Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HEGEMONIE/1581: NATO stellt sich strategisch auf Klimawandel ein (SB)



In der Antarktis bricht zur Zeit das riesige Wilkins-Schelfeis ab, wodurch die Fließgeschwindigkeit der Gletscher zunehmen wird, und in Strasbourg ging der NATO-Gipfel mit einem feurigen Fanal zu Ende. Zwei Ereignisse, die nur auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Es gibt aber eine Verbindung, denn das Abbrechen der Eisfläche wird von Wissenschaftlern als Indiz für die Erderwärmung angesehen. Die NATO wiederum stellt sich auf militärische Konflikte ein, die sich aus dem klimatisch bedingten Mangelzuwachs rund um den Globus ergeben.

So haben fünf ehemalige Generäle und Generalstabschefs der NATO, unter ihnen der deutsche General Klaus Naumann, im Frühjahr 2008 in ihrer Analyse mit dem Titel "Towards a Grand Strategy for an Uncertain World. Renewing Transatlantic Partnership" fünf Hauptziele der NATO bestimmt, auf das sich das Militärbündnis künftig einzustellen habe. Dazu zählt der Klimawandel und seine Folgen. In der Analyse hieß es, daß "Geostrategie wieder als wichtiger Faktor der internationalen Politik" zurückkehren werde, sollte der Klimawandel die prognostizierten Auswirkungen haben.

Die NATO müsse Flüchtlingsproblemen, der Eröffnung neuer Seewege und der Gefahr, daß kleinere Auseinandersetzungen zu bedrohlichen Konflikten auswachsen, strategisch begegnen. Und mit unausgesprochenem Bezug auf die Kämpfe in der westsudanesischen Provinz Darfur, deren Klima in den letzten Jahrzehnten wärmer geworden ist, so daß traditionelle Hirten im wachsenden Ausmaß ihr Vieh auf dem Land der Seßhaften grasen ließen, schrieben die NATO-Analysten in ihrem 152 Seiten umfassenden Papier: "Beispielsweise könnten ethnische Spannungen zunehmen, wenn geringere Niederschläge Nahrungsmangel auslösen oder wenn verschiedenste Wetter und geologische Entwicklungen zum Anstieg des Meeresspiegels, zu Überflutungen und zur Wüstenbildung führen, in Folge dessen es zu Massenwanderungen von Umweltflüchtlingen kommt."

Da sich die Teilnehmer des NATO-Gipfels schwerpunktmäßig mit der Zukunft des Militärbündnisses befaßt haben und gegenwärtig an einer neuen Strategie gearbeitet wird, kann man davon ausgehen, daß die Analyse vom vergangenen Jahr kein Schuß aus der Hüfte war. Solche Dokumente werden gewöhnlich sorgfältig vorbereitet und haben eine lange Halbwertszeit, was bedeutet, daß die NATO in ihrer neuen Strategie auch die Folgen des Klimawandels berücksichtigen wird. Nicht zuletzt, weil in der Analyse seine besondere Bedeutung ausdrücklich betont wird: "Unter allen globalen Trends ist es der Klimawandel, der in den strategischen und Sicherheitserwägungen der Zukunft neues Gewicht auf die Geostrategie legen wird."

Daß die NATO bereits mit einer Flotte vor der Küste Somalias aufkreuzt, um Seeräuber zu bekämpfen, weist den Weg in die Zukunft, den der transatlantische Pakt einschlagen will. Während die Einwohner Somalias immer häufiger unter schwerer Dürre leiden und um ihr Überleben kämpfen, wozu auch die Seeräuberei gehört, sichert die NATO den globalen Handelsverkehr durch den Golf von Aden militärisch ab. Reichtum wird gegen Hungerleider verteidigt. Die Rollenverteilung ist scheinbar eindeutig: Hier die unbescholtene Weltpolizei, die für Ordnung sorgt, dort die bösen Piraten, die sich nur bereichern wollen. Bei diesem griffigen Bild wird allerdings übersehen, daß die Bereicherung längst stattgefunden hat, noch bevor es zum Akt der Piraterie kommt.

Der Klimawandel wird der NATO zahlreiche Vorwände zur Erweiterung des eigenen Kontrollanspruchs liefen, so daß sie - ob mit oder ohne UN-Mandat, mit oder ohne den militärischen Arm der Europäischen Union - künftig ihre Interventionsstreitkräfte an zahlreiche Schauplätze der Welt projizieren wird ... wenn man sie läßt. Die Proteste zur Zeit des NATO-Gipfels in Strasbourg, Kehl und anderen Städten haben gezeigt, wie umstritten der transatlantische Militärpakt ist.

5. April 2009