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HERRSCHAFT/1480: Die Linke ... mit dem Erfolg wächst der Konformitätsdruck (SB)



Mit den Wahlerfolgen der Linken bei den Landtagswahlen in Thüringen und im Saarland dürfte das Eis für das angebliche fünfte Rad am Wagen des bundesrepublikanischen Parlamentarismus gebrochen sein. Wie Wähleranalysen im Saarland gezeigt haben, stellen Erwerbslose, Arbeiter und Rentner den größten Teil der Menschen, die sich für die dort erstmalig unter dem Namen Die Linke angetretene Partei entschieden haben. Ein nicht geringer Teil soll dort wie in Thüringen von der CDU zur Linken gewechselt haben, was zeigt, daß die ideologischen Scheuklappen des notorischen Antikommunismus den Blick auf die politischen Inhalte nicht mehr zuverlässig versperren. Gleichzeitig drückt die abnehmende Verankerung in ideologischen Grundsätzen aus, daß die Linke im parlamentarischen Alltagsgeschäft angekommen und damit auch für Menschen wählbar ist, die früher politische Gesinnung vor administrative Sachfragen gestellt haben.

Das ändert allerdings nichts daran, daß die Positionen der Linken insbesondere im Bereich der Außen-, Wirtschafts- und Sozialpolitik für die etablierten Parteien und ihre Herolde in den Medien nach wie vor inakzeptabel sind. Trotz der offenkundigen Diskreditierung des Kapitalismus wird das neoliberale Wahlprogramm des SPD-Kanzlerkandidaten Frank Walter Steinmeier von den großen Medien keineswegs in Bausch und Bogen verworfen, sondern ganz im Sinne seiner Autoren von der Unternehmensberatung McKinsey als seriöser Beitrag zur Krisenbewältigung diskutiert. Macht Oskar Lafontaine konkrete Vorschläge für ein durchaus systemkonformes, aber für den Klassenkampf von oben unverträgliches Umverteilungsprogramm, das in erster Linie die wohlhabenden Bürger finanzieren sollen, dann wird über dessen angeblich unseriöse Finanzierung schwadroniert, als sei der Parteichef der Linken der Leibhaftige in Person.

Die mit der Forderung der SPD in Thüringen, trotz geringerer Stimmenzahl den Ministerpräsidenten in einer Koalition mit der Linken zu stellen, und dem Wahlversprechen der Bundespartei, keinesfalls mit der Linken zu koalieren, verfolgte Ausgrenzungsstrategie der Sozialdemokraten ist für die Linke durchaus von Vorteil. Wenn sie es, wie von Parteichef Gregor Gysi erklärt, durchhält, nicht zu den Bedingungen der SPD zu koalieren, dann wird dies noch mehr Wähler dazu veranlassen, mit der Linken eine Partei zu wählen, die klassische sozialdemokratische Positionen vertritt. Was der Linken von den etablierten Parteien zum Vorwurf gemacht wird - keine Verantwortung zu übernehmen, da sie nicht unter allen Bedingungen regieren will -, ist ihr wichtigstes Kapital. Die ihr durchaus geneidete, durch die Berliner Landesregierung und Angebote zur Güte des rechten Flügels noch nicht umfassend korrumpierte Glaubwürdigkeit der Linken könnte viele unentschlossene Wähler und traditionelle Nichtwähler am 27. September veranlassen, dieser Partei eine Chance zu geben.

Das weit über den rund 16 Prozent der Demoskopen liegende Wahlergebnis für das Saarland von 21,3 Prozent belegt, daß sich Wähler wider die Behauptung mobilisieren lassen, die Linke hätte trotz der Krise des Kapitalismus abgewirtschaftet, weil sie keine Alternative zur Krisenbewältigung anbieten könne. Auch wenn das Saarland aufgrund der Popularität Lafontaines ein Sonderfall ist, vermitteln dessen streitbare Auftritte in der Öffentlichkeit ein genügend großes Widerspruchspotential, als daß der Erfolg der Partei in dem Bundesland, dem er als Bürgermeister Saarbrückens und Ministerpräsident gedient hat, nicht nur das Ergebnis der Orientierung an seiner Person ist. Mit der abnehmenden Bedeutung von Stammwählerschaften und dem sozialen Strukturwandel hin zu einer Gesellschaft, in der sich immer weniger Menschen über ihre berufliche Karriere definieren können, weil sie schlicht keine Möglichkeit mehr zu einer solchen haben, geht auch eine höhere Volatilität in den Wahlergebnissen einher.

In wesentlichen Fragen wie der der deutschen Kriegführung in Afghanistan, der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO und der Zustimmung zum Vertrag von Lissabon vertritt die Linke konträre Positionen zu den vier anderen Bundestagsfraktionen, so daß sie für Bürger, die sich von diesen nicht vertreten fühlen, eine echte Alternative darstellt. Gleichzeitig existieren auf dem Feld der internationalen Politik wie der gesellschaftlichen Verfaßtheit innerhalb der Linken krasse Gegensätze zwischen Reformern, die sich für vorherrschende Politikkonzepte anschlußfähig machen, und Radikalen, die an Positionen antikapitalistischer und antimperialistischer Art festhalten. Wenn der so in der Partei reflektierte gesellschaftliche Konflikt befriedet werden sollte, indem man im Zuge möglicher Regierungsbildungen die Ausgrenzung der radikalen Strömungen betreibt, dann wird die Linke bloße Episode eines Parlamentarismus bleiben, der darauf zugeschnitten ist, auf der Grundlage kapitalistischer Vergesellschaftung die Verfügbarkeit der Bevölkerung für die Ziele der Herrschenden zu erwirtschaften.

Einer solchen Entwicklung, die mit dem zunehmenden Erfolg der Linken bei Wahlen sehr wahrscheinlich ist, kann nur entgegengetreten werden, indem die soziale Widerspruchslage ohne Abstriche von unten nach oben durch den Parteiapparat wirksam wird. Hier gilt es, sich der herrschenden Doktrin der repräsentativen Demokratie entgegenzustellen, laut der die Aufgabe der Parteien in der Veredelung des Wählerwillens, sprich in seiner Entschärfung oder gar Negation besteht. Verliert die Linke die Glaubwürdigkeit einer Anwältin der Schwachen und ersetzt sie emanzipatorische Ideale durch opportunistische Beteiligungsinteressen, dann wird sie den Niedergang anderer Parteien, die aus dem Druck sozialer Antagonismen entstanden sind, nur um diesen bei Erhalt seiner materiellen Grundlage zu befrieden, nachvollziehen und das Mandat derjenigen verlieren, die sie stark machen könnten.

Um dagegen gefeit zu sein, gilt es, an bewährten linken Positionen auch und gerade dann festzuhalten, wenn sie gegen die politische Vernunft, die zur Zeit etwa am Ausbau der EU zur imperialistischen Großmacht bemessen wird, verstoßen. Hier wäre seitens der Linken ein stärkeres Zugehen auf soziale Bewegungen wünschenswert, um diesen eine Plattform in den Institutionen der demokratischen Repräsentation zu verschaffen, die sich bisher erfolgreich gegen mehrheitliche Einstellungen wie etwa die breite Opposition gegen den Afghanistankrieg und die soziale Polarisierung der Gesellschaft abgeschottet haben.

31. August 2009