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HEGEMONIE/1662: EU-Kommission plant präventive Eingriffe in nationale Haushaltspolitik (SB)



EU-Währungskommissar Olli Rehn plant, daß die Regierungen der Mitgliedstaaten künftig der EU-Kommission ihre Haushaltsentwürfe vorlegen, bevor diese vom Parlament verabschiedet werden. Bei dieser der Stabilisierung der Währungsunion gewidmeten Maßnahme dürfte sich die Kommission kaum darauf beschränken, den Regierungen und Parlamenten lediglich Vorschläge zu unterbreiten. Wenn die Absicht, künftigen Schuldenkrisen durch eine Angleichung staatlicher Ausgabenpolitik vorzubeugen, irgendeinen Effekt haben sollte, dann müßte sie mit einem Vorrecht der Kommission ausgestattet werden, konkrete Interventionen in die jeweiligen Etats vollziehen zu können. Als eine Möglichkeit, die Vorstellungen der Kommission in den Einzelstaaten durchzusetzen, hat Rehn bereits ins Gespräch gebracht, die Mittel aus den Struktur- und Kohäsionsfonds der EU nur dort zu vergeben, wo man sich bereiterklärt, die haushaltspolitischen Maßnahmen seiner Behörde umzusetzen.

Die von Rehn beabsichtigte Prüfung, ob die nationale Ausgabenpolitik mit den Interessen der Eurozone in Übereinstimmung zu bringen ist, setzt die Festlegung von Maßgaben voraus, die in ihrer einzelstaatlichen Ausgestaltung unterschiedlicher nicht sein könnten. Stellt man die Exportorientierung der deutschen Wirtschaft den Interessen derjenigen Länder entgegen, die Leistungsbilanzdefizite gegenüber der Bundesrepublik haben, dann wären konsequenter Eingriffe in die Steigerung respektive Zügelung der Binnennachfrage zu erwarten. Damit würden die jeweiligen Lebensverhältnisse übergeordneten Zielen unterworfen, die nicht die der Betroffenen sein müssen.

Zweifellos wäre es im Sinne deutscher Lohnabhängiger und Erwerbsloser, wenn die EU-Kommission eine Umlenkung von Haushaltsmitteln zur Steigerung des Binnenkonsums verordnete. Diesem stände jedoch, wie am Beispiel Griechenland vorexerziert, dementsprechende Kürzungen von Subventionen und Sozialleistungen in Ländern mit negativer Leistungsbilanz gegenüber, deren Bevölkerungen häufig einen geringeren Lebenstandard als den der Bundesbürger aufweisen. Der Einwand, man müsse das währungspolitische Ziel der Preisstabilität durch die Regulation handelspolitischer Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone ergänzen, muß keineswegs in allen Fällen im Interesse der davon betroffenen Bevölkerungen liegen.

Ohnehin bleibt Rehns Position zur Vertiefung der Währungsunion durch verbindliche wirtschaftspolitische Entscheidungen undurchsichtig. Da die Angleichung der Unterschiede nationaler Lohnniveaus und Sozialstandards bei Investoren, die diese Differenzen zur Kapitalakkumulation ausnutzen, unpopulär ist, gibt sich der Währungskommissar hier eher zugeknöpft. Um so deutlicher wird, daß die Generallinie der währungs- und wirtschaftspolitischen Konsolidierung in der EU-Kommission nach der bewährten Rezeptur der Umverteilung von unten nach oben verlaufen soll.

Nach allem, was die Regierungen der führenden EU-Staaten bisher angekündigt haben und was der Währungskommissar zum Plan der Etablierung präventiver Kontrollmechanismen vorgelegt hat, wird das Hauptgewicht der suprastaatlichen Regulation des Stabilitätspakts auf der Einhaltung der Konvergenzkriterien, also der strikten Begrenzung des Schuldenstands und der Neuverschuldung, liegen. Die im Gespräch befindliche Übernahme der deutschen Schuldenbremse als gesetzlicher Riegel zur Begrenzung der staatlichen Kreditaufnahme und die von Rehn ins Auge gefaßte Möglichkeit, die Mitgliedstaaten der Eurozone zur Bildung verzinslicher Rücklagen anzuhalten, sprechen für eine allgemeine Sparpolitik, die vor allem zu Lasten der Menschen geht, die über kein nennenswertes Vermögen verfügen.

Zwar scheint die Krise der Staatshaushalte, die bereits Folge einer wesentlich sozialfeindlichen Bankenrettung ist, den Vorstoß zur stärkeren haushaltspolitischen Integration der Mitgliedstaaten zu rechtfertigen, doch erfolgt dies auf der Basis einer vertraglichen Festlegung der gemeinsamen Wirtschafts- und Währungspolitik, die die EU-Staaten laut Lissabon-Vertrag "vorrangig" auf "das Ziel der Preisstabilität" festlegt und auf den "Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" (Art. 119 AEUV) einschwört. Als "richtungsweisende Grundsätze" werden dort ausschließlich Kriterien der Verwertungssicherheit aufgeführt: "stabile Preise, gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen sowie eine dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanz". Politische Initiativen, die die Ausweitung der Staatsquote zur Verringerung der Erwerbslosigkeit oder andere antizyklische Maßnahmen der Wirtschaftspolitik für sinnvoll erachteten, werden schon im Lissabon-Vertrag der strikten Haushaltsdisziplin nachgeordnet, so daß die demokratische Willensbildung in den Mitgliedstaaten auch ohne präventive Haushaltseingriffe der EU-Kommission stark eingeschränkt ist.

Insofern bietet die Schuldenkrise der EU-Administration die willkommenen Gelegenheit, Integrationsschritte zu beschleunigen, die ansonsten schwieriger durchzusetzen gewesen wären. Daß diese Schritte alles andere als den Lebensinteressen der Bevölkerung entsprechen, sondern die Ansprüche der Kapitaleigner vor dem Hintergrund eines imperialistischen Entwurfs ökonomischer und geostragischer Expansion befriedigen sollen, wurde seit jeher von den Kritikern der neoliberalen marktwirtschaftlichen Ausrichtung der EU kritisiert. Die anhand der synchron verlaufenden Krisen der Weltwirtschaft, der Verknappung der Energie- und Nahrungsmittelressourcen, des Klimawandels und nicht zuletzt der demokratischen Legitimation deutlich gewordenen Probleme kapitalistischer Vergesellschaftung werden mit der zusehends gewaltsamen Durchsetzung der Verwertungsbedingungen weiter verschärft. Wenn das zentrale parlamentarische Recht, über den Staatshaushalt zu befinden, durch übergeordnete Eingriffe eingeschränkt wird, die nicht erklärtermaßen die Interessen der am meisten von diesen Krisen betroffenen Menschen berücksichtigen, dann wird damit die Möglichkeit, auf demokratischem Wege systemische Veränderungen herbeizuführen, um ein weiteres reduziert. Die Austragung sozialer Konfrontationen in Griechenland wird zum Anlaß genommen, mit der weiteren Ermächtigung supranationaler Verfügungsgewalt Tatsachen zu schaffen, die als Zwänge in Erscheinung treten, die zu ihrer Legitimation nicht einmal mehr des Vorwands der Sachzwanglogik bedürfen.

12. Mai 2010