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FRIEDEN/1071: FDP-Politiker Stinner macht sich bei Neokonservativen unbeliebt (SB)



Es müssen nicht immer Politiker der Linkspartei sein, die sich in die Nesseln setzen, weil sie gegen das Primat transatlantischer Hegemonialpolitik verstoßen. Auch ein Bundestagsabgeordneter der FDP wie Rainer Stinner, seines Zeichens Mitglied im Auswärtigen Ausschuß, bekommt die ganze Härte doktrinärer Ausgrenzung zu spüren, wenn er sich abseits des Konsenses der Kriegsparteien stellt. Stinner ist ohne eigenes Verhandlungsmandat zu einer Reise in den Iran aufgebrochen, bei der er unter anderem mit Vertretern der UN-Organisationen für Drogen und Kriminalität sowie für Flüchtlinge zusammenkommen will. "Beide Themen sind für unser Engagement in Afghanistan sehr bedeutsam", [1] läßt er auf seiner Webseite wissen. Daß er sich damit hinter die Kriegführung der Bundesregierung im Nachbarland des Iran stellt, scheint ihm wenig zu nützen.

Zum Vorwurf gemacht wird ihm weniger, daß er im Iran auch über den Atomstreit, die Sanktionen und Menschenrechtsprobleme sprechen will. Die Reise als solche ist manchen ein ausgemachtes Ärgernis, wie Stinner klagt, wenn er schreibt: "ich werde als naiver Trottel beschimpft, der das iranische Regime hoffähig macht, manche nennen mich 'Klein-Chamberlain' mit dem Verdacht des Appeasement, ich bin der Verräter an der gerechten Sache, etc." [1] Unter der Woge bewährter Apologien imperialistischer Aggression verhallt jeder Versuch, sich auf das Grundprinzip diplomatischer Konfliktlösung, das Gespräch mit dem Gegner, zu berufen und Sprechen für wertvoller denn Schießen zu erachten, ungehört. Für die Verfechter eines harten Kurses gegenüber dem Iran ist die Zeit des Verhandelns vorbei. Sie setzen darauf, die iranische Regierung entweder durch Wirtschaftssanktionen zur Aufgabe zu zwingen oder sie mit dem großen Knüppel, an dessen Einsatzfähigkeit der oberste US-Militär Admiral Mike Mullen gerade noch einmal erinnert hat, Mores zu lehren.

Exemplarisch für das Anlegen großer Scheuklappen gegen die vielen sonstigen Möglichkeiten zur Konfliktbewältigng ist der Kommentar der aus dem Iran stammenden Berliner Soziologin und Publizistin Saba Farzan auf Zeit Online (03.08.2010). Sie lastet Stinner an, die iranischen Machthaber in seiner Eigenschaft als Abgeordneter einer Regierungspartei aufzuwerten, wo diese doch gerade durch die UN-Sanktionen und die darauf aufsetzenden verschärften Sanktionen der USA und EU in die Defensive geraten wären. Zutreffend stellt Farzan fest, daß die EU-Sanktionen "eine Zäsur hin zu einem beginnenden, umfassenden Handelsembargo sind" [2]. Irreführenderweise hält sie dies für einen Schritt, mit dem die EU "nach sieben Jahren des ergebnislosen Redens" endlich ihrer Verantwortung gerecht würde. Wieso das Verhandeln keine Früchte trug, wieso die EU-Staaten Britannien, Frankreich und Deutschland nicht in der Lage waren, dem vom Iran eingegangenen Moratorium auf die Urananreicherung mit einem Angebot zu entsprechen, auf das man in Teheran hätte eingehen können, wieso der Iran isoliert der atomaren Aufrüstung bezichtigt wird, während andere Staaten der Region bereits nuklear bewaffnet sind und sich nicht einmal der Überwachung durch die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) unterwerfen, diese Fragen sollen beim derzeitigen Stand der Eskalation keine Rolle mehr spielen.

Man kann der Exiliranerin nicht verdenken, daß sie den Sturz der schiitischen Theokratie herbeisehnt. Wenn sie allerdings europäische Handlungsfähigkeit daran bemißt, daß die Lebensumstände der iranischen Bevölkerung gezielt verschlechtert werden und die Gefahr eines Krieges immer wahrscheinlicher wird, dann macht sie sich zur Fürsprecherin eines EU-Imperialismus, der mit den emanzipatorischen Idealen der iranischen Opposition nicht vereinbar sein kann. Ginge es der EU bei der Verschärfung der gegen den Iran gerichteten Maßnahmen nicht um eigene geostragische und bündnispolitische Interessen, dann wäre die Liste der Länder, gegen die Sanktionen aus humanitären und völkerrechtlichen Gründen verhängt werden müßten, um einiges länger. Unter ihnen befänden sich auch ausgesprochene Verbündete der EU wie Ägypten, Saudi-Arabien und Israel.

Es ist denn auch kein Zufall, daß Farzan bei den EU-Sanktionen von "Strafmaßnahmen" spricht, als befände sich die Europäische Union in der Position, Ankläger, Richter und Henker zugleich zu sein. Ihr Lob darauf, daß die Sanktionen langfristig "als eine Eindämmungsstrategie zu verstehen" seien, unterscheidet sich in seinem menschenverachtenden Charakter nicht von den Repressalien, mit denen die Führung der Islamischen Republik gegen die Opposition vorgeht und Verstöße gegen ihr Verständnis von islamischer Moral ahndet. Die Zeit-Kommentatorin zieht unverhohlen ein Sanktionsregime ins Kalkül der westlichen Belagerungsstrategie, mit dem bereits an der Bevölkerung des Irak ein Verbrechen monströser Art begangen wurde.

Indem Saba Farzan ein Loblied auf Außenminister Guido Westerwelle singt, dessen "werteorientierte Außenpolitik" durch die Reise Stinners unterminiert werde, dient sie sich einer neokonservativen Ideologie an, die zumindest mit den linken Vertretern der Oppositionsbewegung nicht vereinbar ist. Wenn sie Stinner vorwirft, nur aus Gründen der Rechtfertigung seiner Reise auch mit Oppositionellen sprechen zu wollen, zeigt sie, daß sie ihrerseits kein Interesse an der in die Enge staatlicher Unterdrückung geratenen Opposition hat. Mit der Gutheißung der aggressiven Außenpolitik der EU und USA gegenüber dem Iran sorgt sie viel mehr dafür, daß diese zwischen alle Stühle gerät und im Zweifelsfall als fünfte Kolonne der Aggressoren diffamiert wird. Mit dem Eintreten für ein langfristiges Wirtschaftsembargo mißachtet Farzan das Lebensrecht insbesondere armer Iraner, die am meisten unter dem systematisch entfalteten ökonomischen Druck zu leiden haben.

Politische Lösungen für diesen Konflikt sehen anders aus. Ohne das Eigeninteresse derjenigen Staaten, die diese Eskalation vorantreiben, in Rechnung zu stellen, kann die Anprangerung des Iran als größter Bösewicht einer Region, in der sich westliche Hegemonialinteressen bündeln und die von den USA mehrfach mit Krieg überzogen wurde, nur als Akt der Aggression bezeichnet werden. Zweifellos gibt es Grund, die Lauterkeit der Motive des FDP-Politikers in Frage zu stellen. Dies jedoch mit Rückendeckung des westlichen Imperialismus zu tun und dabei den Anschein zu erwecken, als hege man nur beste, humanitäre und demokratische Absichten, läuft bestenfalls auf einen Wettbewerb der Verlogenheit hinaus.

Fußnoten:

[1] http://www.rainer-stinner.de/Warum-ich-nach-Iran-und-nach-Indien-fahre/32540c1i1p/index.html

[2] http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-08/rainer-stinner-iran-atomstreit

3. August 2010