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HEGEMONIE/1788: Freihandelszone mit Rußland? - Kein Angebot zur Güte ... (SB)




Auf nicht viel mehr als eine weitere Runde auf dem Karussell gegen die Russische Föderation gerichteter Bezichtigungen scheint der Schachzug der Bundeskanzlerin hinauszulaufen, dem Kreml auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos "Möglichkeiten einer Kooperation in einem gemeinsamen Handelsraum" in Aussicht zu stellen. Wo Angela Merkel eine umfassende Friedenslösung in der Ukraine zur Bedingung erhebt und damit dem Kreml kaum verhohlen den Schwarzen Peter abzutragender Bringschuld zuschiebt, spricht der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann im Deutschlandfunk Klartext:

"Wir sehen im Moment überhaupt keine Bewegung in Russland, im Gegenteil, die Separatisten betreiben Kriegstreiberei, sie sind wieder in die Offensive gegangen, und der Eindruck ist entstanden, dass man Russland nicht vertrauen kann. Sie haben ja vor wenigen Tagen hier in Berlin, die Außenminister, zusammengesessen, und auch der russische Außenminister Lawrow hat unterschrieben, dass man sich um Frieden bemüht. Das scheinen nur leere Worte gewesen zu sein. Die Bedingung für weiteres Entgegenkommen ist Frieden in der Ukraine, sonst bleiben die Sanktionen." [1]

Den schon vor Jahren vom russischen Präsidenten Wladimir Putin vorgeschlagenen gemeinsamen Handelsraum "zwischen Lissabon und Wladiwostok" ausgerechnet zu einem Zeitpunkt wiederaufleben zu lassen, als die EU mit den gegen Rußland gerichteten Wirtschaftssanktionen das Gegenteil handelspolitischer Zusammenarbeit praktiziert, erfolgt in einem Tonfall, der diesen Gegensatz sogleich wieder einebnet. So soll Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in Davos erklärt haben, es gehe darum, Rußland "einen Ausweg" anzubieten, als befinde man sich in der Lage, auf selbigen nicht angewiesen zu sein. Töne wie diese verraten, daß man sich in Berlin auf einer Kommandohöhe wähnt, wo der Blick auf die vielversprechenden Aussichten in der Tiefe des geostrategischen Raums blind macht für die wenig erfreuliche Einsicht in die Erosion gefühlter eigener Stärke.

So weist Wellmann den naheliegenden Verdacht, die Sanktionspolitik der EU erweise sich zusehends als Schnitt ins Fleisch eigener Interessen, kategorisch zurück. Weil es militärisch keine Lösung für den Konflikt gebe, handle es sich bei Merkels Vorschlag um die Perspektive einer politischen Lösung für das, was er als Rußlands "19.-Jahrhundert-Gewaltpolitik" bezeichnet. Nun sind auch EU und NATO strategische Akteure auf dem eurasischen Schachbrett und haben wesentlichen Anteil an der desaströsen Entwicklung, die die Ukraine seit dem Sturz Präsident Janukowitschs vor einem knappen Jahr genommen hat. Indem dieser Regimewechsel ebenso von den NATO-Staaten unterstützt wurde wie die Etablierung einer von neofaschistischen Seilschaften durchsetzten Regierung in Kiew, indem mit leichter Hand über Gewaltexzesse rechter Maidan-Aktivisten wie das Massaker von Odessa hinweggegangen und ungeklärte Ereignisse wie der Absturz der malaysischen Passagiermaschine von vornherein der russischen Führung oder den Aufständischen in der Ostukraine angelastet wurden, hat man keinen Hehl daraus gemacht, daß die Hegemonie Rußlands in der Region durch eine zeitgemäße Reinszenierung besagter Gewaltpolitik erschüttert werden soll.

Wo der CDU-Außenpolitiker den Anschein erweckt, die Bundesregierung verfüge mit dem Mittel der Sanktionspolitik über ein scharfes Schwert, das nicht auch ins eigene Fleisch schneidet, ignoriert er nicht nur die dem widersprechende Klage des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, laut dem die Exporte nach Rußland im letzten Jahr um ein knappes Fünftel zurückgegangen sind. Das monetaristische Krisenmanagement der Europäischen Zentralbank (EZB) [2] verrät zudem, wie sehr die Exportwirtschaft der Bundesrepublik dadurch gefährdet ist, daß die Abnehmer ihrer Güter und Dienstleistungen in der EU wegbrechen.

Ein solcher Verlust könnte dem von der Krise profitierenden Wirtschaftskonzept der BRD einen jähen Absturz bescheren, was die Handelspartner außerhalb der EU um so wichtiger machte. Dies beträfe vor allem den transatlantischen Handel mit den USA, dessen Volumen mehr als doppelt so groß ist wie der Handel mit Rußland. Wenn nun analog zum Transatlantischen Freihandelsabkommen ein entsprechender Pakt mit der Eurasischen Union angestrebt würde, stellten sich, wie die vom TTIP ausgehenden Gefahren für die Arbeitsplätze und Rechte der Lohnabhängigen, für den Schutz der Natur, die Qualität der gehandelten Waren und den demokratischen Anspruch auf Selbstbestimmung belegen, allerdings noch ganz andere Fragen als die derjenigen Personen, die Wirtschaftswachstum zu jedem Preis für erstrebenswert halten.

Derweil verheißt das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, dessen Durchsetzung gegen russische Interessen wesentlicher Anlaß für die Eskalation des Konflikts war, auf absehbare Zeit keinerlei Gewinnaussichten, die die Notwendigkeit, den am Boden liegenden Staatshaushalt der Ukraine zu refinanzieren, auch nur annähernd aufwögen. Wenn die EU ihren Einfluß auf das Land konsolidieren will, dann muß sie erhebliche Vorleistungen erbringen, die die ohnehin angespannte Lage der meisten Staatsbudgets gar nicht zulassen. Indem sie die aggressive Kriegführung Präsident Poroschenkos mitfinanziert, ist sie nicht minder in diesen Sezessionskrieg involviert, wie es deutsche Politiker und Journalisten dem russischen Präsidenten Putin anlasten. Daß dieser überhaupt die Möglichkeit besäße, den ostukrainischen Volksrepubliken den eigenen Willen aufzuoktroyieren, bleibt allen Versuchen zum Trotz, dieses Argument zum zentralen Druckmittel gegen den Kreml aufzubauen, eine nicht belastbare Behauptung.

Diese gegen die russische Regierung ins Feld zu führen wird in Moskau nicht den Eindruck erwecken, die EU wolle über einen gemeinsamen Wirtschaftsraum auf Augenhöhe verhandeln. Daß sich der Kreml so zu Zugeständnissen nötigen ließe, erscheint möglicherweise einem Wellmann plausibel, der die Vernunft imperialistischer Offensiven gepachtet zu haben meint, wenn er den Kontrahenten in Moskau unterstellt, in ehemaligen Sowjetrepubliken wie Georgien eine "irrationale Politik" zu betreiben. Gleiches könnte man jedoch der Bundesregierung anlasten, wenn man nur an den vergeblichen Versuch denkt, mit Vitali Klitschko einen Kandidaten ins Rennen um die Macht in der Ukraine zu schicken, der so sehr für die Interessen Berlins steht, daß das selbst in seinem Heimatland unangenehm auffiel. Indem die Bundesregierung auf die Herrschaft der Oligarchen setzt, gegen die sich die Proteste auf dem Maidan ursprünglich richteten und die nun mit Unterstützung der von ihnen finanzierten neofaschistischen Milizen fester denn je im Sattel sitzen, hat sie sich auch im innerukrainischen Klassenkonflikt auf der Seite der Herrschenden positioniert. Auf eine Bevölkerung, die ihren sozialen Niedergang wortwörtlich am eigenen Leib erleidet und dies bei aller antirussischen Propaganda auch den eigenen Oligarchen anlastet, kann das deutsche Hegemonialstreben kaum sympathischer wirken als die angebliche Erpressungspolitik des Kreml.

Vom hohen Roß herunterzukommen und damit einen Dialog zu beginnen, der allen Beteiligten nützte, böte die größten Chancen dafür, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Die Auseinandersetzung zwischen der Ost- und Westukraine ist längst internationalisiert, so daß alle äußeren Akteure auch Verantwortung für die Befriedung der Situation tragen. Ein Entgegenkommen des Kreml ist nicht zu erwarten, wenn die russische Führung weiterhin einseitig von der Warte höherer Gerechtigkeit aus bezichtigt wird, in der Ukraine ein unlauteres Spiel zu spielen. Der Versuch der Bundesregierung, den Kreml mit Zuckerbrot und Peitsche vor sich herzutreiben, bleibt Ausdruck einer Interessenpolitik, die bereit ist, zum Erlangen ihrer Ziele auch größere Verluste in Kauf zu nehmen. Wo deren Hauptlast liegen wird, ist keineswegs so eindeutig ausgemacht, wie es der CDU-Außenpolitiker mit seinen Behauptungen zur angeblichen Schwäche der Position Rußlands glauben macht.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/frieden-in-der-ukraine-nur-leere-worte-von-lawrow.694.de.html?dram:article_id=309602

[2] HERRSCHAFT/1705: "Quantitative Lockerung" statt qualitativer Verbesserung (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1705.html

24. Januar 2015


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