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FRIEDEN/1065: Netanjahu braucht Feinde, um Israels Politik zu rechtfertigen (SB)



In einer Fernsehansprache an die Bevölkerung Israels hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Angriff auf die Gaza Freedom-Flottille zu einem legitimen Akt der Selbstverteidigung erklärt. Er begründete dies damit, daß Gaza in einen Hafen des Irans verwandelt werden soll, von dem letztlich auch Europa bedroht werde, und daß die das Gebiet regierende Hamas plane, sich weittragende Raketen zu verschaffen. Von israelischen Behörden unkontrollierten Schiffsverkehr dürfe es daher nicht geben, zudem habe es sich bei den Personen an Bord des aufgebrachten "Haßschiffs" um "gewalttätige Unterstützer des Terrorismus" gehandelt. Israel habe "jedes Recht zu verhindern, daß todbringende Waffen in feindliches Territorium gelangen", so Netanjahus Kernaussage, mit der er den Angriff auf die Gaza Freedom-Flottille rechtfertigte [1].

Selbst wenn die von dem israelischen Regierungschef aufgestellten Bezichtigungen zuträfen, ließen sie eine Verabsolutierung der eigenen Sicherheitsinteressen erkennen, mit denen ad hoc erklärt wird, daß es keine friedliche Einigung mit den Palästinensern oder anderen Nachbarn geben kann. Die von ihm bezogene Position, angeblich aus Sicherheitsinteressen keinerlei Zugeständnisse an die Palästinenser, die Vereinten Nationen und die vielen Regierungen, die die Aufhebung der Blockade verlangen, zu machen erklärt jeden, der sich nicht als Bürger des jüdischen Staats, als den Netanjahu Israel explizit bezeichnet, fühlt, also auch die eigenen palästinensischen Bürger, zu einem potentiellen Feind.

Wollte man daran etwas ändern, dann müßte Israel mit Feinden verhandeln, und zwar auf eine Weise, die auch eigene Zugeständnisse beinhaltet. Doch selbst wenn unter Druck der USA vage Angebote in Aussicht gestellt werden, so verweigert die israelische Regierung de facto jedes Entgegenkommen. Sie bestätigt damit, daß ihr die arabischen Bürger und Nachbarn als Feinde lieber sind denn als Partner, mit denen man sich arrangieren könnte. So werden von der Hamas Vorleistungen verlangt, während die israelische Regierung sich vorbehält, erst für den Fall, daß diese erbracht wären, überhaupt eigene Überlegungen in Richtung Frieden anzustellen. Der uralte Grundsatz jedes Verhandlungsprozesses, sich Schritt für Schritt mit gegenseitigen Zugeständnissen einer Vermittlungslösung zu nähern, gilt für Netanjahu nicht. Diese Verweigerungshaltung läßt sich am einfachsten damit rechtfertigen, daß dem anderen bösartige Absichten unterstellt werden und seine Bereitschaft, dies zu ändern, bestritten wird.

Diese Blockade jedes ernstzunehmenden Versuchs, zu einer Einigung zwischen Israelis und Palästinensern zu gelangen, bedarf des Feindes so dringend, daß es keineswegs irrational ist, wenn sich die israelische Führung zu paranoid wirkenden Verdächtigungen und Behauptungen versteigt. Dieses Vorgehen hat Methode, wie zahlreiche bereits gescheiterte Vermittlungsprozesse belegen, und zielt auf das immer gleiche Ergebnis ab, das eigene Vorteilsstreben mit dem Pathos des Märtyrertums zu überstrahlen. Israel werde zu Unrecht kritisiert, meint Netanjahu und nährt damit ein jüdisches Trauma, das staatliche Praktiken legitimieren soll, die seine historische Genese auf konträre Weise ausbeuten.

Israel hat wie jeder Staat alles Recht zur Selbstverteidigung, meint Netanjahu in Übereinstimmung mit den Regeln des Völkerrechts. Die damit gemeinte Gewaltanwendung zur Aufrechterhaltung eines Unrechts, der menschen- und völkerrechtswidrigen Kollektivbestrafung der Bewohner Gazas, einzusetzen entspricht der Feinddefinition, auf der Israels Politik gegenüber den Palästinensern beruht. Deren Lebensansprüche werden schlicht negiert, in der Totalität des israelischen Sicherheitsdispositivs treten sie ausschließlich als Störfaktoren in Erscheinung, die zu eliminieren sind.

Da in diesem Fall nicht nur staatenlose Palästinenser, sondern Bürger anderer Staaten auf einem Schiff, das unter der Flagge eines anderen Staates fremdes Hoheitsgebiet verkörpert, betroffen waren, besitzt die Israel grundsätzlich bevorteilende Disparität, als Staat über Staatenlose zu verfügen, in diesem Fall keine Gültigkeit. Daß Netanjahu diesen Unterschied in seiner Ansprache nicht weiter berücksichtigt, sondern die eigenen Sicherheitsinteressen auch dann absolut setzt, wenn sie einen Übergriff auf das Schiff eines anderen Landes in internationalen Gewässern legitimieren sollen, belegt, daß seine Selbstbehauptungsstrategie keineswegs nur Menschen in Mitleidenschaft zieht, die zu ohnmächtig sind, als daß sie sich wehren könnten.

Als um so bedrohlicher muß daher der Versuch gewertet werden, zur Rechtfertigung des Angriffs auf das türkische Schiff Mavi Marmara auf die angeblich vom Iran ausgehende Gefahr zu verweisen. Es ist müßig darüber zu debattieren, in welchem Verhältnis die iranische Unterstützung der Hamas zu einem von den USA und der EU aufgerüsteten Israel steht, wenn ohnehin klar ist, daß die auch von der islamischen Partei ausgehenden Friedenssignale, die unter anderem darin bestehen, von der Palästinensischen Autonomiebehörde mit Israel ausgehandelte Vereinbarungen zu akzeptieren, von der israelischen Regierung in Bausch und Bogen verworfen werden. Weil das Gewaltverhältnis so einseitig ist, daß Israel stets über mehrere Optionen im Umgang mit den Palästinensern verfügt und diese dennoch nicht zu einer Entspannung der Lage nutzt, während die Opfer israelischer Besatzungs- und Belagerungspolitik stets befürchten müssen, daß ihre Lage noch schlimmer als ohnehin schon wird, dokumentiert das von Netanjahu in Anspruch genommene Feinddispositiv nichts als die Willkür eigener Vorteilsnahme.

Um so ernster muß der Verweis auf den Iran als Möglichkeit, in bedrängter Lage einen Entlastungsangriff auf das Land zu beginnen, genommen werden. Das Konstrukt des Feindes zur Rechtfertigung einer aggressiven, die eigenen Interessen zu Lasten anderer Bevölkerungen durchsetzenden Ermächtigungspolitik steht für eine Unversöhnlichkeit, die nur Unterwerfung oder Krieg kennt. Der israelische Ministerpräsident jedenfalls läßt nicht erkennen, daß er keine Gefahr für alle potentiell von seiner Politik betroffenen Menschen und Bevölkerungen darstellt.

Fußnote:

[1] http://www.pmo.gov.il/PMOEng/Communication/PMSpeaks/speechmashat020610.htm

3. Juni 2010