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HEGEMONIE/1574: Keine Freiheit und Demokratie mehr für Afghanistan? (SB)



Nicht nur der ehemalige deutsche Botschafter in London und Washington, Wolfgang Ischinger, rät dazu, von den ambitionierten Plänen zum Nation Building in Afghanistan Abstand zu nehmen. Der heute als Chef der Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik tätige und so mit den Interna transatlantischer Kriegsplanung bestens vertraute Karrierediplomat erklärte anläßlich des möglichen Kurswechsels der US-Kriegführung am Hindukusch, es könne nicht darum gehen, "in Afghanistan so etwas wie eine westliche parlamentarische Demokratie zu etablieren". Ischinger forderte dazu auf, "unsere politischen Ziele etwas bescheidener" zu formulieren und dort nicht mehr "zu einer Veränderung der Gesellschaft, zu Formen der Rechtssicherheit, gar zu Wahlen und zu demokratischen Regierungsformen zu kommen". Seiner Ansicht nach sollte die Bundesrepublik ihren Beitrag dazu leisten, "dass Afghanistan nicht erneut sozusagen der Flugzeugträger für El Kaida, für Terroristen wird" (Deutschlandradio Kultur, 10.03.2009).

Mit der Reduzierung des Auftrags der Bundeswehr auf ein Ziel, das vor acht Jahren bereits als Vorwand zum Führen eines Eroberungskriegs, dessen Planung schon im Vorfeld der Anschläge des 11. September 2001 Gestalt annahm, zu erkennen war, wäre der Weg frei für eine wesentlich "robustere" Besatzungsstrategie. Indem man von den ehrgeizigen Plänen Abstand nimmt, die Befriedung des Landes durch die neoliberale Modernisierung der afghanischen Gesellschaft zu erreichen, läßt sich um so unbedenklicher über die Nöte und Probleme der Menschen in diesem von Hunger und Gewalt geschlagenen Staat absehen. Das erscheint allemal geboten, wenn die politische Legitimation der Kriegführung der NATO nicht immer unvereinbarer mit dem angeblichen Ziel erscheinen soll, der Bevölkerung zu einem besseren Leben zu verhelfen.

So müssen laut Ralf Südhoff vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) 2009 knapp neun Millionen Menschen in Afghanistan mit Nahrungsmitteln unterstützt werden, das sind fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung (Reuters, 01.03.2009). Hier kämen Aufgaben auf die Besatzer zu, die sich mit dem bisher praktizierten Einsatz fast aller finanziellen Mittel für die Kriegführung nicht mehr vereinbaren lassen. Zudem folgt die Verschlechterung der humanitären Situation am Hindukusch dem weltweiten wirtschaftlichen Niedergang, so daß es um so schwieriger wird, die zu ihrer Verbesserung erforderlichen Mittel politisch zu legitimieren. Daß dies nach wie vor mit dem abgetragenen Terrorismusargument erfolgen soll, arbeitet hingegen einer Repressionslogik zu, die in der Weltwirtschaftskrise aufgrund der zu erwartenden Hungeraufstände allemal Konjunktur hat.

Zudem läuft die politische Entwicklung in Afghanistan den Interessen der Besatzer zusehends entgegen. Während man die Chancen des in Washington und Berlin immer ungeliebteren Präsidenten Hamid Karzai dadurch mindert, daß der auf sein Betreiben für April terminierte Urnengang nun doch erst im August stattfindet, drängen altbekannte Akteure wie der Führer der Hezb-i Islami, Gulbuddin Hekmatyar, zurück auf die politische Bühne. Sollte dieser Kriegsherr, dessen Mujahedin während der 1980er Jahre zu den bevorzugten Empfängern US-amerikanischer Militärhilfe gehörten, und ehemalige Premierminister Afghanistans trotz seiner Rolle als Führer der neben den Taliban militärisch stärksten Gegner der NATO im Rahmen der neuen Vermittlungsstrategie des US-Präsidenten nach Kabul zurückkehren, dann würde der Umgang mit der afghanischen Nationalregierung für die NATO-Staaten nicht eben leichter.

Demokratie in einem Sinne, die der afghanischen Bevölkerung tatsächlich die freie Wahl ließe und nicht bloß als Fassade einer vorbestimmten Auswahl fungierte, kann daher schwerlich im Sinne der Besatzer sein. Auch aus diesem Grund dürfte der britische Botschafter in Afghanistan, Sir Sherard Cowper-Coles, im September 2008 seine Ansicht kundgetan haben, daß der Krieg gegen die Taliban scheitern werde und die beste Lösung für das Land in der Einsetzung eines "akzeptablen Diktators" bestände (The Times, 02.10.2008). Sollte sich diese Ansicht auch in der Bundesrepublik durchsetzen, dann wäre man auf dem besten Weg, die eigenen geostrategischen Interessen mit Hilfe klassischer Kolonialmethoden durchzusetzen. Einen Vorteil hätte dies - den Bundesbürgern könnte nicht mehr vorgemacht werden, daß es sich bei der Bundeswehr um eine Art humanitäre Organisation handelte.

12. März 2009