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HEGEMONIE/1809: Merkel, Machthaber, Migration - Kanzlerin in Ägypten (SB)



Bundeskanzlerin Angela Merkel reist nach Ägypten und Tunesien, um diese beiden Länder in das unter deutscher Regie konzipierte und exekutierte Regime europäischer Flüchtlingsabwehr einzubinden. Die Regierungen beider Länder sollen an der Abschottung mitwirken, indem sie Flüchtlinge daran hindern, die Überquerung des Mittelmeers anzutreten. Sie sollen ihre Landsleute zurücknehmen, deren Asylanträge in Deutschland abgelehnt worden sind. Und sie sollen nicht zuletzt dafür gewonnen werden, Lager für Menschen aus anderen Herkunftsländern zu errichten, bevor diese nach Europa weiterziehen können oder die von dort abgeschoben werden. Dieses Vorhaben ist eine Komponente des umfassenden Konzepts, den Kampf gegen Flüchtlinge auszulagern, um zu verhindern, daß sie ihren Fuß auf europäischen Boden setzen. Zugleich werden durch Übereinkünfte mit den jeweiligen Regierungen Wege der zwangsweisen Rückführung gebahnt. Dem geplanten Sperrgürtel an der nordafrikanischen Küste vorgelagert sind Abkommen, welche südlicher gelegene Staaten wie Mali verpflichten, die Migration durchs Land für illegal zu erklären und durch Kontrollposten an den wichtigsten Routen der Wanderbewegung zu unterbinden.

Vom Prinzip her durchaus vergleichbar mit dem Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei sind das wesentliche Lock- und Druckmittel Gelder oder andere Vergünstigungen, deren Vergabe an die Kooperation in der Abschottungspolitik gekoppelt ist. Wer auch auf diesem Gebiet kraft seiner hegemonialen Ambitionen den Ton angeben will wie die Bundesregierung darf sich nicht mit lästigen Skrupeln abgeben oder von kritischen Einwänden in die Suppe spucken lassen. Gleicht die Flüchtlingspolitik als solche schon einer Administration von Leben und Sterben, so zeugen Partner wie das Erdogan-Regime in der Türkei oder Sammelabschiebungen in das Kriegsgebiet Afghanistan davon, daß die letzten Schranken humanitärer Prinzipien längst gefallen sind.

Das Militärregime unter General Abdel Fattah al-Sisi in Ägypten hat im Sommer 2013 die demokratisch gewählte Regierung der Muslimbrüder gestürzt und verfolgt nicht nur die gemäßigten Islamisten dieser Partei erbarmungslos, sondern überzieht auch die demokratische Opposition im Land mit massiver Repression. Al-Sisi setzt seine autokratische Herrschaft vorzugsweise mit Präsidialdekreten durch, die Presse wird unterdrückt. Selbst die politischen Stiftungen der deutschen Parteien können nicht mehr in Ägypten arbeiten. So wurden zwei Mitarbeiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung zu Haftstrafen verurteilt und haben das Land verlassen.

Das alles hindert die Bundesregierung nicht daran, mit dem ägyptischen Militärmachthaber ins Geschäft zu kommen. Nach anfänglicher Zurückhaltung schwenkte sie 2015 auf Kooperation um, als Siemens einen Milliardenauftrag zum Bau eines Gas-Dampf-Kraftwerks im oberägyptischen Beni Suef erhielt. Die Eröffnung des ersten, kürzlich in Betrieb genommenen Teils dieses Kraftwerks wird heute gefeiert, Merkel und al-Sisi sollen per Videokonferenz aus Kairo zugeschaltet werden. Ebenfalls 2015 genehmigte der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ungeachtet aller Kritik an der bedenklichen Menschenrechtslage in Ägypten den Bau von vier U-Booten für die ägyptische Marine durch die Kieler Thyssenkrupp-Werft. Das erste U-Boot wurde im Dezember 2016 übergeben. Der Wert deutscher Rüstungsexporte an den Nil belief sich im vergangenen Jahr auf rund 400 Millionen Euro.

Der offizielle Schulterschluß erfolgte im Juli 2016 durch das gemeinsame Sicherheitsabkommen, das Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei einem Kairo-Besuch im März vorbereitet hatte. Bei dieser Gelegenheit hielt de Maizière auch eine Rede an der Al-Azhar-Universität zum Thema "Religiöse Toleranz". Mitte Februar 2017 ratifizierte das ägyptische Parlament das bilaterale Sicherheitsabkommen mit überwältigender Zustimmung. Schnittstelle der beiderseitigen Interessen ist der sogenannte Antiterrorkampf, worunter al-Sisi bekanntermaßen sämtliche Muslimbrüder wie auch jegliche Kritiker und Oppositionellen faßt. Wenngleich im ägyptischen Kernland und auf dem Sinai seit einigen Jahren durchaus Anschläge verübt werden, tragen diese doch die Handschrift lokaler Anhänger von Al-Kaida und ihres Ablegers "Islamischer Staat".

Dabei ist sich al-Sisi durchaus bewußt, daß er gut daran tut, den westlichen Führungsmächten eine ideologische Brücke zu bauen. So inszeniert sich der fromme Muslim als Botschafter der Toleranz und kleidet sich in das Gewand eines Reformators. Für sein Projekt einer "Erneuerung des religiösen Diskurses" konnte er die konservativen Rechtsgelehrten der Kairoer Al-Azhar-Universität gewinnen, die neuerdings religiösen Extremismus verurteilen und für einen gemäßigten Islam plädieren. Diese Signale dürften maßgeblich dazu beigetragen haben, Ägypten einen zehn Milliarden Euro schweren Kredit des Internationalen Währungsfonds zu sichern, den die Regierung angesichts der schweren Wirtschaftskrise dringend benötigt. Die deutsch-ägyptische Kooperation soll zudem in der Landwirtschaft ausgebaut werden, worüber im Januar in Berlin der inzwischen ausgeschiedene ägyptische Agrarminister Essam Fayed mit seinen deutschen Partnern sprach. [1]

Im Vorfeld ihres Besuch bezeichnete die Bundeskanzlerin Ägypten als "Regionalmacht" und ein "stabilisierendes Element in der Region". Die christliche Minderheit der Kopten könne sich über "eine sehr gute Situation für die Ausübung ihrer Religion" freuen, was "gerade in einem muslimisch geprägten Land" beispielhaft sei. Da sich die Kopten sehr wohl mit Feindseligkeit, Diskriminierung und gewalttätigen Übergriffen konfrontiert sehen und mangelnden Schutz seitens des Staates beklagen, war diese Aussage Merkels ein weiteres bestürzendes Signal für die Menschenrechtsbewegung im Land. Lobende Worte fand die Bundesregierung auch für jüngste ägyptische Aktionen gegen den Menschenschmuggel über das Mittelmeer. Nach dem Sinken eines Schlepperboots vor der ägyptischen Küste im vergangenen Dezember, bei dem mindestens 178 Flüchtlinge starben, hat die ägyptische Küstenwache ihre Patrouillen verstärkt und fängt viel mehr Boote ab als zuvor.

Zudem sollen Ägypten und Tunesien nach den Plänen der Bundesregierung zur Stabilisierung des in ihrer Mitte gelegenen Nachbarlands Libyen beitragen. Die jüngsten Bemühungen einer regionalen Zusammenarbeit würden von der EU und Deutschland gutgeheißen. Auch wenn Ägypten als Unterstützer des Generals Chalifa Haftar gelte, der als Kontrahent der libyschen Einheitsregierung auftritt, so sei es doch richtig, wenn Tunesien und Ägypten sich bemühten, die gegnerischen Parteien in Libyen zur Kooperation zu bewegen. [2] Kreuzt man diese Aussage mit Merkels Würdigung der "Regionalmacht" Ägypten, mutet dies fast schon wie ein Freibrief für Kairo an, im innerlibyschen Machtkampf nach eigenem Ermessen mitzumischen.

Nach Angaben der Bundesregierung haben in den Jahren 2015/16 rund 2700 Ägypter in Deutschland Asylanträge gestellt, 1300 Personen seien derzeit nach der Ablehnung ihrer Anträge zur Ausreise verpflichtet. Nur 72 von ihnen hätten jedoch im vergangenen Jahr tatsächlich zurückgeführt werden können. Man stehe bereit, Ägypten beim Grenzschutz zu helfen, und sei entschlossen, das Land bei der Versorgung von Flüchtlingen zu unterstützen. Zudem würde man gerne auch Fortschritte beim Thema Rückführung erzielen, ließ die Bundesregierung verlauten. Die ägyptische Führung hat bislang deutlich gemacht, daß sie keinesfalls zu einer Rücknahme abgelehnter Asylbewerber aus anderen Staaten bereit sei. Hinter den Kulissen haben zuletzt zahlreiche Konsultationen zu diesem Thema stattgefunden, so daß in einem ersten Schritt die Bereitschaft Kairos erwirkt werden dürfte, eigene Staatsbürger zurückzunehmen, deren Asylanträge in Deutschland abgelehnt worden sind.

Ägypten spielt eine zentrale Rolle in der europäischen Flüchtlingspolitik, da es sich nach Libyen zum zweitwichtigsten Ausgangsland für Migrantinnen und Migranten entwickelt hat, die über das Mittelmeer in die EU gelangen wollen. Jeder zehnte Flüchtling tritt nach Angaben der Bundesregierung seine Seereise an der ägyptischen Küste an, die meisten Menschen kommen aus Eritrea, dem Sudan, Nigeria und anderen Subsahara-Ländern. Doch auch die Zahl der Ägypter, die sich auf die gefährliche, sieben bis zehn Tage dauernde Überfahrt wagen, steigt massiv an. Das gilt um so mehr, als sich die wirtschaftliche Lage der 92 Millionen Einwohner Ägyptens dramatisch verschlechtert.

Angela Merkel hat das Abkommen mit der Türkei als "Vorbild" für solche Verträge mit Ägypten und anderen nordafrikanischen Ländern bezeichnet. Martin Schulz hatte sich als Europaparlamentspräsident ebenfalls dafür ausgesprochen, mit Ägypten ein Flüchtlingsabkommen ähnlich dem mit der Türkei zu erreichen. Eine solche Zusammenarbeit sei möglich, ohne eigene Prinzipien aufzugeben, so Schulz. Was mag er damit gemeint haben, wo doch die verheerende Entwicklung in der Türkei ohne nennenswertes Gegensteuern der Bundesregierung ihren Lauf nimmt? Wie er mit Blick auf Ägypten sagte, müsse eine solche Kooperation "umfassend sein". Es gehe nicht, finanzielle Hilfe wie einen Kredit des Internationalen Währungsfonds in Anspruch zu nehmen, sich aber einer Zusammenarbeit in der Migrationsfrage zu verweigern. [3]

Wer wie Abdel Fattah al-Sisi die Hand aufhält, um zum Zweck seines Machterhalts den wirtschaftlichen und sozialen Absturz des Landes zu bremsen, ehe ihn die Hungerrevolte wegfegt, sollte internationale Gelder nur unter spezifischen Auflagen erhalten, so das Credo der Berliner Regierungspolitik. Und zu den vordringlichsten Maßgaben zählt aus dieser Perspektive künftig auch eine weitreichende Kollaboration beim deutsch-europäischen Flüchtlingsregime.


Fußnoten:

[1] http://www.dw.com/de/merkel-in-ägypten-vereint-im-antiterrorkampf/a-37773746

[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kanzlerin-merkel-reist-nach-aegypten-und-tunesien-14904393.html

[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/nach-bootsunglueck-mit-vielen-toten-eu-befuerchtet-massenflucht-aus-aegypten-1.3174453

2. März 2017


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