Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HERRSCHAFT/1477: Kriegsgegner erhalten keine britische Staatsbürgerschaft (SB)



Das von der britischen Regierung vorgestellte Bewertungssystem für nicht aus der EU stammende Ausländer, die sich einbürgern lassen wollen, löst die bislang gültige Praxis ab, daß jeder, der fünf Jahre lang ununterbrochen in Britannien lebt, ohne dabei eine Straftat zu begehen, die Staatsbürgerschaft fast automatisch zuerkannt bekam, wenn er sie denn wollte. Laut dem britischen Einwanderungsminister Phil Woolas erwarte man nun, daß sich die Antragsteller die Staatsbürgerschaft im Rahmen einer zehnjährigen Bewährungszeit "verdienen" (The Guardian, 02.08.09), indem sie sich bei ehrenamtlicher Bürgerarbeit engagieren, sich als Steuerzahler hervortun oder über für die Volkswirtschaft produktiv verwertbare Fähigkeiten verfügen.

Während der Einwanderer mit Taten und Eigenschaften, die seinem Ziel zuarbeitenden, Punkte sammeln kann, werden ihm selbige abgezogen, wenn er Dinge tut, die seinem Anliegen angeblich zuwiderlaufen. Dazu zählen Formen des Verhaltens, mit denen nicht gegen geltende Gesetze verstoßen wird, sondern die allein aus politischen Gründen als mit der britischen Staatsbürgerschaft unvereinbar gelten. Während ein Punkteabzug durch sogenanntes antisoziales Verhalten der Sanktionierung britischer Bürger durch Verhaltensauflagen entspricht, gegen die zu verstoßen Verurteilungen mit einem Strafmaß von bis zu fünf Jahr Haft zur Folge haben kann, obwohl der zugrundeliegende Anlaß zu dieser Disziplinarmaßnahme nicht strafrechtlich verfolgbar ist, verweist die Androhung von Punkteverlust durch die Beteiligung an Antikriegsdemonstrationen auf den politischen Charakter der neuen Einwanderungspolitik der Labour-Regierung.

Mit einer anhand derartiger Werturteile vollzogenen Einwanderungspraxis gibt die britische Regierung zu erkennen, was sie von Bürgern hält, die sich öffentlich gegen ihre Kriegspolitik aussprechen. Nach dieser Maßgabe sind es potentielle Staatsfeinde, die man, wenn man könnte wie man wollte, schlicht des Landes verwiese. Indem ein politisches Regierungsinteresse als exekutive Maßnahme gegen Menschen gerichtet wird, die sich nicht dagegen wehren können, erweist sich die Staatsmacht auch gegenüber den eigenen Bürgern als Feindin der Demokratie. Sie werden schon dadurch, daß sie erfahren, was Einwanderern angedroht wird, auf Konformität und Unterwerfung konditioniert. Eine nationalchauvinistische Einwanderungspolitik, die Menschen nicht um ihrer selbst wertschätzt, sondern nach Maßgabe ihrer Verwertbarkeit und Anpassungsbereitschaft selektiert, entspringt einer Strategie des Teilens und Herrschens, die sich gegen alle richtet, die im darin reflektierten Klassenantagonismus auf der falschen Seite stehen.

Die sich in der neuen britischen Einwanderungspolitik ausdrückende Affirmation der Kriegsbereitschaft wächst sich zudem durch die allen NATO-Staaten gemeine Doktrin, daß zwischen innerer und äußerer Sicherheit nicht mehr zu unterscheiden sei, zu einer realen Bedrohung aller Menschen aus, die die Ansichten der Herrschenden nicht teilen. Mit der dadurch proklamierten Allgegenwart des Krieges werden Kriegsgegner zu Feinden, die es auszusondern gilt. Da im Rahmen der Antiterrorgesetzgebung schon häufiger über Möglichkeiten nachgedacht wurde, wie man angeblich illoyalen Bürgern die Staatsbürgerschaft entziehen kann, ist das letzte Wort über die Selektion ganz normaler Bürger nach Maßstab ihres politischen Wohlverhaltens noch nicht gefallen.

8. August 2009