Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HERRSCHAFT/1502: Opels Arbeiterzorn in Nationenkonkurrenz aufgefangen (SB)



"Freiheit für die Sklaven von General Motors" - die Parole einiger Opelaner in Rüsselsheim klingt radikal nur, wenn man nicht hinhört. Hier rufen keine Arbeiter zum Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung auf, hier pochen die Angestellten der GM-Tochter Opel auf einen vermeintlich besseren Deal, als er nun von den Eignern ihres Unternehmens voraussichtlich diktiert wird. Dabei wäre der Verkauf an Magna mit dem widerstandslosen Verlust von fast 11.000 Arbeitsplätzen in Europa und Lohnkürzungen von jährlich 265 Millionen Euro einhergegangen. Der Vorteil für die deutschen Opelaner hätte neben einer Gewinnbeteiligung vor allem darin bestanden, daß ihre Werke im Verhältnis zu denen anderer europäischer Standorte bei dieser Lösung relativ gut davongekommen wären.

Wenn nun der hessische Ministerpräsident Roland Koch, ein bekennender Neoliberaler mit starker Orientierung an sozialpolitischen Verelendungskonzepten Made in the U.S.A., in Rüsselsheim auf einen Lastwagen klettert und den demonstrierenden Arbeitern gegen die Konzernführung in Detroit einheizt, wobei er im Grunde genommen nichts anderes sagt, als daß man aus der neuen Lage das Beste machen und mit GM verhandeln müßte, um dafür auch noch Beifall zu erhalten, dann kann er mit Einwilligung der Betroffenen von der Einseiferei zur Rasur übergehen.

Denn diese wird nicht ausbleiben, wie die unverhohlene Drohung GMs mit der Insolvenz Opels zeigt. Den Politikern stellt sich vor allem die Aufgabe, Kampfmaßnahmen der Arbeiterschaft zu verhindern, die letztendlich dazu führen könnten, daß die von Entlassung bedrohten Opelaner nicht mehr einsehen, sich zwischen zwei im Grunde gleichermaßen inakzeptablen Angeboten entscheiden zu müssen. Auch wenn der von GM vorzulegende Sanierungsplan laut dem Ende 2008 präsentierten Viability-Plan des Konzerns darauf hinausliefe, die Fixkosten bei Opel um 30 Prozent zu reduzieren und mindestens 10.000 Angestellte zu entlassen, so war die Magna-Lösung doch nicht minder von schwerwiegenden Unwägbarkeiten wie der negativen wirtschaftlichen Entwicklung und dem ungelösten Problem der generellen Überproduktion im Automobilbereich behaftet. Ihr Gelingen war ebensowenig garantiert wie der Erfolg jeder anderen Option, in der die Beschäftigten nicht selbst über die Bedingungen der Verwertung ihrer Arbeit verfügen.

GM befindet sich in einer vorteilhaften Lage, weil, wie Frank Seidlitz auf Welt Online (06.11.2009) unter Verweis auf einen juristischen Berater des Konzerns berichtet, relevante Substanzwerte wie Patente und Eigentumsrechte an Immobilien schon vor Jahren in die USA transferiert worden seien. Was bei einer Insolvenz bleibe, seien vor allem finanzielle Ansprüche der Mitarbeiter, derer sich GM auf diese Weise elegant entledigen könnte. Die dabei anfallenden Kosten trüge der Steuerzahler, so daß die Regierungspolitiker, die sich nun als Arbeiterführer aufspielen, zuerst im Sinn haben dürften, die Bereitschaft der Beschäftigten zu Zugeständnissen aller Art zu erhöhen. Daß man in Detroit nach einer Phase, in der Opel vor allem deshalb abgestoßen werden sollte, weil die US-Regierung vor der Sanierung des Konzerns mit Staatsmitteln versprochen hatte, keine Arbeitsplätze im Ausland zu subventionieren, nun auf ein gutes Geschäft mit Opel kalkuliert, entspricht dem normalen Geschäftsverlauf und hat mit Betrug nichts zu tun.

Es handelt sich um die schlichte Realität kapitalistischer Marktwirtschaft unter der Bedingung wachsender staatlicher Einflußnahme im Interesse der Kapitaleigner. Dem Verdrängungswettbewerb zwischen nationalen Volkswirtschaften, als der der Konflikt um Opel derzeit vor allem artikuliert wird, liegt eine Kartellierung von Kapitalmacht und Staatsgewalt zugrunde, der es im Kern um die Sicherung der herrschenden Ordnung unter den verschärften Bedingungen der globalen Krise geht. So arbeiten die davon Betroffenen unterhalb der Schwelle antikapitalistischer Proteste nationalen Agendas zu, die ihre Ohnmacht wirksam verstetigen.

Daher werden die europäischen Arbeiter und Angestellten Opels kaum wirksame Maßnahme gegen die anstehende Radikalkur ergreifen können. Schon die Organisation der Insolvenz des alten GM-Konzerns war ein gemeinsames Projekt der Unternehmensführung, des Staates und der Gewerkschaften. Nur so konnte man die Sanierung auf dem Rücken der Arbeiter vollziehen, die von erheblichen Verlusten bei der Zahl der Arbeitsplätze, den Gehältern und sozialen Sicherungsleistungen betroffen sind. Für ihre Beteiligung an diesem Prozeß erhielt die Autogewerkschaft United Auto Workers (UAW), die sich unter anderem dazu verpflichtete, bis 2015 auf Streiks zu verzichten, 17,5 Prozent Anteile am neuen Konzern. Die Arbeitervertreter sitzen in Detroit im Vorstand und richten die geschäftlichen Aktivitäten des Unternehmens an ihren Renditeerwartungen aus.

Als Gewerkschafter sind sie in besonderer Weise dafür qualifiziert, eventuelle Kampfmaßnahmen der Arbeiter zu unterlaufen und den Ausverkauf ihrer Interessen mit angeblichen ökonomischen Sachzwängen zu begründen. Die Rolle der Politiker in dieser Scharade besteht darin, den guten Cop zu geben und den Arbeitern für die Bereitstellung von Kapital für Rettungsaktionen Zugeständnisse abzuverlangen, während der böse Cop der Kapitalmacht zum Popanz des prinzipiell funktionierenden und favorisierten Kapitalismus aufgeblasen wird. Dafür, daß Gewerkschaften und Regierungen den Betroffenen klarmachen, daß an den ihnen abverlangten Zumutungen kein Weg vorbeiführt, kommen ihnen die Firmenvertreter ein wenig entgegen. Der Vorteil des Krisenmanagements der Regierungen besteht darin, daß Kompromisse nicht nur im Rahmen transnational agierender Unternehmen ausgehandelt, sondern auch über Geben und Nehmen auf anderen Politikfeldern erlangt werden können.

Übrig bleiben stark geschrumpfte ehemalige Industriegiganten, deren Kernbelegschaften trotz der von ihnen geleisteten Zugeständnisse den Eindruck haben, als Gewinner aus einem Prozeß der Umverteilung hervorzugehen, der einen immer größeren Teil der Bevölkerung ins unumkehrbare Elend des modernen Almosenstaats vertreibt. Die von Betriebsräten und Gewerkschaften mitvollzogenen Spaltungsstrategien belegen, daß der Sklavencharakter der Lohnarbeit nicht durch mehr oder weniger gute Konditionen des Verkaufs der eigenen Gesundheit und Lebenszeit gekennzeichnet, sondern der vorauseilenden Kapitulation der Arbeiter vor dem Kapital geschuldet ist. Dieser grundlegende gesellschaftliche Antagonismus wird durch die Teilhaberschaft an einer imaginären nationalen Schicksalsgemeinschaft überformt, aus der finsterste Praktiken der Selbstbehauptung und Umlastung resultieren.

6. November 2009