Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

FRIEDEN/1072: Planmäßige Vertreibung der Beduinen aus der Negev-Wüste (SB)



Die in der Negev-Wüste lebenden Beduinen mögen israelische Staatsbürger sein, doch bietet ihnen diese Zugehörigkeit kaum Schutz vor einer staatlichen Heimsuchung, die ihre Existenz in Frage stellt. Nachdem ihre Zahl in den Anfangsjahren des jüdischen Staats aufgrund von Umsiedlungsoperationen stark geschrumpft war, bilden sie heute ein Viertel der in dieser Ödnis lebenden Bevölkerung. Die israelische Regierung hat sich vorbehalten, das Gros der Fläche dieser immerhin die Hälfte des Staatsgebiets ausmachenden Landschaft unter Naturschutz zu stellen oder zu militärischem Sperrgebiet zu erklären. Obwohl die Wüste seit vielen Jahrhunderten von Beduinen bevölkert wird, lebt diese nomadisierende Minderheit heute auf nur zwei Prozent der Fläche.

Wie die Zeitschrift Das Parlament in der Ausgabe vom 9. August [1] berichtet, hat eine staatlich eingesetzte Kommission unter dem ehemaligen Richter des Obersten Gerichtshofs Eliezer Goldberg Vorschläge zur Besserung der Lage der Beduinen erarbeitet. Goldberg ist der Ansicht, daß die "unhaltbaren Zustände", unter denen die Beduinen leben, die sich nicht von der israelischen Regierung umsiedeln lassen wollten und in 45 illegalen Dörfern wohnen, beendet werden müßten. Die Beduinen im Negev seien "keine illegalen Ausländer, sondern Bürger Israels mit Rechten wie Pflichten". Dies quittierte die CDU-Politikerin und stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe im Bundestag, Gitta Connemann (CDU), mit der Aussage, daß Israel bei allen Mängeln im Leben der Beduinen auf dem "richtigen Weg" sei. Beide Seiten hätten "viel dazugelernt und Fehler korrigiert".

Diese vermeintlich positive Entwicklung wird durch die Zerstörung des Dorfes Al-Arakib am 26. Juli widerlegt. Eine größere Einheit von Polizisten vertrieb mehr als 200 Beduinen aus ihren Häusern. Anschließend wurden die 45 Gebäude von Bulldozern zerstört, weil sie von den seit Jahrhunderten in dieser Wüste lebenden Menschen angeblich illegal errichtet worden waren. Wie Lawrence Davidson im US-Online-Magazin Counterpunch [2] berichtet, ging die israelische Menschenrechtsorganisation Taayush der Zerstörungsaktion nach, weil einem Bericht von CNN zu entnehmen war, daß die Soldaten von ganzen Busladungen voller Zivilisten begleitet wurden, die diesen Gewaltakt unterstützten. Bei der Befragung der Betroffenen kam heraus, daß es sich dabei um israelische Schüler handelte, die freiwillig als "zivile Polizeiwachen" beim Niederreißen des Dorfes zugegen waren. Und nicht nur das, sie drangen vor dem Einsatz der Planierraupen in die Häuser ein, um die Möbel und anderen Eigentümer der Familien herauszuholen. Dabei begannen sie schon mit der Zerstörungsaktion, indem sie vor den Augen der draußen wartenden Bewohner Fenster und Spiegel zertrümmerten und Familienfotos verunstalteten. Anschließend jubelten sie den Bulldozern bei ihrem Zerstörungswerk zu.

Wie Jonathan Cook auf Counterpunch berichtet [3], versuchten die Bewohner Al-Arakibs nach Abzug der Polizeitruppen, das Dorf wieder aufzubauen. Das führte nur dazu, daß die Polizeitruppen, verstärkt durch eine Sondereinheit zur Aufstandsbekämpfung, am 4. August zurückkehrten und die im Bau befindlichen Hütten erneut niederrissen. Zudem zerstörten sie 850 Olivenbäume. Sechs führende Mitglieder der Dorfbevölkerung wurden verhaftet, nachdem sie sich geweigert hatten schriftlich zu erklären, daß sie nicht mehr in das Dorf zurückkehren.

Vor wenigen Wochen hatte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu davor gewarnt, daß Gruppen etwa in der Negev-Wüste Nationalrechte einfordern könnten, wenn die Regierung nicht für von Juden dominierte Mehrheitsverhältnisse sorgte. In diesem Zusammenhang hatte die Regierung ein 50 Millionen Dollar schweres Hilfsprogramm aufgelegt, das jüdische Militärangehörige dazu veranlassen soll, ihren Wohnsitz in den Negev zu verlegen.

Diese und andere diskriminierende Maßnahmen, mit denen die israelische Regierung versucht, die Beduinen von ihrem angestammten Land zu vertreiben, erwecken nicht den Eindruck, als ginge Israel jetzt "auf das Hirtenvolk zu" [1], es sei denn, man wollte die Unterüberschrift der vom Bundestag herausgegebenen Wochenzeitung anders als gemeint verstehen. Die Alltäglichkeit derartiger Diskriminierungspraktiken sorgt dafür, daß sie kaum noch jemand wahrnimmt. Wenn nicht wenigstens einige Palästinenser oder arabische Israelis umkommen, scheinen die Redakteure deutscher Großmedien negative Nachrichten aus Israel eher nicht verbreiten zu wollen.

Fußnote:

[1] http://www.das-parlament.de/2010/32-33/Themenausgabe/30783961.html

[2] http://www.counterpunch.org/davidson08062010.html

[3] http://www.counterpunch.org/cook08062010.html

13. August 2010