Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HERRSCHAFT/1434: Selbsorganisierter Anbau in USA durch neue Gesetze bedroht (SB)



Als First Lady Michelle Obama letzte Woche damit begann, auf dem Gelände des Weißen Hauses einen kleinen Gemüsegarten anzulegen, war man sich in der Presse des hochsymbolischen Charakters ihres Einsatzes für bioorganisch angebaute Feldfrüchte bewußt. Eleanor Roosevelt war die letzte Präsidentengattin, die überhaupt auf ernstzunehmende Weise im Garten des Amtsitzes ihres Mannes gearbeitet hatte, und die engagierte Anwältin aus Chicago wird nicht selten mit dieser ihrer Vorgängerinnen, die sich weit mehr als die meisten anderen First Ladies in die Politik einmischte, verglichen. So war auch der gärtnerische Einsatz Michelle Obamas nicht nur eine Freizeitbeschäftigung, sie will mit dem Eigenanbau gesunder Nahrungsmittel auch die als uramerikanisch geltende Tugend demonstrieren, selbst Hand anzulegen und nicht darauf zu warten, daß der Staat sich um Belange der Versorgung und Gesundheit kümmert.

Angesichts von über 30 Millionen US-Bürgern, die auf die Nahrungsmittelhilfen karitativer Organisationen oder des Landwirtschaftsministeriums angewiesen sind, läßt sich Michelle Obamas Auftritt als Gärtnerin auch als Appell an die US-Bürger verstehen, in Zeiten der Not initiativ zu werden. Damit rennt die Präsidentengattin allerdings offene Türen ein, gibt es in Stadt und Land doch längst zahlreiche Initiativen und Modelle landwirtschaftlicher Selbstversorgung, von deren Funktionieren das Überleben der daran beteiligten Menschen abhängt. Der Anbau von Feldfrüchten auf Industriebrachen oder anderweitig verlassenen urbanen Flächen, auf den Dächern von Flachbauten, in Vorgärten und in Töpfen auf dem Balkon wird im Rahmen einer einfachen Form von ökonomischer Selbstorganisation umfangreich betrieben und ist von so vielfältiger Gestalt, wie es sich für all das gehört, was der Mensch in eigener Regie und Verantwortung unternimmt.

Eine solche Entwicklung kann den Giganten der Agroindustrie, die ihr Oligopol mit Hilfe lizenzpflichtigen Saatguts, hochspezifischer Pestizide und gentechnisch optimierter Sorten ausbauen, nicht gleichgültig sein. Die selbstorganisierte Produktion von Nahrungsmitteln tangiert auch die Interessen aller Wirtschaftsunternehmen, die mit der Verarbeitung und dem Vertrieb von Lebensmitteln befaßt sind. Schließlich gibt es bürokratische und administrative Prozeduren, die unter dem Titel der Ernährungssicherheit nicht etwa Sorge dafür tragen, daß die Menschen satt werden, sondern daß die Lebensmittel produktionstechnische und hygienische Ansprüche erfüllen, die Erkrankungen verhindern.

Derartige Regulationen, mit denen man in der EU bereits sehr viel weiter als in den USA ist, mögen Infektionskrankheiten und Nahrungsmittelvergiftungen einschränken, gleichzeitig jedoch sorgen sie dafür, daß Kleinproduzenten, die die teuren technischen Voraussetzungen für entsprechende Formen des Anbaus und der Weiterverarbeitung nicht aufbringen, ihre Arbeit einstellen müssen. Zumindest teilweise scheint auch ein Gesetzesentwurf des Washingtoner Abgeordnetenhauses, über den die Online-Publikation WorldNetDaily.com (16.03.2009) berichtet, diesen Zweck zu verfolgen. Das unter dem Titel des Food Safety Modernization Act von der demokratischen Abgeordneten Rosa DeLauro, deren Ehemann Stanley Greenburg beim Agrokonzern Monsanto angestellt ist, eingebrachte Gesetzesvorhaben wird von 39 Abgeordneten unterstützt und sieht die Einrichtung einer Behörde für Ernährungssicherheit unter dem Dach des Gesundheitsministeriums vor.

Die Kontrollen, mit denen Nahrungsmittelproduzenten durch Inspektoren der Gesundheitsämter auf die Einhaltung hygienischer Standards hin überprüft werden, sollen zu einem umfassenden Regelwerk ausgebaut werden, das auch angeblich erforderliche Minimalvorausetzungen des Einsatzes von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln durchsetzen soll. Das könnte nicht nur Kleinproduzenten, die Wert darauf legen, ihre Feldfrüchte ohne den Einsatz industriell erzeugter Zusatzstoffe anzubauen, in Schwierigkeiten bringen, sondern auch Kleingärtner, die Gemüse in ihrem Garten anbauen, mit Rechenschaftspflichten überziehen, die sie schlicht überfordern.

Während einige Kritiker der Gesetzesinitiative monieren, daß es darum ginge, den Anbau von Nahrungsmitteln industriellen Normen zu unterwerfen, die hochproduktive Landwirtschaftsbetriebe und die Konzerne der Agroindustrie bevorteilen, gehen andere weiter und unterstellen dem geplanten Überwachungssystem, die generelle Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln mit staatlichen Mitteln zu beschränken. Dies würde durch die umfassenden Dokumentationspflichten, die auf jeden Anbauer und Hersteller von Nahrungsmitteln zukommen, wenn das Gesetz verabschiedet wird, ermöglicht. Da Verstöße gegen die Auflagen mit Maximalstrafen bis zu zehn Jahren Gefängnis und einer Million Dollar Geldbuße geahndet werden sollen, werden diese nicht als Ordnungswidrigkeiten, sondern schwerwiegende Straftaten behandelt.

Eine weitere Gesetzesinitiative namens Food Safety and Tracking Improvement Act, die von den großen Agrokonzernen Monsanto, Archer Daniels Midland und Tyson unterstützt wird, soll ermöglichen, jedes einzelne Lebensmittelerzeugnis durch alle Fertigungsstufen bis zum Hersteller zurückzuverfolgen. Der dazu erforderliche verwaltungstechnische Aufwand wäre derart groß, daß kleine und mittlere Betriebe auch dadurch in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht wären. Das erforderliche Überwachungssystem soll unter dem Dach der Food and Drug Administration angesiedelt werden, die unter anderem damit befaßt ist, die zahlreichen Zusatzstoffe zu genehmigen, mit denen industriell produzierte Nahrungsmittel auf bestimmte Konsistenzen, Farben, Geschmäcker und Haltbarkeiten hin präpariert werden.

Über das kommerzielle Interesse großer Konzerne, substitutive Formen des Lebensunterhalts einzuschränken, und die Absicht des Staates, sich daraus ergebende Formen des informellen Handels schon aus steuertechnischen Gründen zu unterbinden, hinaus ist nicht zu vergessen, daß ein wesentliches Mittel zur Ausübung von Herrschaft in der Verfügungsgewalt über unverzichtbare Güter und Leistungen besteht. Eine im familiären, lebensgemeinschaftlichen oder kommunalen Zusammenhang selbstorganisierte Landwirtschaft kann sich durchaus zu einem Massenphänomen auswachsen, das die Möglichkeiten von Staat und Kapital, die eigene Machtstellung zu sichern, ernsthaft bedroht.

So lange Mangel und Not administrativ reguliert werden, so lange fungiert die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse der Bevölkerung als Katalysator ihrer erwünschten Vergesellschaftung. In der Krise des Kapitalismus wird der Widerspruch zwischen versorgungsabhängiger Bevölkerung und Kapitalmacht dahingehend weiterentwickelt, daß die schwindende Verfügbarkeit von Geld durch Regulative der Verteilung kompensiert wird, die stets mit einer Qualifikation der Verfügungsgewalt über die Leistungsempfänger verbunden ist. Eine dem quer- oder gegenlaufende Entwicklung entwertet nicht nur die Verwaltungskompetenzen des Staats, sondern delegitimiert auch seine exekutiven Zugriffsrechte. Sich von diesem administrativen Zugriff freizumachen, indem man autarke Produktionsweisen entwickelt, ist zum herrschenden System grundsätzlich - und vielleicht auf eine wirksamere Weise als gelegentlicher Protest - antagonistisch.

Wie die Dämonisierung sogenannter Parallelgesellschaften unter Migranten zeigt, ist der Staat bei aller Freiheitsrhetorik keineswegs gewillt, die Menschen nach ihrem Gusto leben zu lassen. Wenn in dieser Konfrontation zwischen bürgerlicher Freiheit und staatlicher Verfügungsgewalt auch noch die Relevanz der kapitalistischen Produktionsverhältnisse in Frage gestellt und mit einer gangbaren Alternative beantwortet wird, dann ist die Schwelle erreicht, an der die Systemkompatibilität alternativer Nischen, in die sozialpolitische Probleme unauffällig entsorgt werden können, in den Systemantagonismus widerständiger Selbstorganisation umschlägt.

27. März 2009