamas 2006 als Mitglied der Partei festgenommen und blieb bis Juni 2009 in israelischer Haft. Ein Militärtribunal verfügte seine Entlassung gegen den Willen der Staatsanwaltschaft vermutlich wegen seiner sich unter den harten Haftbedingungen verschlechternden Gesundheit. Als Parlamentspräsident könnte Dweik theoretisch für eine Übergangszeit bis zur nächsten Wahl an die Stelle des Präsidenten Mahmud Abbas treten, dessen offizielle Amtszeit im Januar 2009 auslief, so daß er zweifellos ein politischer Gefangener von Gewicht war.

Dweik, der als Professor für urbane Geographie an der Universität in Nablus lehrte und seinen Doktor an der University of Pennsylvania machte, gilt als Repräsentant des moderaten Flügels der Hamas. Bei diversen Gelegenheiten distanzierte er sich von der Forderung der Hamas-Charta nach Errichtung eines palästinensischen Staates in ganz Palästina und gab sich als Anhänger der Zweistaatenlösung zu erkennen, was ihm unter radikalen Islamisten einige Kritik einbrachte. Dweik setzt sich insbesondere für die Versöhnung von Fatah und Hamas ein, ohne die die Palästinenser noch weniger Möglichkeiten besitzen, ihre Interesse an Eigenstaatlichkeit voranzubringen. Er wurde von israelischer Seite niemals der aktiven Beteiligung an terroristischen Verbrechen bezichtigt, so daß die Behauptung, er könne auf einer Konferenz unter dem Motto "Rückkehr ist unvermeidlich & Freiheit für unsere Gefangenen" terroristische Propaganda verbreiten, mehr aussagt über die Instrumentalisierung dieses Tatbestands durch die israelische Regierung denn über die Gesinnung des palästinensischen Politikers.

Einem solchen politischen Repräsentanten der Palästinenser kein Visum für die Bundesrepublik auszustellen kann nur bedeuten, daß die Bundesregierung daran interessiert ist, lediglich die das Westjordanland regierende Fatah als Gesprächspartner zu akzeptieren und damit eine machbare Friedenslösung zu verhindern. Präsident Mahmud Abbas und seinem Ministerpräsidenten Salam Fayyad ermangelt es nicht nur an demokratischer Legitimität, nachdem die Hamas-Regierung durch Israel und seine Verbündeten de facto gestürzt wurde. Die Palästinensische Autonomiebehörde hat sich unter ihrer Führung auch als Wachs in den Händen der Besatzungsmacht und des Nahost-Quartetts erwiesen. Nur weil sich über die Köpfe der palästinensischen Bevölkerung kein von Israel und seinen Verbündeten einseitig diktierter Friedensschluß durchsetzen läßt, der in einen aufgrund seiner territorialen Zersplitterung nicht lebensfähigen Pseudostaat mit stark eingeschränkten Hoheitsrechten unter Ausschluß Gazas und ohne Hauptstadt Jerusalem mündete, konnte die Regierung in Ramallah bisher nicht liefern, wozu man sie zu nötigen versucht.

Es liegt daher nahe, daß der fortdaudernde Boykott der Hamas nicht nur dazu dient, der Partei Zugeständnisse vor eventuellen Friedensverhandlungen abzupressen, die die Palästinenser von vornherein in eine der israelischen Seite unterlegene Position manövrierte. Er soll vor allem die Wiedererlangung politischer Stärke der Palästinenser verhindern. Eine Einigung von Fatah und Hamas unter Einbeziehung aller anderen Parteien, und sei es nur zum Zweck, endlich die völkerrechtlichen Ansprüche der Palästinenser zu verwirklichen, stellte Israel und seine Verbündeten vor erhebliche Legitimationsprobleme. Wenn alle Palästinenser in dieser Sache mit einer Stimme sprechen, dann müssen die Regierung der USA und EU Farbe bekennen und können sich nicht mehr auf die Kriminalisierung der Hamas oder an sie gerichtete Forderungen, die reziprok zu erfüllen Israel nicht bereit ist, zurückziehen.

Für die Stichhaltigkeit dieser These spricht auch die Behinderung einer Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll, die Anfang Juni unter Beteiligung von Vertretern der Fatah und Hamas Möglichkeiten zur inneren Einigung der Palästinenser und der Verwirklichung eines Friedens mit Israel ausloten soll. Der Verlauf der mit sachkundigen Wissenschaftlern, Politikern und Friedensaktivisten besetzten Veranstaltung ist in Frage gestellt, weil die Bundesregierung die Einreise des Gesundheitsministers der Hamas-Regierung in Gaza, Dr. Basem Naim, nicht genehmigen will. Er sollte in Bad Boll unter anderem auf den ehemaligen Sprecher der Knesset, Avraham Burg, auf den Fatah-Außenpolitiker Abdallah Frangi und Bundestagsabgeordnete aus CDU/CSU, SPD und FDP treffen.

Laut Haaretz (29.04.2010)[2] beriefen sich israelische Diplomaten bei der Forderung, Naim kein Visum zu erteilen, auf die Terrorliste der EU, in der die Hamas als terroristische Organisation geführt wird, was eine Einreise ihrer Mitglieder in die Bundesrepublik verbiete. Nun handelt es sich bei der EU-Terrorliste um ein höchst umstrittenes Instrument politischer Intervention, werden die Einzelpersonen und Organisationen, die durch ihre Nennung auf dieser Liste kriminalisiert werden, doch von einem geheim tagenden Gremium des Ministerrats auf der Basis dubioser Geheimdienstinformationen bestimmt. Eine rechtliche Prüfung des unterstellten Sachverhalts ist nicht vorgesehen, die Betroffenen müssen schwerwiegende Nachteile in Kauf nehmen, ohne daß ihre Stigmatisierung in einem nachvollziehbaren Prozeß zustandekommt. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen protestieren seit Jahren gegen das undemokratische Verfahren, mit Hilfe dessen Menschen ihrer legalen Existenz aus, wie man mutmaßen muß, politischen Gründen beraubt werden.

Der Willkürcharakter der EU-Terrorliste wurde bei betroffenen Einzelpersonen bereits durch das Europäischen Gericht (EuG) und den Europäischen Gerichtshof (EuGH) bestätigt, und schon vor einem Jahr forderten diverse Nobelpreisträger, Schriftsteller und Politiker, die Hamas von der Liste zu streichen. Da die Bundesregierung etwa im Fall des als Schlächter von Andijan verschrieenen usbekischen Innenministers Zakir Almatow 2005 kein Problem damit hatte, den Politiker unter Mißachtung des gegen ihn verhängten EU-Einreiseverbots in Deutschland zu empfangen, was sich zweifellos positiv auf den Erhalt der für den Afghanistankrieg wichtigen Bundeswehrbasis im usbekischen Termez auswirkte, ist es wenig glaubwürdig, wenn sie auf die strikte Gültigkeit der rechtlich höchst fragwürdigen EU-Terrorliste im Falle des Hamas-Ministers besteht.

Zwar ist bei der Evangelischen Akademie Bad Boll noch keine offizielle Erklärung eingegangen, daß Naim nicht einreisen darf, doch die inzwischen erfolgte Ablehnung der Bundeszentrale für politische Bildung, die zuvor eine Förderung der Tagung in Erwägung gezogen hatte, läßt ahnen, daß im Räderwerk des Berliner Regierungsgetriebes einiges in Aufruhr geraten ist. Man zieht sich auf Paragraphenreiterei zurück und sucht Zuflucht bei ideologischen Dogmen, wie das Bundesinnenministerium mit der Verlautbarung erkennen läßt: "Die Hamas hat sich satzungsgemäß dem Ziel einer Vernichtung des Staates Israel verschrieben. Jede Förderung einer solchen Organisation scheidet deshalb von vorneherein aus" (Südwest-Presse, 30.04.2010)[3].

Eherne Grundsätze wie diese halten die Bundesregierung nicht davon ab, höchst zerstörerische Waffen an Israel zu liefern und damit einen Staat aufzurüsten, der an der Bevölkerung Gazas, die zu einem Großteil aus Kindern und Jugendlichen besteht, ein regelrechtes Massaker beging. Gesundheitsminister Naim hätte zweifellos aus erster Hand einiges über die menschenfeindlichen Praktiken des israelischen Besatzungsregimes zu berichten, über zahllose traumatisierte Kinder, über lebensgefährliche medizinische Unterversorgung und den Mangel an allem, was es zu einem Dasein in Anstand und Würde bedarf. Man muß die Hamas nicht mögen, ihre islamische Ideologie gutheißen oder ihre antiemanzipatorischen Positionen akzeptieren, um ihr Anrecht zu unterstützen, als demokratisch gewählte Kraft einen Teil der Palästinenser politisch zu repräsentieren. Von der zielsicher vorgehenden israelischen Luftwaffe zerstört wurde auch das Gebäude des palästinensischen Parlaments in Gaza - Demokratie ist ein hehres Ideal, das, wenn es in unbequeme politische Wirklichkeit umgemünzt werden soll, doch sehr störend wirken kann. Den Palästinensern die gleiche Stimme und die gleichen Recht zuzugestehen, die man als Bürger Deutschlands und Israels für selbstverständlich nimmt, ist eben nicht jeder Frau und jedes Mannes Sache - einige waren schon immer gleicher als andere.

Fußnoten:

[1] http://www.jpost.com/International/Article.aspx?id=174701

[2] http://www.haaretz.com/print-edition/news/germany-hamas-official-won-t-get-visa-for-conference-1.287357

[3] http://www.swp.de/ulm/nachrichten/suedwestumschau/art4319,464232

6. Mai 2010