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FRIEDEN/1128: Weltfriedenstag ... die Zeichen stehen auf Sturm (SB)




75 Jahre nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen wird im Bundestag darüber debattiert, ob Deutschland im Norden des Irak Kriegspartei werden soll. Nichts anderes als das wird getan, wenn Waffen an einen Akteur in einem militärischen Konflikt geliefert werden. Daß man sich in der Folge dauerhaft der Entsendung der Bundeswehr in die Region enthalten kann, ist eher unwahrscheinlich und auch nicht im Sinne der Protagonisten anwachsender deutscher Kriegsbereitschaft. Die Region, in der die Bundesregierung angeblich den Kampf gegen die Milizen des Islamischen Staat (IS) unterstützen will, ist eine der weltweit wichtigsten Förderstätten fossiler Energierohstoffe. Peak Oil und Peak Gas heizen den Ressourcenkrieg an, geht es heute doch weniger darum, die Natur auszubeuten, als dem Konkurrenten das Ergebnis dieses Raubbaus abzujagen.

Jegliche Rechenschaft schuldig bleibt die Bundesregierung zur Frage der Unterstützung, die der IS im NATO-Staat Türkei genießt, seiner Genese im syrischen Bürgerkrieg, in dem die NATO auch die islamistische Opposition gegen die Regierung des Landes aufrüstete, und der möglichen Ausweitung der deutschen Waffenhilfe ins Nachbarland Syrien. Ungern spricht man in Berlin auch über die engen Beziehungen zu Saudi-Arabien, wo jeden Monat Menschen der Kopf abgeschlagen wird, ohne daß man das hierzulande überhaupt registriert. Anstatt sich als ziviler Akteur durch die Bereitstellung dringend erforderlicher humanitärer Hilfe hervorzutun, sollen kriegerische Auseinandersetzungen mit der Lieferung von Waffen angeheizt werden, von denen niemand weiß, ob sie nicht ohnehin in den Händen des IS oder anderer mißliebiger Akteure landen.

Die fragile Situation des Iraks ist das Ergebnis einer US-amerikanischen Hegemonialstrategie, die darauf beruhte, mit wechselnden Allianzen in regionale Kriege einzugreifen, um im Ergebnis den eigenen Einfluß stärken zu können. Wird heute die genozidale Aggression des IS beklagt, so wurde die genozidale Aushungerung des Iraks und zwei seine Zivilbevölkerung schwer treffende Kriege als notwendige Maßnahme zum Erhalt der westlichen Vorherrschaft auch in Berlin gutgeheißen. Die Zerschlagung des sogenannten schiitischen Halbmondes, der sich vom Iran über den schiitischen Teil des Iraks nach Syrien bis zur libanesischen Hisbollah zieht, war stets erklärte Absicht US-amerikanischer Regierungspolitik.

Dem hat die Bundesregierung nie widersprochen, gehört die sogenannte Westbindung Deutschlands doch zu den ehernen Grundsätzen ihrer Politik. Die transatlantischer Nibelungentreue geschuldeten 13 Jahre Afghanistankrieg scheinen in Berlin lediglich Gelüste nach mehr hervorgerufen zu haben. Während die Taliban ihre Flagge im ehemaligen Feldlager der Bundeswehr in Kundus hissen und sich am 4. September der blutigste Kriegseinsatz Deutschlands seit 1945 mit rund 140 Toten zum fünften Mal jährt, ist man längst auf anderen Schauplätzen aktiv. Die im ersten Anlauf gescheiterte Absicht, die Ukraine zu einem Peripheriestaat der EU zu machen, hat zu einer Konfrontation mit Rußland geführt, die als absehbares Ergebnis der Expansion der NATO und EU an die Grenzen des größten Staates der eurasischen Landmasse aller Kontrolle zu entgleiten droht. Dabei geht es längst nicht mehr um das Schicksal der ukrainischen Bevölkerung, der zwar nicht die vollständige Mitgliedschaft in der Union gewährt werden sollte, die aber über ein umfassendes, mit militärischer Komponente versehenes Assoziierungsabkommen zum lukrativen Ziel deutschen Kapitalexports und profitablen Quell billigster Lohnarbeit werden sollte.

Die hierzulande mit einer Personifizierung des vermeintlichen Übels namens Putin, die auch noch das vermutete Mindestmaß an politischer Intelligenz unterschreitet, das die deutschen Funktionseliten selbstredend für sich in Anspruch nehmen, vorgetragene Herausforderung birgt alle Merkmale eines Vorkriegsszenarios. Allein einen Wirtschaftskrieg gegen Rußland anzuzetteln und dabei zu behaupten, dies sei das notwendige Surrogat für das Ergreifen militärischer Gewaltmittel, verkauft die eigene Bevölkerung für dumm. Im Vorweg anzukündigen, daß die Sanktionen zwar für alle Beteiligten schmerzhaft seien, doch Rußland weit schwerer von ihnen getroffen würde als die EU, zeugt nicht nur von gravierendem ökonomischen Unverständnis. Die sich darin ausdrückende Absicht, den Gegner durch Mangel und Not zu Boden zu drücken, ist bereits Ausdruck kriegerischer Absicht. Die ohnehin krisenhaft entglittene soziale Situation vieler EU-Europäer in die Waagschale zu werfen, um einem geostrategischen Gegner Zugeständnisse abzupressen, belegt zudem, daß im Zweifelsfalle auch auf der angeblich eigenen Seite keine Gefangenen gemacht werden.

Wenn nun alle vom Kreml ausgehenden Signale zur Deeskalation ignoriert werden, um die Wirtschaftssanktionen statt dessen zu verschärfen, werden Sachzwänge aufmunitioniert, die fast wie von selbst in einen ausgewachsenen Krieg führen können. Der von Deflation bedrohte und kaum noch verzinste Euro hängt längst am Tropf eines politisch bestimmten Kredits, der die materielle Reproduktion der kapitalistischen Marktwirtschaft künstlich am Leben hält und dementsprechend nach einem Ventil für die anwachsende Entwertung sucht, die sich nicht zum ersten Mal in der Zerstörungsorgie eines Krieges realisieren könnte. Kriege brechen niemals aus, doch es liegt in der Verlaufslogik politischer Entscheidungsprozesse, Kontrollverluste zu provozieren, die das Überschreiten der Schwelle zu offener Gewalt alternativlos erscheinen lassen.

Die sich auch für den Krisengewinnler Deutschland verfinsternden Aussichten werden derweil mit sozialrassistischer Feindbildproduktion im Zaum gehalten, wie das jüngste Gesetzespaket gegen sogenannten Sozialmißbrauch durch Zuwanderer belegt. Hat sich der Vorteil, den die deutsche Wirtschaft dank durch den Euro fixierter Wechselkurse im innereuropäischen Handel bisher genoß, erst einmal aufgebraucht, weil die Adressaten ihrer Produkte kaum mehr zahlungsfähig sind, dann wird erst recht blank gezogen gegen all diejenigen, die nicht auf der Seite der Gewinner stehen und sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, unproduktiv zu sein. Als produktiv hingegen gelten diejenigen, die das zur Rettung der Kapitaleigener und Banken durchgesetzte Schuldendiktat dazu nutzen, den Preis der Arbeit und die Gewähr von Sozialleistungen fast nach Belieben zu drücken, um die lohnabhängige Bevölkerung am Band materieller Not verfügbar zu machen und gefügig zu halten.

So könnte die Regierungskoalition hinsichtlich des Anspruches, den Frieden zu wahren, anstatt den sozialen Krieg militärisch eskalieren zu lassen, kaum nackter dastehen als im bekannten Märchen Hans Christian Andersens. Das gilt auch für die angeblich oppositionellen Grünen, die kein Problem damit haben, die neofaschistische Beteiligung am Sturz der ukrainischen Regierung als "Ethnonationalismus" zu verharmlosen, während sie sich in einer an Putin adressierten Feindseligkeit ergehen, in deren russophobem Grundton das lodengrüne Ressentiment der Großelterngeneration anklingt. Als ginge es darum, über den antikommunistischen Reflex des Führungszirkels der Partei hinwegzutäuschen, wird linken Kriegsgegnern angelastet, im kapitalistischen Rußland nach wie vor einen Hort des Sozialismus zu sehen, wenn sie den aggressiven Expansionismus der NATO und EU kritisieren. Zu diesem reprojektiven Entlastungsmanöver greift auch eine breite Allianz von NATO-Verstehern in den Medien, wenn sie mit dem Imperativ "Stoppt Putin jetzt!" auf notwendigen Widerspruch stoßen.

Weltfriedenstag 2014 - als seien sie einer besinnungslos ablaufenden Übersprungshandlung ausgeliefert, die jede Erinnerung an die Katastrophen des Ersten und Zweiten Weltkrieges auslöscht, schüren politische Funktionsträger und gesellschaftliche Meinungsführer das Feuer des Weltenbrandes. Auf dem anstehenden NATO-Gipfel in Wales, zu dem der ukrainische Präsident Petro Poroschenko als einziger nicht dem Nordatlantikpakt angehörender Staatschef anreisen wird, könnte durch eine de facto vollzogene Beistandspflicht gegenüber der Ukraine eine nicht wiedergutzumachende Weichenstellung in Richtung des nächsten Abgrunds vollzogen werden. Wenn also Krokodilstränen, mit denen die Trümmer der destruktiven Hegemonialstrategie Washingtons im Irak beweint werden, um den deutschen Stiefel in die Tür nahöstlicher Kriege zu bekommen, der Bundesregierung endlich zur angeblich erforderlichen militärischen Handlungsfähigkeit verhelfen, dann stehen die Zeichen nicht aufgrund einer numinosen Fügung des Schicksals auf Sturm. Der Weg in den Krieg wird absichtsvoll und systematisch beschritten, und dagegen ist breiter Widerstand geboten.

31. August 2014