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HEGEMONIE/1767: Geostrategischer Machtkampf - Ringen um das Schlachtfeld Ukraine (SB)




Im Ringen um die Ukraine spitzt sich ein geostrategischer Machtkampf zu, der die fragilen Beziehungen zwischen Europäischer Union und USA auf der einen und Rußland auf der anderen Seite aufs äußerste strapaziert. Das ohnehin tief gespaltene Land verwandelt sich vollends in ein Schlachtfeld rivalisierender Oligarchien im Innern und Interventionen von außen. Angesichts ihrer Größe, Bedeutung und Nähe ist die Ukraine für Moskau ein Dominostein, der im Zuge der Expansion von NATO und EU einfach nicht fallen darf. Scheitert die als Spielart der bunten Revolutionen lavierte Offensive westlichen Hegemonialstrebens, wäre dies ein massiver Bremsklotz im bislang ungezügelten Vormarsch nach Osten.

Die fortschreitende Teilung des Landes vollzieht sich entlang geographischer, ökonomischer und sozialer Bruchlinien. Während die Ausrichtung auf die EU im Westen der Ukraine wesentlich stärker ausgeprägt ist, setzt man im Osten vorzugsweise auf die traditionellen Bindungen zu Rußland. Die Westukrainer sehen sich selbst als Europäer und richten den Blick auf Polen, Österreich und Deutschland. An Rathäusern hängen die Flaggen der EU, Schulkinder lernen Deutsch und Polnisch, die neue postsowjetische Generation spricht nur schlecht oder gar nicht mehr russisch. Hingegen fällt es der sowjetischen Generation in den östlichen Landesteilen oft schwer, die Landessprache Ukrainisch zu sprechen, und die dort produzierten Güter werden zumeist nach Rußland exportiert. [1]

Eine Handvoll reicher Oligarchen kontrolliert alle wesentlichen Sektoren der ukrainischen Gesellschaft. In der Vergangenheit orientierten sich die Kohlebarone im Donezbecken und die energieabhängigen Chemiekonzerne eher an Moskau, während Unternehmer im Westen des Landes mit der EU sympathisierten. Diese räumliche Unterscheidung weicht jedoch zusehends einem erbitterten Machtkampf zwischen den mächtigsten Fraktionen der Oligarchie, für die weniger die Orientierung nach Osten oder Westen, als vielmehr die Steigerung ihrer Profite und der Ausbau ihres politischen Einflusses das Handeln bestimmt.

Der vorwiegend in London lebende Rinat Achmetow ist der reichste Mann des Landes und Herrscher über ein Kohle- und Stahlimperium. Er steht an der Spitze des sogenannten "Donezker Clans", dem auch Präsident Janukowitsch und Ministerpräsident Mykola Asarow angehören. Eine rivalisierende Gruppe, die von dem Multimillionär Dmitro Firtasch gelenkt wird, hat ihre Basis in der chemischen Industrie und im Gashandel. Über die größten Fernseh- und Radiosender des Landes unterstützt sie punktuell die Opposition und übt damit Druck auf Janukowitsch aus.

Vertreter der "Donezker" werfen der "Firtasch-Gruppe" vor, sie bekomme verbilligtes Erdgas aus Rußland, wofür Moskau Gegenleistungen erwarte. Umgekehrt behaupten führende Repräsentanten der Chemieoligarchie, daß Schlüsselfiguren des Donezker Clans Marionetten Moskaus seien. Die beiden Gruppen bekriegen einander seit Monaten, wobei der Verdacht im Raum steht, daß sowohl die Regierungspolitik als auch die Opposition von Oligarchen gesteuert und finanziert wird. Grundsätzlich muß man davon ausgehen, daß die Oligarchie jedweder Couleur in einer Zusammenarbeit mit der EU langfristig günstigere Möglichkeiten sieht, ihren Reichtum zu mehren und auf dem Weltmarkt Fuß zu fassen. [2]

Da die Ukraine auf den internationalen Finanzmärkten Schulden in Höhe von siebzehn Milliarden Dollar hat, steht sie unter schwerem Druck westlicher Regierungen und Banken. Andeutungen der Führung in Kiew, sie werde das Assoziierungsabkommen mit der EU doch unterzeichnen, sofern die Ukraine Hilfsgelder in Höhe von zwanzig Milliarden Euro erhalte, wurden in Brüssel harsch zurückgewiesen. Statt dessen forderte die EU schärfere Sparmaßnahmen wie Haushaltskürzungen, Nullrunden bei den Gehältern und Erhöhungen der Strompreise als Voraussetzung weiterer Verhandlungen.

Das Interesse der Europäischen Union und der NATO, die Ukraine auf ihre Seite zu ziehen, stellt auf die herausragende strategische Lage des Landes ab. Aber auch die riesigen fruchtbaren Landflächen, die Rohstoffe und die 46 Millionen Einwohner sind ein heißbegehrtes Ziel imperialistischer Expansion. So verfolgt die EU mit ihrem Assoziierungsabkommen insbesondere das Ziel, einen unterentwickelten Markt mit einem Riesenheer potentieller Konsumenten und Arbeitskräfte für westliche Investoren zu öffnen. Sie möchte das Land zu einer verlängerten Werkbank für europäische Unternehmen machen, die dort zu niedrigeren Löhnen als in China produzieren könnten.

Auf Druck der EU und des Internationalen Währungsfonds beschloß die Regierung in Kiew 2010 ein Reformprogramm, das die Steuer- und Rentengesetzgebung grundlegend ändern, Privatisierungen fördern und zur Deregulierung staatlichen Handelns führen soll. Im Falle einer Anbindung an die EU droht der Ukraine eine weitere Absenkung des ohnehin niedrigen Lebensstandards. Während die Eliten und wohlhabenderen Schichten von einer Öffnung nach Westen zu profitieren hoffen, stünde der Bevölkerungsmehrheit Not und Elend ins Haus. Um einheimische Waren auf dem europäischen Markt verkaufen zu dürfen, müßten die ukrainischen Unternehmen die technischen Standards der EU erfüllen und dafür immense Investitionen tätigen. Die Regierung hält für die notwendigen technischen Umstellungen in einem Zeitraum von zehn Jahren 100 bis 160 Milliarden Euro für nötig, während die EU lediglich eine Milliarde Hilfsgelder über einen Zeitraum von sieben Jahren in Aussicht gestellt hat. Zwangsläufige Folge wäre ein Verdrängungsprozeß, den die Ukraine mit einem massiven Verlust an Produktionskapazitäten, Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen bezahlen müßte.

Zugleich hat die EU klargestellt, daß eine Assoziierung der Ukraine und eine gleichzeitige Mitgliedschaft in einer Zollunion mit Rußland ausgeschlossen seien. Der Vorwurf an die Adresse Präsident Viktor Janukowitschs, er wolle Rußland und Europa gegeneinander ausspielen, um das meiste Geld herauszuschlagen, verschleiert die massiven Erpressungsversuche der westlichen Mächte und beklagt zugleich die russische Hintertür. Bei einem Treffen Janukowitschs mit Rußlands Staatschef Wladimir Putin einigten sich die beiden Spitzenpolitiker auf niedrigere Preise für russisches Gas sowie die Gewährung eines Kredits über 15 Milliarden US-Dollar. Diese Vereinbarungen verschaffen der nahezu bankrotten Ukraine neuen Bewegungsspielraum und binden sie zugleich enger an Rußland. Schon vor der Zusammenkunft hatte Putin die Ukraine als einen strategischen Partner bezeichnet.

Die inhaftierte ukrainische Oppositionelle Julia Timoschenko warnte erneut vor einem solchen Pakt mit Moskau, ohne allerdings zu erwähnen, daß die überhöhten Gaspreise für die Ukraine in ihrer eigenen Amtszeit vereinbart worden waren. "Mit Russland werden wir alles verlieren, was wir haben", klagte die Vorsitzende der Partei "Vaterland", ohne das "Wir" näher zu spezifizieren. Zugleich rief sie den Westen zu wirksamen Sanktionen gegen Janukowitsch und sein Umfeld auf. [3]

Auch Vitali Klitschko, den die aktuellen Auseinandersetzungen an die Spitze der Opposition gespült haben, setzt auf einen Durchbruch der Regierungsgegner mit Schützenhilfe des Westens. Bei einem Treffen mit dem republikanischen US-Senator John McCain forderte er die USA zu Sanktionen gegen die ukrainische Führung auf. Später traten die beiden gemeinsam vor die Menge auf dem Unabhängigkeitsplatz - ein Erlebnis, das Klitschko offenbar in emotionale Ekstase versetzte. Als die unabsehbare Menschenmenge auf dem Platz "Thank you!" gebrüllt habe, sei er sehr stolz gewesen und habe regelrecht eine Gänsehaut bekommen. Auch mit Außenminister Guido Westerwelle ging er in Kiew demonstrativ aus dem Luxushotel auf die Straße, um für seine Version der deutsch-ukrainischen Freundschaft zu werben. Amtsnachfolger Frank-Walter Steinmeier wäre Klitschko nicht minder willkommen, und der Außenamtschef der Großen Koalition hat prompt Vermittlungsbemühungen zugesagt.

Während Klitschkos "Ukrainische demokratische Allianz für Reformen" (UDAR) und die Partei "Vaterland" enge Beziehungen zu konservativen europäischen Parteien und insbesondere zur deutschen CDU unterhalten, hüllt man sich hierzulande über den dritten Bündnispartner der Opposition, die Allukrainische Vereinigung "Swoboda", lieber in Schweigen. Swoboda vertritt offen rechtsextreme und antisemitische Positionen, verehrt den Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera als Nationalhelden und ist Mitglied der Allianz der Europäischen nationalen Bewegungen, an deren Spitze der französische Front-National-Politiker Bruno Gollnisch steht und der auch die ungarische Jobbik und die British National Party angehören.

Sollte sich Janukowitsch auf einen Deal mit Rußland einlassen, werde man mit Massendemonstrationen das ganze Land lahmlegen, kündigte Vitali Klitschko eine Ausweitung der Protestkampagne an. Ganz abgesehen davon, daß die Bevölkerungsmehrheit außerhalb Kiews einer Westanbindung skeptisch bis ablehnend gegenübersteht, stößt der Versuch, eine Entscheidung unter offensiver westlicher Mithilfe zu erzwingen, in Berlin nicht auf ungeteilte Unterstützung. So will Bundeskanzlerin Angela Merkel offenbar eine Konfrontation zwischen der EU und Rußland über die künftige Ausrichtung der Ukraine vermeiden. Wie sie erklärte, werde ein Bieterwettbewerb das Problem nicht lösen. Erforderlich seien vielmehr weitere Gespräche der EU und auch Deutschlands mit Rußland. Ihres Erachtens gehe es für die Ukraine zu sehr um ein Entweder-Oder.

Diese Zurückhaltung in Hinblick auf rabiate Umsturzgelüste mit ungewissem Ausgang zeugt keineswegs von einem Verzicht auf hegemoniale Einflußnahme. Ganz im Gegenteil behält die Kanzlerin wie so oft die strategischen Interessen deutscher Politik und Wirtschaft fest im Visier, die wiederum sehr viel mehr mit Rußland wie auch einer nachhaltigen Expansion nach Osten zu tun haben als der brachiale Ruf nach einem Machtwechsel in Kiew um jeden Preis.


Fußnoten:

[1] http://www.wsws.org/de/articles/2013/12/17/ukra-d17.html

[2] http://www.wsws.org/de/articles/2013/12/11/asht-d11.html

[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/treffen-in-moskau-russland-gewaehrt-ukraine-milliardenkredit-1.1845456

19. Dezember 2013