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HERRSCHAFT/1578: Palestine Papers - Kollaboration hat viele Gesichter (SB)



Herrschaft gründet in überlegener Waffengewalt samt den daraus abgeleiteten ökonomischen, politischen und administrativen Instrumenten des Machterhalts. Herrschaft bedarf gleichermaßen der Beteiligung der Beherrschten, die derselben Vorteilserwägung zu Lasten anderer den Zuschlag geben, um nicht nur ihre eigene Haut zu retten, sondern am System der Ausbeutung und Unterdrückung zu partizipieren. Dies läßt sich exemplarisch am Verhältnis Israels zu den Palästinensern entschlüsseln, deren Führungseliten unverzichtbar für die Befriedung palästinensischen Aufbegehrens und die Elimination geschlossenen Widerstands sind. So intensiv diese Spaltung von seiten Israels und dessen Verbündeten betrieben wird, so weitreichend ist die Kollaboration der PLO-Führung und Fatah. Für diese scheint es namentlich im Machtkampf mit der Hamas keine Grenze der Kooperation mit israelischen, US-amerikanischen oder britischen Geheimdiensten und Repräsentanten zu geben, die zu überschreiten ein verbliebener Restbestand an Verbundenheit mit den eigenen Landsleuten eigentlich verbieten sollte.

Aus den von Al Dschasira und dem Guardian veröffentlichten "Palestine Papers" geht nicht zweifelsfrei hervor, daß die Spitze der von den USA und den Europäern finanzierten Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) vorab über die "Operation Cast Lead" informiert war, in deren Verlauf die israelischen Streitkräfte mehr als 1.400 Palästinenser im Gazastreifen töteten und immense Zerstörungen anrichteten. Unter den von WikiLeaks im vergangenen Jahr publizierten Dokumenten befanden sich Depeschen von US-Diplomaten, in denen von einer Mitteilung des israelischen Verteidigungsministers Ehud Barak an eine Delegation des US-Kongresses die Rede war. Demnach hatte Israel vor dem Angriff auf Gaza Ägypten und die Fatah konsultiert, ob sie bereit seien, nach einem Sieg der IDF über die Hamas die Kontrolle über den Gazastreifen zu übernehmen, was beide wie erwartet abgelehnt hätten. Mahmoud Abbas dementierte dies damals ebenso nachdrücklich, wie er heute erneut versichert, nichts von der Operation gewußt zu haben.

Vieles deutet jedoch darauf hin, daß die Führung der Autonomiebehörde und der Fatah im Prinzip wußte, daß ein israelischer Militärschlag geplant war. Laut den nun veröffentlichten Dokumenten sprachen die damalige Außenministerin Tsipi Livni und Amos Gilad, der einen hohen Rang im Verteidigungsministerium bekleidete und Chefunterhändler war, mit palästinensischen Unterhändlern über die Wahrscheinlichkeit einer großangelegten Offensive im Gazastreifen. "Wir sind auf Kollisionskurs mit der Hamas", warnte Gilad. "Ihr müßt darauf vorbereitet sein ... daß wir uns früher oder später [um die Hamas] kümmern." [1]

Im Vorfeld der "Operation Cast Lead" kam es offenbar zu einem Kontakt zwischen Gilad und Abbas, wobei unklar ist, was dabei im einzelnen besprochen wurde. Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat sagte dem US-Sondergesandten George Mitchell im Oktober 2009, Abu Mazen (Mahmoud Abbas) habe erwidert, er werde nicht auf einem israelischen Panzer nach Gaza fahren. Gilad hat vor wenigen Tagen im israelischen Rundfunk bestritten, Abbas damals informiert zu haben: "Die Palästinensische Autonomiebehörde hat keine konkrete Warnung hinsichtlich einer Offensive erhalten." Er habe Präsident Abbas nichts anderes als der ganzen Welt gesagt. Solcher Dementis ungeachtet zeichnet sich jedenfalls ein relativ enger Kontakt zwischen israelischen Regierungsvertretern und der Autonomiebehörde ab, was das prinzipielle Vorgehen gegen die Hamas betrifft.

Diese Bereitschaft, der Hamas um buchstäblich jeden Preis zu schaden, belegt auch die Kooperation führender PA-Vertreter mit der US-Regierung als es darum ging, die Behandlung des Goldstone-Berichts über die Kriegsverbrechen während des Überfalls auf den Gazastreifen im UN-Sicherheitsrat zu verhindern. Am 21. Oktober 2009 dankte der US-Sicherheitsberater Jim Jones dem palästinensischen Unterhändler Saeb Erekat "für das, was Sie vor wenigen Wochen [hinsichtlich Goldstones] getan haben; das war sehr mutig". Dieser "Mut", die Behandlung des Reports auf die lange Bank zu schieben, um seine Wirkung zu entschärfen und einzudämmen, hätte Abbas um ein Haar die Führerschaft gekostet, da die Empörung unter den Palästinensern verständlicherweise hohe Wellen schlug.

Die PA behauptete damals, sie habe nicht auf Druck der USA gehandelt. Am Tag der Verschiebung hatten die palästinensischen Unterhändler jedoch den inoffiziellen Vorschlag erhalten "zu einer positiven Atmosphäre während der Verhandlungen beizutragen ... und keine Initiative in Foren internationalen Rechts direkt oder indirekt zu unterstützen, die einer solchen Athmosphäre abträglich wäre". Man muß kein Experte diplomatischer Verklausulierung sein, um zu verstehen, was der PA signalisiert wurde. Wenn diese angesichts des wütenden Protests gegen ihre Sabotage des Goldstone-Berichts behauptete, sie habe nicht unter Zwang gehandelt, so trifft das formal durchaus zu. Kollaboration hat viele Gesichter, darunter auch eine Willfährigkeit, die sich an der langen Leine mit einem Fingerschnippen steuern läßt.

Anmerkungen:

[1] Gaza war report was stalled by Palestinian Authority on US request (26.01.11)
The Guardian

27. Januar 2011