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HEGEMONIE/1571: Verhältnis zwischen NATO und Rußland bleibt prekär (SB)



Um die Wiederaufnahme der Arbeit im NATO-Rußland-Rat wird viel Aufhebens gemacht. Mit der Mutmaßung, damit werde eine deutliche Entspannung im Verhältnis zwischen Washington und Moskau erreicht, wird der Vorgang jedoch überbewertet. Zuersteinmal handelt es sich um keinen Fortschritt in den Beziehungen, sondern um die Korrektur eines Rückschritts, der von den NATO-Staaten nach dem vorläufigen Scheitern ihrer Expansionspläne im südlichen Kaukasus vollzogen wurde. Die Aussetzung der Konsultationen während des Kriegs zwischen Rußland und Georgien war als politische Maßnahme gedacht gewesen, mit der der falsche Eindruck unterstrichen wurde, es habe sich dabei um eine einseitige Aggression Moskaus gehandelt.

Statt dessen reagierte der Kreml auf einen Übergriff der Regierung in Tiblisi, die die abtrünnige Provinz Südossetien mit einem zerstörerischen Feldzug zurückerobern wollte. Dabei waren auch russische Soldaten, die auf vertraglicher Basis dort als Friedenstruppen stationiert waren, ums Leben gekommen. Da das Kalkül des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili, von den USA in diesem Krieg militärisch unterstützt zu werden, nicht aufging, endete das Unterfangen mit einer Niederlage Georgiens und dem vorläufigen Ende des Versuchs, die ehemalige Sowjetrepublik in die Nordatlantische Militärallianz aufzunehmen.

Die Suspendierung des NATO-Rußland-Rats gehörte zu den wenigen Möglichkeiten, mit dem die NATO-Staaten sichtbar Protest einlegen konnten, ohne sich auf eine Weise zu exponieren, die schmerzhafte Maßnahmen wie die Einstellung von Energielieferungen durch Rußland zur Folge gehabt oder gar eine unkontrollierbare Eskalation in Gang gesetzt hätte. Dabei konnte die Einstellung der Gespräche auf dieser Ebene nicht wirklich im Interesse der NATO liegen, sind deren Mitgliedstaaten doch auf vielerlei Weise mit Rußland verbunden. Insbesondere die Bundesrepublik konnte hier nur Nachteile verbuchen, wertete die Maßnahme doch die antagonistische Haltung der mitteleuropäischen Staaten gegenüber Rußland auf eine Weise auf, die das Gewicht Berlins innerhalb der NATO und EU minderte.

Die auf dem Außenministertreffen der NATO in Brüssel bekräftigte Annäherung Georgiens und der Ukraine mit dem Endziel ihrer Aufnahme in das Militärbündnis bleibt ein Konfliktpunkt, der allerdings unter formaler Aufrechterhaltung der Beziehungen besser zu handhaben ist als im Rahmen einer offenen Konfrontation. Der NATO geht es, wie einem gemeinsam vom deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und seiner US-Kollegin Hillary Clinton vorgelegten Papier unter dem Titel "Die NATO und Europas Osten" (FAZ, 05.03.2009) zu entnehmen ist, darum, mit Rußland in Afghanistan, im Kampf gegen Terrorismus, Piraterie, Drogenhandel, Proliferation sowie bei der Abrüstung zu kooperieren.

Die Auflistung zeigt, daß die NATO im Zweifelsfall stärker auf Rußland angewiesen ist, um ihre expansiven Bestrebungen zu verwirklichen, als umgekehrt. Im Afghanistankrieg spielt Moskau eine immer wichtigere Rolle bei der Organisation des Nachschubs für die dort stationierten Besatzungstruppen, aus dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern soll sich Moskau nach Möglichkeit heraushalten, und die Versuche, den Iran zum Verzicht auf die Urananreicherung zu nötigen, sollen unter aktiver Beteiligung Rußlands im UN-Sicherheitsrat oder zumindest unter Verzicht auf jegliche Unterstützung Teherans durch Moskau erfolgen.

In diesem Zusammenhang versucht US-Präsident Barack Obama, den russischen Präsidenten Dimitri Medwedew durch die Möglichkeit, auf die Stationierung einer Raketenabwehr in Tschechien und Polen zu verzichten, auf seine Seite zu ziehen. Da diese Offerte an den Verzicht Teherans auf sein angeblich militärisches Atomprogramm gekoppelt ist, handelt es sich ebenfalls um kein großzügiges Angebot, sondern einen durchsichtigen Schachzug, mit dem der Kreml in die Defensive gedrängt werden soll. Geht er auf das Angebot ein, dann erweist er sich als so schwach, wie er von der US-Regierung eingeschätzt wird. Verweigert er sich, dann kann ihm der schwarze Peter des notorischen Friedensfeinds zugeschoben werden.

Das Interesse der Bundesrepublik an guten Beziehungen zu Rußland wird in Washington nicht notwendigerweise geteilt. Indem man ihm dennoch zuarbeitet, bindet man die Bundesregierung in die eigenen Pläne ein. Der demonstrative Schulterschluß zwischen Steinmeier und Clinton bei der Wiederherstellung normaler Beziehungen zu Rußland hat einen Preis, der unter anderem in der stärkeren Einbindung der Bundeswehr in den Afghanistankrieg sowie den Verzicht deutscher Unternehmen auf die Fortsetzung ihrer lukrativen Geschäfte mit dem Iran bestehen könnte. Die medial geschürte Begeisterung, mit der die Normalisierung der Beziehungen zwischen Washington und Berlin zelebriert wird, ist vollkommen unangebracht, handelt es sich doch um eine regelrechte Reuse, der die Bundesregierung immer mehr Handlungsfreiheit kostet.

Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise betreiben die USA eine pragmatische Politik der befristeten Annäherung, die strategische Offensiven gegen den Iran und in Pakistan begünstigen soll. Im Kreml weiß man allzu genau, daß das geostrategische Langzeitziel Washingtons in der US-Hegemonie über Eurasien besteht, und läßt sich dementsprechend nur in einem genau kalkulierten Prozeß des Gebens und Nehmens auf diese Politik ein. Rußland befindet sich bei allen wirtschaftlichen Problemen in der vorteilhaften Lage, die weitere Eskalation der Krise durch einen hohen Grad an Rohstoffautarkie leichter bewältigen zu können als auf Energieimporte angewiesene Staaten wie die Bundesrepublik. Da die absolute Verknappung essentieller Rohstoffe das Ausbrechen klassischer Staatenkriege begünstigt und die eurasische Landmasse das wichtigste Gebiete für die Produktion von Nahrungsmitteln und die Förderung von Energieressourcen ist, bleibt sie das zentrale Expansionziel der NATO, und zwar unter Ausschluß russischer Souveränität.

5. März 2009