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HEGEMONIE/1595: Knesset debattiert Option ethnischer Säuberung (SB)



Allenfalls überlagert von einer Oszillation zwischen eng gefaßter Verhandlungsbereitschaft und ungezügelter Repression, doch zu keinem Zeitpunkt von ihr außer Kraft gesetzt, hat die Doktrin israelischer Herrschaftssicherung stets die vollständige Verfügung über die im Zuge ihrer Expansion für sich reklamierte territoriale Sphäre angestrebt. Unter militärischen, politischen und nicht zuletzt ökonomischen Maßgaben repräsentieren die Golanhöhen und insbesondere das Westjordanland einen Fundus der Existenzsicherung, der allen taktischen Wechselfällen zum Trotz von keiner Regierung ernsthaft zur Disposition gestellt wurde.

Ohne diese Grundwasservorräte stünde Israel in dem erbitterten Ringen um die schwindende lebensnotwendige Ressource mit dem Rücken an der Wand, zumal die Versorgung der Bevölkerung und insbesondere die Landwirtschaft gewaltige Mengen verschlingt, ohne deren unablässigen Nachschub der aktuelle Lebensstandard und die Wirtschaftskraft des Landes nicht zu halten wären. Wenngleich dies nur ein Aspekt unter mehreren hinsichtlich der territorialen Ansprüche ist, gewinnt er doch zunehmend an Bedeutung, wie der Streit um die Nutzung des versiegenden Jordanwassers illustriert.

Zwar scheint die Vernunft zu gebieten, daß letzten Endes auch in der Wasserfrage nur eine regionale Lösung unter weiträumiger Einbeziehung aller Nachbarländer möglich ist, doch würde dies einen fundamentalen Bruch mit dem Grundansatz der Überlebenssicherung zu Lasten anderer voraussetzen, der offenbar zum letzten gehört, wozu ein staatlicher Machtkomplex bereit wäre. Das gilt um so mehr für den israelischen, der die reale oder fiktive Bedrohung seiner Existenz zum Kern seiner Ideologie gemacht hat.

Da die demographische Entwicklung die arabische Bevölkerung in einem gemeinsamen Staat über kurz oder lang in die Überzahl bringen würde, ist dieses Zusammenleben für die derzeitige Mehrheit der Israelis keine akzeptable Option. Das gilt jedoch auch für die Zweistaatenlösung, sofern damit eine tatsächliche Eigenständigkeit der Palästinenser verbunden wäre. Bezeichnenderweise wurden die Siedlungen im Westjordanland unter allen israelischen Regierungen weiter ausgebaut, wodurch ein lebensfähiger Palästinenserstaat in immer weitere Ferne rückte. Die Stoßrichtung zielt auf die vollständige Vertreibung der Palästinenser ab, die durch alle erdenklichen Formen der Drangsalierung bis hin zur physischen Vernichtung durch Hunger, Krankheit, Bomben und Granaten betrieben wird.

Stellt man die aus naheliegenden Gründen tabuisierte Frage, wohin die Palästinenser nach der Maßgabe israelischer Expansion massenhaft vertrieben werden könnten, erhält man dieser Tage eine nur noch notdürftig kaschierte Antwort in der Knesset. Dort wurde ein Gesetzentwurf debattiert, der auf die Verfrachtung der Palästinenser des Westjordanlands nach Jordanien hinausläuft. Eingebracht von der rechtsgerichteten Nationalen Union, die lediglich über vier Sitze im Parlament verfügt und nicht der Regierungskoalition angehört, mutete die Initiative zunächst wie eine extreme Außenseiterposition und Störaktion gegen jeglichen Friedensprozeß an. Nicht weniger als 53 Abgeordnete sprachen sich jedoch nach erster Lesung dafür aus, den Entwurf im Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung weiter zu beraten. (The Christian Science Monitor 01.06.09)

Zwar beeilte sich die Regierung zu erklären, daß dieses Votum nicht ihre Position repräsentiere und aller Voraussicht nach auch keine parlamentarische Mehrheit finden werde, doch war das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Daß fast die Hälfte der Knesset diesen Vorschlag nicht sofort verwarf, sondern für diskussionswürdig hielt, gab Anlaß zur Befürchtung, daß die Vertreibung der Palästinenser nach Jordanien für einen beträchtlichen Teil der israelischen Politik und wohl auch der Bevölkerung keineswegs abwegig ist. So wurde der Antrag insbesondere damit begründet, daß Jordanien de facto bereits ein palästinensischer Staat sei. Seit der israelischen Staatsgründung im Jahr 1948 sind so viele Palästinenser durch Flucht und Vertreibung ins Nachbarland gekommen, daß sie und ihre Nachkommen dort inzwischen die Mehrheit der Bevölkerung stellen.

In Jordanien löste der überraschende Vorstoß heftige Reaktionen aus. Das Außenministerium lud den israelischen Botschafter vor, um ihm eine Protestnote zu überreichen, und im Parlament formierte sich eine Initiative, welche die Regierung zu weiteren Schritten gegen die Anmaßung der Knesset und derartige Tendenzen in Israel drängt. Die Empörung ist einerseits verständlich, da niemand die Jordanier gefragt hat, was sie von dieser Option halten. Sie unterstreicht andererseits aber auch, das keines der arabischen Regimes bereit ist, die Palästinenser über eine politische Manövriermasse hinaus zu unterstützen oder gar aufzunehmen.

Die Vertreibung der Palästinenser nach Jordanien war eine fundamentale Strategie im Kontext der israelischen Staatsgründung, was ihre erneute Diskussion um so brisanter macht. War es in der Vergangenheit in Israel nicht opportun, die Katastrophe (Nakba) des Jahres 1948 in Gestalt der rund 750.000 vertriebenen Palästinenser zu thematisieren, so mutet die aktuelle Parlamentsdebatte um die jordanische Option wie der Auftakt zur endgültigen ethnischen Säuberung auf dem gesamten großisraelischen Territorium an.

3. Juni 2009