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HERRSCHAFT/1580: Aufstand im Land der Pharaonen - Konter bereits in Stellung gebracht (SB)



In Ägypten wird sich nicht das wiederholen, was in Tunesien geschehen ist: Die Amerikaner und Europäer werden den vom revoltierenden Volk bedrängten Präsidenten Hosni Mubarak nicht so schnell fallen lassen wie seinen tunesischen Amtskollegen Zine Al Abadine Ben Ali. Der mußte plötzlich fliehen, weil er bei ausländischen Interessen und der eigenen Armeeführung keinen Rückhalt mehr besaß.

Das Land am Nil dagegen hat seine geostrategische Funktion jahrzehntelang zuverlässig erfüllt - nicht zuletzt aufgrund der harten Hand, mit der Präsident Mubarak bis heute regiert, und einer Militärhilfe durch die USA in Höhe von über 1,3 Mrd. Dollar jährlich. Als Lohn für die Anerkennung seiner besonderen Bedeutung innerhalb der arabischen Welt durch den Westen hat Ägypten sämtliche inneren Emanzipationsbewegungen unterdrückt, angefangen von radikalislamischen Kräften, welche die weltliche Herrschaft durch eine klerikale ersetzen wollen, bis zu sozialistisch orientierten Gruppierungen. Ein in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzender Ordnungsfaktor stellt Ägypten in Hinsicht seiner Beziehungen zu Israel dar. Ein Bruch dieses Bündnisses, das zu Lasten des bis heute um seine Selbstbestimmung betrogenen palästinensischen Brudervolkes geschlossen wurde, hätte weitreichende Folgen für die gesamte Region.

Mubaraks harte Reaktion auf den Aufstand zeigt, daß im Land der Pharaonen ausgefeilte Herrschaftstechniken Tradition haben. So hat der ägyptische Präsident Geheimdienstchef Omar Suleiman zum Vizepräsidenten und den ehemaligen Kommandeur der Luftwaffe und Minister für Zivilluftfahrt Ahmad Muhammad Schafiq zum Premierminister ernannt. Damit will er das Militär, das ihm gefährlich werden könnte, noch enger als sowieso schon an sich binden. Zudem hat er das Internet kappen und den Fernsehsender Al Jazeera schließen lassen. Der hatte per Live-Stream über den Aufstand berichtet und Bilder von brennenden Gebäuden, aufgepeitschten Demonstranten und tatenlosen Polizisten und Soldaten gesendet. Solche visuellen Eindrücke vermögen den Zorn der Menschen wach zu halten.

Gerüchten zufolge ließ die ägyptische Regierung mehrere tausend Gefangene frei und stachelte Plünderer an. Auch das wäre, falls dies bestätigt wird, eine Form der Herrschaftssicherung, böte doch das "Chaos" den Vorwand, um scharf gegen Demonstranten vorgehen zu können.

Oppositionsführer Mohamed El Baradei von der Nationalen Bewegung für Veränderung begab sich zu den vielen tausend Demonstranten auf den zentral gelegenen Tahrir-Platz. Dort agitierte der 68jährige gegen die Regierung, forderte Mubarak zum Rücktritt auf und verlangte Neuwahlen. Der ehemalige Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) wäre ein Staatspräsident, mit dem auch der Westen gut leben könnte, ungeachtet dessen, daß er nicht immer den Vorstellungen Washingtons von einem willfährigen IAEO-Chef entsprach.

Mit einer Abkehr vom Mubarak-Regime ist jedoch nicht so schnell zu rechnen. Typischerweise zeichnet Ambivalenz die Kommentare hiesiger Politiker zur Lage in Ägypten aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel rief am Sonntagnachmittag Mubarak an und forderte ihn auf, die angekündigten Reformen umzusetzen und auf Gewalt zu verzichten. Außenminister Guido Westerwelle warnte in der ARD, daß die Reaktion von Gewalt auf die "Sehnsucht nach Freiheit" der Menschen gefährlich sei, weil das Extremisten und Islamisten in die Hände spielen könne.

Sollte es aber Mubarak in nächster Zeit nicht gelingen, den Volksaufstand zu unterdrücken, wird man erleben, wie sich die Gunst des Westens mehr und mehr in Richtung El Baradei verschiebt. Der gehört ebenfalls dem Establishment an, wenngleich einer anderen Abteilung als die Mubarak-Seilschaft. Möglicherweise läßt sich die revolutionäre Bewegung in Ägypten von einer Figur wie ihn ausbremsen. Bis sie das erkannt hat, könnte die Revolution wieder abgeebbt sein und nicht mehr zu der Wucht zurückkehren, die ihr zur Zeit noch innewohnt. Von El Baradei wäre eine Politik zu erwarten, die ein sehr viel freundlicheres Gesicht trägt. Vielleicht würden die Gewerkschaften gestärkt, neue Sozialprogramme aufgelegt und die politische Zensur reduziert oder abgeschafft. Aber mit Sicherheit würde die vorherrschende Eigentumsordnung nicht in Frage gestellt. Arm und reich blieben bestimmende Merkmale der ägyptischen Gesellschaft. Mit einem El Baradei als Staatschef wäre die Revolution, so sie etwas anderes anstrebt als einen Personalwechsel und Reformen, gekontert.

30. Januar 2011