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HEGEMONIE/1680: Kuba-Resolution der UNO - Höhlt steter Tropfen den Stein des Hegemons? (SB)



Daß die ganze Welt nach ihrer Pfeife zu tanzen hat, ist das unumstößliche Credo der Vereinigten Staaten. Für Washington ist die bei Bedarf zitierte Völkergemeinschaft allenfalls als Vehikel zur Unterstützung seiner unersättlichen hegemonialen Ansprüche von Belang, während selbst überwältigende Mehrheitsentscheidungen der UN-Vollversammlung als Makulatur in den Papierkorb der Geschichte gestampft werden, sobald sie dem US-amerikanischen Dominanzstreben in die Quere kommen. Mit Blick auf Kuba hat diese Selbstherrlichkeit auf geradezu klassische Weise Tradition, da die Generalversammlung die US-Regierung schon 19mal vergeblich aufgefordert hat, das Embargo aufzuheben.

Die jüngste Aufforderung wurde nahezu einstimmig beschlossen, da lediglich die USA und Israel gegen die nicht bindende Resolution votierten. Die drei kleinen pazifischen Staaten Marshallinseln, Palau and Mikronesien enthielten sich der Stimme. Will man der jahrzehntelangen Stagnation in dieser Kontroverse ungeachtet dennoch gewisse Fortschritte konstatieren, so lassen sich diese an der zunehmenden Isolation der USA festmachen. Die Unterstützung für die Resolution hat sich im Laufe der fast zwanzig Jahre von anfangs etwa 50 Staaten inzwischen mehr als verdreifacht, wobei zuletzt 187 der 192 Mitgliedsstaaten die Resolution annahmen. Da man die drei von Washington gekauften pazifischen Inselstaaten in dieser Bilanz vernachlässigen kann, stehen die Vereinigten Staaten und Israel in ihrem wechselseitigen Pakt, alle gegen ihre Interessen gerichteten Beschlüsse zu blockieren, inzwischen allein da.

Die USA hatten von 1960 an umfangreiche Handels- und Reisebeschränkungen gegen Kuba verhängt. Nachdem die von Washington unterstützte Invasion von Exilkubanern in der Schweinebucht 1961 gescheitert und die Raketenkrise im Oktober 1962 das Verhältnis der Nachbarländer auf einen Tiefpunkt befördert hatte, verhängte John F. Kennedy im selben Jahr das eigentliche Handelsembargo.

In der Vollversammlung herrschte dieser Tage weithin Einigkeit darüber, daß es sich bei dem Embargo um einen Anachronismus aus der Zeit des kalten Krieges handle, dessen Auswirkungen die kubanische Bevölkerung träfen. Viele Sprecher zeigten sich enttäuscht von der US-Regierung, da die Ankündigung Präsident Barack Obamas, er werde die Beziehungen zu Kuba grundlegend verbessern, auch nach fast zwei Jahren seiner Amtszeit nicht umgesetzt worden ist. So forderte der südafrikanische UN-Botschafter Baso Sangqu die USA auf, die unilaterale Isolation Kubas zu beenden und in einen ernsthaften Dialog mit der Regierung in Havanna einzutreten.

Auch die Europäische Union und die G77 forderten Washington in der Vollversammlung auf, das Handelsembargo unverzüglich aufzuheben. Die negativen Auswirkungen des von den USA einseitig verhängten Embargos auf die Handelsbeziehungen zwischen Europa und Kuba seien für die EU nicht länger akzeptabel, so Jan Grauls, der belgische UN-Botschafter. Jemens stellvertretender UN-Botschafter Abdullah Ali Fadhel Al-Saadi kritisierte das Embargo als Verstoß gegen die UN-Charta und gegen das Völkerrecht. Die G77 verurteilten alle einseitig gegen Entwicklungsländer verhängten Maßnahmen.

Kubas Außenminister Bruno Rodriguez Parrilla bezeichnete die Sanktionen vor dem UN-Gremium als "irrational" und sprach von einem "Akt des Völkermords". Das US-Embargo sei das "langwierigste und umfassendste Bündel von Zwangsmaßnahmen, die je gegen ein Land verhängt wurden". Zwei Jahre nachdem der US-Präsident einen Neustart der Beziehungen zu Kuba versprochen hatte, habe sich nichts geändert. Obama habe seine weitreichenden Vollmachten nicht angewandt. Man habe es mit einer "grausamen und aggressiven Politik" zu tun, die in absolutem Widerspruch zu internationalem Recht stehe. Die US-Regierung sei sich bewußt, daß das Embargo die Menschenrechte eines ganzen Volkes in Mitleidenschaft ziehe. Es handle sich nicht wie von seiten der USA behauptet um eine bilaterale Angelegenheit, da die Sanktionen einen klaren exterritorialen Charakter hätten. Dessen ungeachtet werde sein Land fortfahren, friedliche und auf gegenseitigem Respekt beruhende Beziehungen mit den Vereinigten Staaten aufzubauen. (New York Times 26.10.10)

Daß es sich bei dem Embargo in der Tat um keine bilaterale Angelegenheit handelt, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß die US-Regierung auch ausländische Unternehmen sanktioniert, die mit Kuba Handelsbeziehungen unterhalten. Indem Washington auf diese Weise allen anderen Ländern seinen Willen aufzuzwingen versucht, erhebt es das Embargo in den Rang eines überstaatlichen Sanktionsregimes.

Demgegenüber verteidigte der US-Gesandte Ronald Godard das Embargo als Teil einer Politik, die auf die Förderung der Menschenrechte in Kuba abziele. Er bestand auf dem bilateralen Charakter der Sanktionen, deren Zweck darin bestehe, ein Klima der Offenheit in Kuba zu schaffen. Die Vereinigten Staaten seien der Auffassung, daß es höchste Zeit für die UN-Vollversammlung ist, sich darauf zu konzentrieren, das kubanische Volk in seinem Streben zu unterstützen, selbst über seine Zukunft zu entscheiden, und keine rhetorischen Schauläufe zu vollführen. Washington habe seit Amtsantritt Präsident Obamas durchaus Schritte zur Milderung des Embargos eingeleitet und die Beschränkungen von Familienbesuchen und Geldüberweisungen gelockert, die bilateralen Gespräche über Fragen die Migration wieder aufgenommen und die Wiederaufnahme eines direkten Postverkehrs diskutiert.

Die USA seien jedoch nicht bereit, das Embargo vollständig aufzuheben, bevor das kommunistisch geführte Land weitreichendere politische und wirtschaftliche Veränderungen herbeigeführt hat. Eine neue Ära in den Beziehungen zu Kuba könne erst dann in vollem Umfang verwirklicht werden, wenn das kubanische Volk dieselben international anerkannten politischen und ökonomischen Freiheiten genießt, für deren Verteidigung in vielen anderen Ländern sich die UN-Vollversammlung so sehr eingesetzt habe.

Mit der Selbstherrlichkeit der Macht kanzelt der US-Gesandte das Votum nahezu aller UN-Mitgliedsstaaten als "rhetorischen Schaulauf" ab, obgleich es die jahrelange Mißachtung der Beschlüsse durch die US-Regierung war, die das Votum der Vollversammlung zu einer rituellen Ersatzhandlung verkommen ließ. Das Recht der Völker ist mitnichten jenes der USA, die alle Welt lektionieren, daß Rechtsansprüche ohne die ihnen zugrundeliegende Waffengewalt gegenstandslos sind. Wo Menschenrechte als Vorwand für Krieg und Sanktionen herhalten müssen, bestimmen immer noch die USA und ihre Verbündeten, auch wenn die europäischen Mächte um ihrer eigenen ökonomischen Vorteile willen die US-Regierung in ihrer Blockadepolitik nicht länger unterstützen.

Daß die EU den Kubanern selbst überlassen will, in welchem Gesellschaftssystem sie leben, ist ein Gerücht. Wenngleich es in den zurückliegenden Monaten eine gewisse Annäherung gegeben hat, wurde die Beibehaltung der "Gemeinsamen Position" gegenüber Kuba soeben bestätigt. Deutschland, Schweden, Polen und Tschechien sprachen sich gegen eine Prüfung aus und verhinderten damit den notwendigen Konsens. Mit dem "Gemeinsamen Standpunkt" knüpft die EU eine ständige Zusammenarbeit mit Kuba an die Bedingung politischer Systemreformen in dem sozialistischen Karibikstaat.

Daher bleibt es wohl auch künftig den Staaten Lateinamerikas vorbehalten, die Blockade Kubas alljährlich auf die Tagesordnung der Vollversammlung zu bringen. Wenngleich dieser Akt für sich genommen alles andere als erfolgversprechend ist und zu einer bedeutungslosen Formalie verkommen zu sein scheint, kann man nicht ausschließen, daß die Beharrlichkeit, diese Forderung nicht preiszugeben, sich als einer jener steten Tropfen erweist, die den Stein des Hegemons aushöhlen.

27. Oktober 2010