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HEGEMONIE/1714: G8-Gipfel besticht durch das, was dort nicht thematisiert wird (SB)



Auch wenn das G8-Treffen ein informelles Forum ist, sollte seine Bedeutung für die weltpolitische Entwicklung nicht geringgeschätzt werden. Ermöglicht doch gerade der zwanglose Charakter der Veranstaltung, zu der Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy am Donnerstag und Freitag in den Luxusbadeort Deauville geladen hat, eine Verständigung und Kursausrichtung der acht teilnehmenden Industriestaaten, wie es eine mit Pflichten einhergehende Agenda womöglich nicht zu bieten vermag.

Beim diesjährigen G8-Treffen liegen die Schwerpunkte auf die Entwicklung in Nordafrika und im Nahen Osten, die Sicherheit der Kernenergie und die Lage der Weltwirtschaft. Weitere Themen drehen sich um die Einschränkung des Internets, den Super-GAU von Fukushima und die Zukunft der Kernenergie, den Stand der internationalen Klimaschutzverhandlungen und - ganz und gar informell - sicherlich auch die Nachfolge für den zurückgetretenen IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn.

Keines dieser Themen soll hier als unwichtig für die weitere Entwicklung der Gesellschaft herabgewürdigt werden, von entscheidender Bedeutung ist jedoch, was nicht thematisiert wird, nämlich daß die Produktions- und Reproduktionsbedingungen, nach denen unter anderem die menschliche Arbeit organisiert und verwertet wird, den behaupteten Anspruch nicht erfüllen, die Menschen aus dem Jammertal ihrer primitiven Existenz herausgeführt und ihnen Fortschritt und Zivilisation gebracht zu haben.

Der eingeschlagene Kurs, auf dem der Reichtum der Wenigen große Armut unter vielen erzeugt, ließe sich bestenfalls dann mit den kreideweichen Reden der Sarkozy, Obama und Merkel in Deckung bringen, wenn man ihnen Unredlichkeit unterstellt. Denn mehr als eine Milliarde Menschen haben nicht genügend zu essen, sie befinden sich in akuter existentieller Not - worüber also reden die G8-Staats- und Regierungschefs?

Gegen die Menschenvernichtung als Folge von Hunger verkommt jeder kriegerische Akt - bei aller Niedertracht, zu denen Menschen unbestritten in der Lage sind - zur Randerscheinung der Geschichte. Während der sieben Jahre des Zweiten Weltkriegs kamen Schätzungen zufolge rund 55 Millionen Menschen ums Leben. Das entspricht in etwa der Zahl der Toten, die innerhalb von nur zwei Jahren verhungern oder als Folge der Unterernährung erkranken und sterben - Opfer einer absichtsvollen Politik der Verdrängung, Vernachlässigung, letztlich Vernichtung.

Sollten nicht absoluter Nahrungsmangel und die Voraussetzung von Armut, nämlich die Möglichkeit, auf der Basis von Ausbeutung Reichtum anzuhäufen, im Zentrum der Agenda einer Staatengruppe stehen, die für sich letztlich Weltführerschaft reklamiert, folglich alle Menschen einbezieht?

Zur Zeit erleiden wichtige landwirtschaftliche Gebiete Chinas die schwerste Dürre seit zweihundert Jahren; auch in Europa, den USA, Ostafrika und anderen Weltregionen wird in diesem Jahr mit teils empfindlichen Ernteeinbußen gerechnet. Gleichzeitig werden zig Millionen Tonnen Nahrungs- und Futtermittel zu Treibstoff verarbeitet und verbrannt. Die Preise für Grundnahrungsmittel waren noch nie so hoch wie in diesem Jahr, stellt die FAO fest und kündigt an, daß sie weiter steigen. Damit auch der Hunger.

Die G8-Staaten kümmert dies offensichtlich nicht. Statt dessen sind sie um die Sicherung und den Ausbau ihrer globalen Vormachtstellung bemüht, und die Mittel dazu lauten: Zensur des Internets; die Entwicklungs- und Schwellenländer übervorteilender Abschluß der Doha-Runde der Welthandelsorganisation; Instrumentalisierung des arabischen Frühlings und Zunichtemachen seines emanzipatorischen Potentials; Vorteilssicherung in Afrika gegenüber dem Konkurrenten China; Wahrung des Monopols auf Massenvernichtungswaffen und damit eigener Epressungsoptionen; Bekämpfung des "Terrorismus" überall dort, wo er nicht eigenen Interessen dient.

25. Mai 2011