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HERRSCHAFT/1558: Helden des Sozialrassismus ... Seehofers neue deutsche Härte (SB)



Die Botschaft ist angekommen und wurde verstanden. CSU-Chef Horst Seehofer hatte am Wochenende gegenüber dem Focus nicht gegen Arbeitsmigranten und Zuwanderer generell polemisiert, sondern behauptet, daß sich "Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun. Daraus ziehe ich auf jeden Fall den Schluss, dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen." Wie ein Fisch im Fahrwasser Thilo Sarrazins markiert Seehofer Türken und Araber als Menschenschlag von geringem Nutzen für die Bundesrepublik, sprich das hierzulande angesiedelte Kapital.

Alle menschlichen Belange auf die Waage volkswirtschaftlichen Nutzens zu legen spiegelt ein Interesse, das keineswegs das aller Bundesbürger sein muß. Der von Seehofer praktizierte Sozialrassismus richtet sich mittelbar gegen alle Bundesbürger, die von Sozialtransferleistungen leben. Ist das vermeintliche Problem im Sinne Sarrazins "unproduktiver" Menschen aus mehrheitlich islamischen Staaten erst einmal gelöst, dann richtet sich der Fokus utilitaristischer Selektion auf die nächste Gruppe, die im Saldo kapitalistischer Vergesellschaftung zu entsorgen ist.

Seehofer hatte nicht umsonst im gleichen Interview gefordert, all denjenigen Sozialleistungen zu kürzen oder vollständig zu entziehen, die ein Arbeitsplatzangebot oder eine Qualifizierungsmaßnahme ablehnten. "Da haben wir in Deutschland noch nicht die letzte Tapferkeit entwickelt", so der CSU-Politiker in einer Sinnverkehrung des Begriffs, mit dem in früheren Zeiten nicht nur soziale Grausamkeit, sondern die Erniedrigung zum Feindbild erklärter Menschen bis hin zu ihrer Vernichtung auf den Begriff einer den ausführenden Staatsorganen alles an Ignoranz und Härte abverlangenden gerechten Pflicht gebracht wurde. Tapferkeit, und zwar bis zum ultimativ Letzten, im Angesicht der Not des anderen zu zeigen heißt, ihm aus legalistischen Gründen jegliche Hilfe zu entziehen, selbst wenn er dabei verhungert.

Der Bedingung bedingungsloser Unterwerfung unter das Lohnarbeitsregime nicht zu entsprechen, sondern sich vorzubehalten, eine womöglich gesundheitsgefährliche oder mit dem eigenen Gewissen nicht zu vereinbarende Arbeit abzulehnen, wird unter Strafe des stufenweisen Leistungsentzugs gestellt, weil das Lebensinteresse dem Verwertungsinteresse des Kapitals unterworfen ist. Das Grundrecht auf freie Berufswahl zu schützen ist keine Aufgabe der angeblich sozialen Marktwirtschaft, weil der erreichte Stand der Produktivität nur mit der Einschränkung der Freiheit der dazu nicht mehr erforderlichen Bürger rentabel gemacht werden kann. Die Entrechtung von Leistungsempfängern kommt der Verabsolutierung der Geschäftsordnung des Kapitals, alle Menschen seinem Verwertungsinteresse zu unterstellen, gleich. Wer nicht lohnarbeitet, soll auch nicht essen, unabhängig davon, ob die Urheber dieser Geschäftsordnung überhaupt allen Menschen die Möglichkeit dazu geben, ihre Arbeitskraft zu verkaufen.

Die von Seehofer angemahnte "letzte Tapferkeit" in der Durchsetzung dieser Verwertungsordnung meint im sozialdarwinistischen Klartext, jegliche Solidarität mit den überflüssig Gemachten dem Primat eigenen Überlebens zu opfern. Die moralische Rechtfertigung der Forderung dieses christlichen Politikers besteht in der Beschuldigung der Betroffenen, nicht alles dafür getan zu haben, sich marktfähig zu machen. Wer als Vegetarier nicht in einer Schlachterei oder als Kriegsgegner nicht in einer Waffenfabrik arbeiten will, wer aus körperlichen Gründen keine Öltanks reinigen oder Erntearbeiten verrichten will, wer gar darauf beharrt, im Verrichten von Arbeit mehr zu sehen als die bloße Existenzsicherung, nämlich die Entwicklung humaner und selbstbestimmter Qualitäten, dem wird die Schuld an allen Wettbewerbsnachteilen des Standortes Deutschland aufgelastet.

Die Tapferkeit der Herrschenden besteht darin, die Zurichtung des bürgerlichen Subjekts auf den größten gemeinsamen Nenner seiner Verfügbarkeit mit der ganzen Härte zu vollziehen, die selbst zu erfahren sie mit dem Zorn gerechter Empörung erfüllte. Die Unterdrückung des offenkundigsten aller Widersprüche des Überlebensprimats, mit der Negation des Lebensinteresses des anderen die Entwicklung des Menschen zu einem mitfühlenden Wesen kategorisch auszuschließen und damit die eigene Seele zu verraten, wird von Seehofer nicht umsonst zur kriegerischen Tugend erhoben. Im Kampf um verbliebene Ressourcen schlägt sich heldenhaft, wer sehenden Auges Millionen dem Tod überantwortet, indem er das Gewähren von Hungerhilfe mit dem Argument verhindert, daß das Überleben von Nahrungsmittelhilfen abhängiger Menschen für die Entwicklung nachhaltiger und selbsttragender Wirtschaftsmodelle kontraproduktiv wäre. Zum Ritter neoliberaler Standortlogik wird geschlagen, wer den kapitalistischen Leistungsethos als Zwangssystem all denjenigen aufoktroyiert, die ihm nicht genügen.

Es ist denn auch nicht überraschend, daß Bundeskanzlerin Angela Merkel dem CSU-Chef trotz der Kritik der von ihm erniedrigten muslimischen Bürger prinzipiell den Rücken stärkt. Zur besseren, positiv patriotischen Verträglichkeit bekundet Seehofer im zweiten Schritt, lediglich gemeint zu haben, keine zusätzlichen ausländischen Fachkräfte in Deutschland haben zu wollen, weil man sich zuerst um die deutschen Erwerbslosen kümmern sollte. Der kulturalistische Tenor, mit dem der christsoziale Politiker den Eindruck erweckte, es gehe ihm um die Rettung des jüdisch-christlichen Abendlands gegen Überfremdung durch islamische Kostgänger, bleibt davon unbeschadet. Wie im Falle Thilo Sarrazins wird Feuer mit Benzin bekämpft, indem das größere Übel das kleinere überstrahlt.

Seehofer will die "Sorgen und Probleme in der Bevölkerung ernst" nehmen, "damit die politisch radikalen Kräfte in der Bundesrepublik keine Chance haben". Der rassistische Etikettenschwindel, diese Sorgen und Probleme an islamisch geprägte Zuwanderer zu adressieren, artikuliert sich in Repression und Krieg. Wem der Mut fehlt, dem größeren Gegner im Sozialkampf entgegenzutreten, der gibt sich mit dem Feindbild zufrieden, das ihm dieser vor die Nase hält. Die Herabsetzung von Muslimen ist so mehrheitsfähig geworden, daß die ihr immanente Verächtlichmachung alles Schwachen noch mundgerechter daherkommt, als es im Zeichen der totalen Ökonomisierung ohnehin der Fall ist. Mit dem Zuckerguß zivilisatorischer Suprematie überzogen wird die Giftpille der Stigmatisierung und Deklassierung aller angeblich Unproduktiven von diesen selbst geschluckt. Die dem Islam angelasteten Grausamkeiten erweisen sich mithin als Erblast eines Monotheismus, der die Qualifikation administrativer Verfügungsgewalt in die Unteilbarkeit des einen Gottes projiziert, um den Menschen weiterhin in den Staub seiner Teilbarkeit werfen zu können.

Fußnote:

Alle Zitate siehe http://www.focus.de/politik/deutschland/horst-seehofer-kampfansage-an-schmarotzer-und-zuwanderer_aid_560515.html

11. Oktober 2010