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HEGEMONIE/1720: EU-Krisenmanagement setzt verschärftes Mangel- und Arbeitsregime durch (SB)



Auf ihrem Sondergipfel am 21. Juli 2011 haben die Staats- und Regierungschefs der Eurozone die langfristige Aussetzung einer eigenständigen Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik Griechenlands beschlossen. Das sogenannte Rettungspaket entlastet den mit 350 Milliarden Euro verschuldeten Staat absehbar um weniger als ein Zehntel dieser Summe. Der Haupteffekt der umfassenden Maßnahme besteht darin, daß das Land für die nächsten zehn Jahre praktisch vom Finanzmarkt genommen wird. Nach dem unzureichenden Kredit von 110 Milliarden Euro, der Griechenland letztes Jahr zur Verfügung gestellt wurde, werden nun 109 Milliarden Euro mobilisiert. Diese Summe wird mindestens zur Hälfte zur Absicherung der Umschuldung bereits vergebener Kredite an das Land verwendet, anstatt zur Belebung von Produktion und Reproduktion beizutragen und damit die desolate Lage der Bevölkerung zu verbessern.

Die mit großem Aplomb gerühmte Beteiligung der Gläubiger läuft für diese schlimmstenfalls auf einen Verlust von 20 Prozent ihrer Investition hinaus. Wer sich nicht für einen Anleiherückkauf durch Griechenland entscheidet, sondern seine Anlagen in langfristige Papiere mit einer Laufzeit von 15 bis 30 Jahre umwandelt, der verhilft zumindest den daran beteiligten Banken zu einem guten Geschäft [1]. So wird ein Totalausfall des griechischen Staates auf dem Rücken einer Bevölkerung verhindert, die das Gros einer Staatsschuld zu tragen hat, die in ganz andere Taschen als ihre geflossen ist. Den EU-Regierungen jener Länder, deren Banken die größten Positionen im Geschäft mit griechischen Staatsanleihen halten, ist das Wohl der Griechen einfach nicht "systemrelevant" genug.

Das von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicholas Sarkozy maßgeblich bestimmte Krisenmanagement geht jedoch über den unmittelbaren Schutz der Kapitalinteressen hinaus. Die Durchsetzung globaler Wettbewerbsfähigkeit der EU soll mit Hilfe eines innovativen Arbeitsregimes erfolgen, dem das in der Bundesrepublik vorexerzierte Programm der Lohnsenkung nach Agenda 2010 als Vorbild dient. Soziale Transferleistungen werden nicht nur minimiert, sie werden an Verpflichtungen gebunden, die entrechtete Arbeitsverhältnisse, wie sie beispielsweise mit den Ein-Euro-Jobs geschaffen wurden, zur obligatorischen Bewährungsprobe Erwerbsloser machen. Erwerbsarbeit soll durch Abschöpfung unbezahlt erwirtschafteter Qualifizierungen - Stichwort "lebenslanges Lernen" -, durch die Bereitschaft zu maximaler Mobilität und Akzeptanz auch widriger Arbeitsverhältnisse und durch forcierten Anpassungs- und Leistungsdruck für ihre Käufer kostengünstiger und effizienter werden.

Erreicht wird dies in erster Linie durch die Peitsche des Mangels, die die griechische Bevölkerung bereits schmerzhaft zu spüren bekommen hat. Die allein durch die Sparmaßnahmen vom Mai 2010 bewirkten Härten des Verlustes des Arbeitsplatzes, der Lohnsenkung, der Einsparungen im Gesundheitswesen und bei der Rente, der Verteuerungen beim Konsum haben viele Menschen an den Rand des Hungers getrieben. Griechenland hat inzwischen den dritthöchsten Mehrwertsteuersatz der EU, die lohnabhängige Bevölkerung bezahlt die dritthöchsten Sozialversicherungsbeiträge, und das Benzin, dessen Preis sich innerhalb von zwei Jahren fast verdoppelt hat, ist am zweithöchsten in der EU besteuert. Dabei sind griechische Lohnarbeiter alles andere als faul. Sie arbeiten durchschnittlich 42,1 Stunden die Woche, das ist der höchste Wert in der EU und das sind sechs Stunden mehr als in Deutschland [2]. Dort hält man viel auf den eigenen Arbeitsethos und münzt diese Einbildung in arrogante Verächtlichkeit gegenüber der griechischen Bevölkerung um, ohne auch nur annähernd ermessen zu können, wie die Bundesbürger mit einer derart massiven Verarmung umgingen. Systematisch verbreitete Diffamierungen über den angeblich faulen Lenz dazu noch räuberischer Griechen werden hierzulande mit Journalistenpreisen honoriert, wie die Johanna-Quandt-Stiftung bewies, als sie die Urheber einer gegen angebliche "Pleite-Griechen" gerichteten Kampagne der Bild-Zeitung auszeichnete.

Der zornige Widerstand, mit dem die griechische Bevölkerung der Verabschiedung des jüngsten Sparpakets Ende Juni entgegengetreten ist, vermittelt einen Vorgeschmack darauf, was in anderen EU-Staaten bei der Durchsetzung derartiger Radikalkuren zu erwarten ist. Obwohl Griechenland im letzten Jahr anerkanntermaßen die schärfsten Sparmaßnahmen durchführte, zu denen sich ein europäischer Staat in der Nachkriegszeit verpflichtet hat, bewirkten alle Anstrengungen, wie Kritiker einer prozyklischen Austeritätspolitik von Anfang an prognostiziert hatten, nur, daß eine aus eigener Kraft gelingende Entschuldung in immer weitere Ferne rückte.

Die unter Aufsicht der EU-Kommission, des IWF und der EZB erfolgende Auszehrung der öffentlichen Ausgaben wird die soziale Misere weiter verstärken. Dabei ist Hellas nur der Vorreiter einer EU-weiten Entwicklung. In seiner Erklärung vom 21. Juli 2011 hat der Rat der Europäischen Union festgestellt:

"Alle Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets werden die vereinbarten haushaltspolitischen Ziele strikt einhalten, ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern und gegen die makro-ökonomischen Ungleichgewichte vorgehen. Die öffentlichen Defizite werden in allen Ländern, mit Ausnahme der Programmländer, bis spätestens 2013 auf unter 3 % reduziert werden." [3]

Die Eurokrise wird am Beispiel Griechenlands exemplarisch reguliert, um zu erproben, wie man mit anderen Staaten der Eurozone verfährt. Im März 2011 wurde der Euro-Plus-Pakt beschlossen. Zwecks Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit wird die Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten auf Steuersenkungen für das Investivkapital verpflichtet und der Niedriglohnsektor durch Forderungen nach Zurückhaltung bei Lohnabschlüssen im öffentlichen Dienst, nach der Aufhebung der Bindung der Löhne an die Inflationsentwicklung und Kopplung der Löhne an die Produktivität ausgeweitet. Anfang Juni einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf die Etablierung einer Economic Governance für die EU, die eine Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sowie ein umfassendes Überwachungsregime für die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten vorsieht. Die Einhaltung der Konvergenzkriterien des Euro soll strafbewehrt durchgesetzt werden, um ein die ganze Eurozone und letztlich Union noch enger in den Griff der Marktkonkurrenz nehmendes Wettbewerbsregime durchsetzen zu können. Zudem scheint sich der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) zu einem Pendant des IWF zu entwickeln, indem seine Kreditvergabe an EU-Staaten an tief in deren Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik eingreifende Auflagen und entsprechende Überwachungsvollmachten gebunden wird.

Das Ziel eines dank unverminderter Inflationsbekämpfung stabilen Euro soll, wie am Beispiel Griechenland vorgemacht, auf dem Rücken der erwerbsabhängigen EU-Bevölkerungen erreicht werden. Im Grundsatz gilt allen interventionistischen Maßnahme der Krisenbewältigung das Primat der Befreiung des Kapitals von Kosten aller Art und der Maximierung des Drucks auf die erwerbsabhängige Bevölkerung, jede Arbeit unter welchen Bedingungen auch immer zu verrichten. Nicht das Lebensinteresse der Menschen steht im Vordergrund, sondern die Rentabilität des eingesetzten Kapitals zugunsten einer globalen Vormachtstellung, die durch die Krise des Euro in Frage gestellt wurde. Umfassend konzipiert wurde dieser Entwurf bereits im März 2010, als die EU-Kommission die Strategie Europa 2020 [4] auf den Weg brachte. Die darin festgelegten Ziele einer Wettbewerbs- und Wachstumspolitik werden nun unter dem Handlungsdruck, der aus der Staatsschuldenkrise resultiert, mit verschärftem Tempo vorangetrieben.

Die Erklärung der Zahlungsunfähigkeit und der Austritt aus der Eurozone wäre für die Bevölkerung Griechenlands möglicherweise das kleinere Übel gewesen, wie eine Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) [5] aus dem Jahr 2008 nahelegt. Wie der australische Ökonom William Mitchell anhand dieser Untersuchung darstellt [6], können die volkswirtschaftlichen Konsequenzen einer Einstellung des Schuldendienstes zwar schwerwiegend sein, werden in der Regal aber in absehbarer Zeit überwunden. Vor allem ermögliche die Wiederherstellung souveräner Handlungsfähigkeit den betroffenen Bevölkerungen, in größerem Ausmaß über ihr Geschick zu befinden, als wenn sie dauerhaft einer auf Vollzug des Schuldendienstes gerichteten Verwaltung Dritter unterworfen wären.

Griechenland stehen nun viele Jahre einer Schuldknechtschaft bevor, die die Lebensbedingungen der Menschen dauerhaft einschränkt und demokratische Partizipation wirksam aushebelt. Dies droht allen europäischen Bevölkerungen, die sich mit einer Austeritätspolitik konfrontiert sehen, für die sie sich niemals positiv entschieden haben. Das Zustandekommen der Ergebnisse des Sondergipfels vom 21. Juli bestätigt den antidemokratischen Charakter einer EU, in der Kapitalinteressen den Ton angeben und ihnen verpflichtete PolitikerInnen vollziehen, was zu breiter Verarmung, zu innerer Repression und äußerer Aggression führt. Die undurchsichtige Komplexität des Krisenmanagements auf EU-Ebene ist kein zwingender Grund dafür, der Qualifizierung kapitalistischer Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse tatenlos zuzuschauen. Erforderlich ist die umfassende Aufklärung der Bevölkerung über die ihr aufoktroyierten Zwangsverhältnisse durch eine Kritik, die grundsätzlich wird, um sich nicht durch angebliche Sachzwänge korrumpieren zu lassen.

Fußnoten:

[1] http://www.nachdenkseiten.de/?p=10194#more-10194

[2] http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/08226.pdf

[3] http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/ec/124011.pdf

[4] http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2010:2020:FIN:DE:PDF

[5] http://www.imf.org/external/pubs/ft/wp/2008/wp08238.pdf

[6] http://bilbo.economicoutlook.net/blog/?p=14615

25. Juli 2011