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HEGEMONIE/1672: Kompromißlosigkeit der USA und EU provozieren Krieg gegen den Iran (SB)



Die durch US-Präsident Barack Obama in Kraft gesetzten Sanktionen gegen den Iran sind angeblich nur gegen die Teheraner Regierung und nicht gegen die Bevölkerung des Landes gerichtet. Dem ist ganz und gar nicht so, wie die hauptsächliche Stoßrichtung der Maßnahmen zeigt. Sie sollen die Lieferung von Benzin und Dieselölen an den Iran unterbinden, die das Land importieren muß, um seinen Bedarf an Treibstoffen für den Fahrzeugverkehr und andere Zwecke zu decken. Über ein Drittel des Verbrauchs von bis zu 150.000 Barrel am Tag muß der Iran aufgrund unzureichender Raffineriekapazitäten importieren. Eine Verknappung übte erheblichen ökonomischen Druck auf die Bevölkerung aus, wird das subventionierte Preisniveau dieser Energieträger doch unter den neuen Sanktionen nicht zu halten sein.

Die EU-Regierungen, die gegen den Iran gerichteten Sanktionen der USA in den neunziger Jahren stets ablehnten, haben bereits Mitte Juni entsprechende Maßnahmen getroffen. Damit wurden die kurz zuvor verschärften UN-Sanktionen in ihrer Wirksamkeit deutlich übertroffen, und die Vetomächte Rußland und China, die mit ihrer Zustimmung mäßigend auf das Sanktionsregime eingewirkt hatten, ausmanövriert. Ob dies in Moskau und Peking bereits einkalkuliert war oder nicht, ist für das Ergebnis der damit angewachsenen Kriegsgefahr belanglos. Der Friedensnobelpreisträger Obama, der den Krieg als Mittel der Politik explizit anerkennt, gab bei der Unterzeichung des Gesetzes hinlänglich zu erkennen, daß für den Iran kein Weg an der Erfüllung der Forderung, auf die eigene Urananreicherung zu verzichten, vorbeiführt. Da die Teheraner Regierung unverändert erklärt, sich zu nichts nötigen zu lassen, und bei Übergriffen der USA und ihrer Verbündeten auf iranische Handelsschiffe entsprechende Gegenmaßnahmen angekündigt hat, ist man mit dem Ensemble aus Sanktionen des UN-Sicherheitsrats und deren Verschärfung durch bilaterale Maßnahme einen guten Schritt in Richtung militärische Eskalation vorangekommen.

Das geht auch aus der Tatsache hervor, daß die spezifische Ausrichtung der EU- und US-Sanktionen auf den Energie- und Finanzsektor mit der unterstellten Absicht, die Nuklearwirtschaft und -forschung des Irans zu beschränken, fast nichts zu tun hat. Des weiteren wurde durch die Schrittfolge, erst UN-Sanktionen zu verhängen, um diese kurz darauf durch bilaterale Sanktionen zu verschärfen, der Einfluß des UN-Sicherheitsrats auf die Konfliktlösung geschwächt respektive das Gremium vollends den Interessen der USA und EU unterworfen. Sollte es nun zu einer militärischen Eskalation kommen und der Sicherheitsrat eingeschaltet werden, dann wäre er durch diese willkürliche Vorgehensweise bereits so an den Rand gedrängt, daß die Frage nach einer Mandatierung dieses Krieges belanglos wäre. Ohnehin wäre er, da mit einem Angriff der USA und ihrer Verbündeten auf die iranischen Atomanlagen zu rechnen ist, verpflichtet, die Aggressoren und nicht das Opfer zu verurteilen. Der finale Absturz dieses Instruments internationaler Friedenssicherung in die Bedeutungslosigkeit wäre in diesem Zusammenhang durchaus möglich.

Die Androhung Washingtons, Firmen, die in diesen Bereichen mit dem Iran Geschäfte machen, den Zugang zum US-Markt und zum US-Bankensystem zu verwehren sowie von US-Staatsaufträgen auszuschließen, geht weit über die seit 1996 gegen den Iran verhängten Wirtschaftssanktionen der USA hinaus. Betrafen diese nur Investitionen in die Erschließung iranischer Erdölfelder ab 20 Millionen Dollar, so müssen nun alle Unternehmen, die an der Versorgung des Landes mit raffiniertem Benzin beteiligt sind und mit ihm auf dem Finanz- und Bankensektor zusammenarbeiten, schwere geschäftliche Nachteile in Kauf nehmen.

Der damit auch Unternehmen in den USA und der EU zugefügte Schaden dürfte das seinige dazu beitragen, daß auf eine schnelle Lösung des Problems hingearbeitet wird. Die politische und wirtschaftliche Isolation des Irans steigert das Interesse aller potentiellen Handelspartner daran, daß dieser Zustand so oder so beendet wird. Die apodiktische Erklärung Obamas, nichts anderes als die Unterwerfung des Irans zu akzeptieren, läßt zudem ein profundes Interesse daran erkennen, dies auf militärischem Weg zu erreichen. So hat die US-Regierung den Vermittlungsversuch der Türkei und Brasiliens, an dem mit einer weiteren Annäherung der Positionen hätte angeknüpft werden können, verworfen. Das auf der Überprüfungskonferenz zum atomaren Nichtverbreitungsvertrags (NPT) von den Blockfreienstaaten beschlossene Vorhaben, ab 2011 über die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten zu verhandeln, hat die US-Regierung mit dem Vorbehalt versehen, daß Israel keinesfalls genötigt werden dürfte, dem NPT beizutreten und unter Aufsicht der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) gestellt zu werden. Auch machte die US-Regierung keine Aussage dazu, ob sie ihre Truppen in der Region ebenfalls nuklear abrüsten wollte.

Da diese erstrebenswerte Lösung des sogenannten Atomstreits nur unter Einbindung Israels erfolgen könnte, die die US-Regierung verhindert, ist dieser friedliche Weg zu seiner Beilegung ausgeschlossen. Während der Iran noch Jahre vom Bau einer Atomwaffe entfernt wäre, wenn er sie überhaupt entwickeln wollte, und den NPT unterzeichnet hat, besitzt Israel Atomwaffen und verweigert den Beitritt zu diesem Rüstungskontrollabkommen. Die US-Regierung agiert im Verhältnis zu Tel Aviv so einseitig, wie sie es mit Teheran tut, so daß von einem auch nur ansatzweise neutralen Vermittlungsinteresse keine Rede sein kann. Niemand anders als Obama gibt dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmedinejad das Argument an die Hand, daß sein Land auf ungerechte Weise abgestraft werden soll. In Anbetracht der Weigerung der USA und EU, die strategische Bedrohung des Irans durch die Atommacht Israel und die zahlreichen US-Garnisonen in seinen Nachbarstaaten ebenso anzuerkennen, wie sie die vom Iran auf Israel ausgehende Gefahr zum Problem erheben, ist nicht zu erkennen, daß es im sogenannten Atomstreit um etwas anderes ginge als die Vormachtstellung der USA und ihrer Verbündeter in der Region.

Dafür spricht auch das militärisch geringe Gewicht des Irans, der zu Lebzeiten seiner Bürger keinen Angriffskrieg geführt hat und dessen Militärhaushalt lediglich zwei Prozent des Kriegsbudgets der USA umfaßt. Der Iran fällt mit seiner militärischen Schlagkraft hinter einen potentiell feindseligen Nachbarn wie Saudi-Arabien zurück, der mit hochwirksamen US-Waffen aufgerüstet wurde, und verfügt über eine ausschließlich defensive Militärdoktrin. Man kann es daher kaum Zufall nennen, daß die Unterstellung, die Teheraner Regierung plane Aggressionskriege, von Staaten erhoben wird, die diese tatsächlich führen. Den USA und der EU ist allerdings ein Dorn im Auge, daß diese regionale Mittelmacht auf anderem Weg, über die schiitischen Mehrheitsbevölkerungen im Irak und im Libanon, die schiitische Minderheit in Saudi-Arabien und die Unterstützung der palästinensischen Hamas, Hegemonialpolitik betreibt. Daß dem Iran trotz des Kampfes der inneren Opposition gegen das theokratische System der Ruf anhaftet, mit der islamischen Revolution einen antikolonialistischen Befreiungsschlag vollzogen zu haben, sorgt für einen Zuspruch in arabischen Staaten, der der im Verhältnis zur westlichen Expansionspolitik eher kleinteiligen Geostrategie Teherans zusätzlichen Schub verleiht.

Die USA und EU haben also gleich mehrere Gründe dafür, den Iran in die Knie zu zwingen. Die dabei erfolgende Delegitimierung der grünen Widerstandsbewegung, die bei anwachsendem äußeren Druck desto leichter als fünfte Kolonne westlicher Aggressoren diffamiert werden kann, scheinen die Regierungen in Washington, Brüssel, London und Berlin gerne in Kauf zu nehmen, wenn sie den Regimewechsel in Teheran auf anderem Wege erreichen können. Die absehbare Verschlechterung der Lebensbedingungen der Iraner wird, wie am Beispiel der langfristigen Aushungerung des Iraks unter Saddam Hussein zu sehen, nicht dazu führen, daß die Teheraner Regierung durch Nachfolger gestürzt wird, die sich den Forderungen der USA und EU unterwerfen. Dazu weiß man im Iran noch zu genau, welche destruktive Rolle insbesondere die USA bei dem Versuch gespielt haben, den Iran zu demokratisieren und das Shah-Regime zu beseitigen.

Von besonderer Bedeutung für die weitere Entwicklung des Konflikts dürfte die Frage sein, inwiefern Rußland und China von den bilateralen Sanktionen der USA und EU getroffen werden. So beschwerte sich die russische Regierung Anfang der Woche beim UN-Sicherheitsrat darüber, daß deutsche Behörden technische Installationen beschlagnahmten, die deutsche Firmen im Auftrag russischer Unternehmen, die das Atomkraftwerk Bushehr errichten, in den Iran liefern sollten. Da die den Iran betreffenden UN-Sanktionen die Technologie für Leichtwasserreaktoren wie diesen nicht betreffen, protestierte die russische Regierung beim UN-Sicherheitsrat gegen diesen von deutsche Behörden begangenen Verstoß. Diese beriefen sich auf die gegen den Iran verhängten EU-Sanktionen, die Lieferungen für Leichtwasserreaktoren untersagen.

Für den aufgrund des anwachsenden ökonomischen Drucks gegen den Iran und der Aufstockung westlicher Marinepräsenz im Persischen Golf wahrscheinlicher werdenden Ernstfall ist eine weltweite Krise zu befürchten. Mit der Unterbindung des Tankerverkehrs aus einem Gebiet, in dem ein Fünftel des weltweit verbrauchten Erdöls gefördert wird, käme es zu erheblichen Preissteigerungen für Erdöl und alle davon abhängigen Produktionsverläufe. Das an fossiler Energie reiche Rußland befände sich in diesem Fall auf der Seite der Nutznießer, so daß von Moskau keine stärkere Opposition gegen einen Angriff auf den Iran zu erwarten ist. Das gleiche gilt für China, das sich gegenüber den USA nicht isolieren möchte und den eigenen Vorteil darin suchen wird, dabei zuzuschauen, wie sich die westlichen Staaten an diesem Feldzug verbrauchen. Da die Bombardierung iranischer Atomanlagen den regionalen Einfluß des Landes nicht schwächen wird, wäre die Eroberung des Landes am Boden erforderlich. Aus diesem absehbar verlustreichen und lange währenden Krieg könnte sich die Bundesrepublik aufgrund ihrer engen Bindung an die USA und Israel sowie als eine der sechs Hauptbetreiber der gegen den Iran gerichteten Politik nicht heraushalten.

2. Juli 2010