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HERRSCHAFT/1518: Der linke und der rechte Weg ... welche Zukunft für ATTAC? (SB)



Zum zehnjährigen Jubiläum von ATTAC Deutschland richtet sich die Aufmerksamkeit der Medien vor allem auf die prominenten Mitglieder der Antiglobalisierungsorganisation. Neben Heiner Geißler holt man gerne den grünen Europaabgeordneten Sven Giegold vor das Mikrofon, gehört er doch zu den 2000 Aktivisten aus 50 NGOs, die die deutschen Sektion des internationalen Netzwerks am 22. Januar 2000 in Frankfurt am Main gründeten. Heute ist man stolz darüber, daß das damalige Ziel, den internationalen Finanzmärkten regulatorische Zügel anzulegen, im Mainstream der Politik angekommen ist. Gleichzeitig hat sich ATTAC zu einer heterogenen Bewegung formiert, deren Aktionen ein breites, weitgehend mit linken Anliegen identisches Themenspektrum abdecken.

Nicht nur die Forderung, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen, um spekulative Geschäfte am Finanzmarkt zu behindern, sondern insbesondere auch ökologische Themen gehören heute zu den von etablierten Parteien bis zur CDU/CSU aufgegriffenen Zielen ATTACs. Um dem sich daraus ergebenden Problem, inhaltlich von etablierteren politischen Kräften assimiliert zu werden, entgegenzutreten, gibt es für Giegold vor allem zwei Möglichkeiten. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung erklärte er in Aussicht auf eine in Frage kommende Strategie für die nächsten zehn Jahre:

"Es gibt sicher verschiedene Möglichkeiten für eine Neuaufstellung von ATTAC. Eine Option wäre die Radikalisierung. Wenn die Mehrheit den alten Thesen zustimmt, radikalisiert man sie. Eine andere Option wäre vom Agenda-Setting zur Durchsetzung von Forderungen überzugehen. Die Stärke von ATTAC war, Themen auf die politische Tagesordnung zu bringen. Künftig könnte es darum gehen, sie auch durchzusetzen. Das ist ein Lernprozess, den die Umweltbewegung auch durchgemacht hat. Damit ginge einher, Kräfte auf einzelne Kampagnen zu konzentrieren und sich dabei weiter zu professionalisieren."
(SZ, 22.01.2010)

Als Mitglied der Grünen liegt Giegold die Radikalisierung ATTACs naheliegenderweise fern, liefe diese doch in Anbetracht der Okkupation von Politikfeldern, die früher außerparlamentarischen Bewegungen vorbehalten blieben, und der hochentwickelten Immunisierung administrativer Apparate gegen Veränderungen, die den Interessen mächtiger Gruppen der Kapitalmacht schadeten, auf systemkritische bis systemüberwindende Forderungen hinaus. So erklärte Giegold aus aktuellem Anlaß des ATTAC-Jubiläums:

"Ein ganz anderes Wirtschaftsmodell jenseits des Kapitalismus haben wir nicht in der Tasche. Es gibt eben kein konkretes Modell. Und daraus folgt eben, daß man nicht einfach als Antikapitalist, finde ich, durch die Gegend laufen sollte."
(NDR Info, 22.01.2010)

Mit dieser Schlußfolgerung läßt sich gut leben, wenn man unter den herrschenden Verhältnissen nichts auszustehen hat. Die Unterstellung, man verfüge über kein Wirtschaftskonzept, das den Kapitalismus ablösen könnte, baut auf die vermeintlich erfolgreiche Diskreditierung der kommunistischen Utopie durch das Scheitern staatssozialistischer Systeme. Gerade weil diese erhebliche Mängel an demokratischer Praxis hatten, bleibt diese Schlußfolgerung so irreführend, wie sie es war, als 1990 das Ende der Geschichte verkündet und der Sieg des marktwirtschaftlichen Liberalismus als nicht mehr umkehrbar ausgerufen wurde.

Formallogisch betrachtet wird auch kein anderer Hut aus der Aufhebung des Diktums der vermeintlichen Sieger der Geschichte als die Narrenkappe, die derjenige, der das Unmögliche wagt, von seinen Gegnern aufgesetzt bekommt. Wie will man wirkliche Veränderung erstreiten, wenn man lediglich das Bewährte, Vertraute und Bekannte fortschreibt? Nur weil ich nicht weiß - und nicht wissen kann -, wie die andere Welt beschaffen ist, deren Möglichkeitshorizont zumindest durch den Willen, sie zu schaffen, auch die Perspektiven vieler ATTAC-Mitglieder bestimmt, handelt es sich nicht um ein aussichtsloses Unterfangen, sie zu verwirklichen. Ganz im Gegenteil - die Negation des Bestehenden kann tatsächlich Neues schaffen, wenn man sie nur mutig und konsequent genug vollzieht.

Beide Eigenschaften sind unter den Profis des NGO-Geschäfts eher selten anzutreffen, verwandeln diese den aus Betroffenheit über das Unrecht in der Welt und Zorn über das Treiben seiner Profiteure handelnden Aktivisten doch in einen kühl kalkulierenden Technokraten, der stets das realpolitisch Mögliche im Sinn hat und desto bedachter darauf ist, das ideell Unmögliche als Wunschdenken, Hirngespinst und Fantasterei vorzuführen. Aus seinem gesellschaftlichen Anliegen einen Beruf zu machen öffnet den Gewinnaussichten, die die Kooptierung linksgerichteter NGOs durch kapitalstarke Akteure generiert, Tür und Tor. Die Haut echter Empörung und streitbaren Engagements wird gewissermaßen zu Markte ihrer Fetischisierung als Maske einer gesellschaftlichen Teilhaberschaft getragen, die sich über die dafür zuständigen Organisationen und Parteien artikuliert.

So mündet der professionelle NGO-Aktivismus in die geordneten Bahnen einer systemischen Regulation, deren wichtigste Aufgabe die Neutralisierung revolutionärer Tendenzen ist. Zur Befriedigung der Legitimationsbedürfnisse herrschender Kräfte sind zahlreiche Ex-Linke unterwegs, die beim Aufbruch in eine andere Welt vorzeitig abgebogen sind, um auf sicherer Straße zu den Fleischtöpfen zu gelangen, die den "systemrelevanten" Funktionseliten vorbehalten sind. Es ist daher kein Wunder, daß in den Medienberichten zum Zehnjährigen von ATTAC vor allem die Konformität der Organisation resümiert wird.

Dabei könnte ATTAC mit seiner organisatorischen Kraft auch weiterhin Themen auf die politische Tagesordnung setzen, die von den etablierten Parteien nicht entdeckt wurden, weil sie ihren Zielsetzungen zuwiderlaufen. Der Widerstand gegen die neoliberale und militaristische europäische Integration, gegen den Sicherheitsstaat, gegen die NATO und ihre Kriegseinsätze, gegen soziale Verelendung und die sozialrassistische Stigmatisierung angeblich unproduktiver Menschen, gegen den Zugriff des Kapitals auf die immateriellen Ressourcen des Internets sind nur einige Themen, mit denen man sich bestenfalls in der Partei Die Linke beschäftigt. Je kontroverser der Gehalt der Forderungen wäre, desto mehr profilierte sich ATTAC als eine soziale Bewegung, die im Brennpunkt gesellschaftlicher Konflikte agierte und Menschen mobilisieren könnte, die bislang völlig unpolitisch geblieben sind, weil sie wissen, daß die Formeln und Parolen der Parteien nicht mehr dieselben sind, nachdem sie den parlamentarischen Prozeß durchlaufen haben.

Wenn die weitere Zukunft ATTACs tatsächlich so offen ist, wie Giegold sie mit der Schilderung der zwei wichtigsten Entwicklungsmöglichkeiten der Organisation darstellt, dann ist der schmale linke Weg keineswegs derjenige, auf dem nicht das Gros der Menschen seine Zukunft schafft. Die breite Straße, die in die Apparate und Institutionen herrschender Kräfte führt, ist bereits so bevölkert, daß sie nicht auch noch von den Mitgliedern einer Organisation beschritten werden muß, die eine nicht unerhebliche Anziehungskraft auf die am Leben anderer Menschen interessierten Teile der Jugend ausübt. Antikapitalismus ist ein sinniger Beginn, gerade weil er der vermeintlichen Vernunft realpolitisch denkender Funktionäre ein Affront ist. Inmitten einer Welt, die täglich neue Katastrophen gebiert, keine Radikalität an den Tag zu legen dünkt nur demjenigen vernünftig, der die kurze Frist persönlichen Überlebens zum maßgeblichen Parameter seiner Willensbildung erklärt.

22. Januar 2010