Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HERRSCHAFT/1590: Raubstrategien sind erfolgreich, wenn sie nicht als solche erkannt werden (SB)



Es kam, wie es kommen mußte. Alles bekundete Durchhaltevermögen, das Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg an den Tag legt, hilft nicht weiter, wenn wichtige Unterstützer in den Unionsparteien wie in der Presse von der Fahne gehen. So wandelt sich das Bild des furchtlosen Soldatentribuns und honorigen Politikstars, das in der Zeitung dieses Namens auch und gerade nach Beginn der Affäre gezeichnet wurde, allmählich in das einer Leidensfigur, die "eingefallen und stoppelbärtig auf einer Pressekonferenz erscheint" [1]. Es ist nicht die Bürde des schweren Amtes oder die Trauer um gefallene Bundeswehrsoldaten, die den Minister zeichnet, sondern die von ihm selbst in die Welt gesetzte und nun schamlos von den Oppositionsparteien und anderen mißgünstigen Neidern gegen ihn gerichtete Doktorarbeit. Unter dem Vorzeichen größten Bedauerns um diesen doch so sympathischen, in der Stunde der Not ganz auf seine krisenerprobte Frau Stephanie gestützten Politikers nimmt das Boulevardblatt unverkennbar Distanz zu jenem Mann, für den sie noch bis vor wenigen Tagen aus allen publizistischen und demoskopischen Rohren feuerte. Daß Guttenberg die "schwerste Schlacht", als die Bild den Kampf um seine Reputation glorifiziert, tatsächlich durchsteht, ist in Anbetracht der Blessuren, die ihm auf den Leib geschrieben werden, bereits negativ beantwortet. Im Ansehen seiner Getreuen mag der Held unbesiegt bleiben, auf dem Schlachtfeld gesellschaftlichen Scheins nimmt sein Mythos längst die Gestalt einer Tragödie an.

So machte das Urteil des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, die Plagiatsaffäre sei "ein Sargnagel für das Vertrauen in unsere Demokratie", schnell die Runde durch alle Medien, und auch andere Koalitionspolitiker wie ein Vertreter des Bundeswehrverbands und Funktionäre diverser Wissenschaftsinstitutionen äußern sich immer offener skeptisch zum Nutzen des Verbleibs Guttenbergs im Kabinett. Mehr als 20.000 Unterschriften wurden im Netz unter einen offenen Brief gesetzt, in dem Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgrund ihrer Bemerkung, sie habe mit Guttenberg keinen "wissenschaftlichen Assistenten" berufen, die "Verhöhnung aller wissenschaftlichen Hilfskräfte sowie aller Doktorandinnen und Doktoranden, die auf ehrliche Art und Weise versuchen, ihren Teil zum wissenschaftlichen Fortschritt beizutragen" [2], angelastet wird.

Der in diesem Brief monierte Schaden, den "der Wissenschaftsstandort Deutschland und die Glaubwürdigkeit Deutschlands als 'Land der Ideen'" genommen habe, sollte allerdings nicht überbewertet werden, gehört das Rauben fremder Leistungen doch zur best practice kapitalistischer Arbeitsteilung. Zweifellos ist ein aufgedeckter Betrug kein Leistungsmerkmal, das man vorzeigen kann. Dies gilt jedoch nicht für das gelungene Abkupfern von konkurrierenden Marktteilnehmern entwickelter Technologien, für das eigennützige Abwirtschaften in den Ruin getriebener Staaten des Realsozialismus, für das Abwerben mit den Leistungen fremder Volkswirtschaften ausgebildeter WissenschaftlerInnen zur Verwertung in Forschung und Produktion des eigenen Landes, für die gewinnträchtige Ausnutzung drastischer Produktivitätsunterschiede zu den Ländern des Südens oder die schlichte Ausbeutung erwerbsabhängiger Arbeit durch Mehrwertabschöpfung insbesondere in den zugespitzten Zwangslagen sogenannter Leiharbeit, Ein-Euro-Jobs und anderer prekärer Formen der Existenzsicherung.

Raubstrategien gehen allemal in Ordnung, wenn der Faden legalistischer Bemäntelung hält, was er verspricht, und das Eigentumsprimat alle Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit aus dem Feld schlägt. Wenn allerdings eine Regierungspartei, die nicht nur die bürgerliche Eigentumsordnung im allgemeinen, sondern das Prinzip des geistigen Eigentums im besonderen etwa durch Maßnahmen zur Verschärfung des Urheberrechts oder die Vorbereitung eines Leistungsschutzrechts für die Verlage zu ihren politischen Zielen erklärt, einen offensichtlichen Plagiator auf dem Ministersessel beläßt, dann setzt sie sich des Verdachts einer klassenherrschaftlich begründeten Begünstigung aus, der mit schlichtem Abstreiten nicht aus der Welt zu schaffen ist. "Haste was, biste was", sagt das angeblich von Guttenbergs Glamour geblendete Volk in solchen Fällen kurz und bündig, und es sollte nicht verwundern, wenn die dem Freiherrn wie Sauerbier nachgetragenen Umfrageergebnisse nicht so repräsentativ sind, wie sie beanspruchen zu sein. Allein der stets populäre Reflex des Antiintellektualismus, der aus dem findigen Guttenberg einen Helden der besonders frechen Art macht, kann nicht weit genug tragen, bringt dieser doch die akademischen und publizistischen Funktionseliten in den Harnisch. Auch die PR-technische Flexibilität, die die ministerielle Ich-AG im postmodernen Crossover zwischen hochwohlgeborener Gravitas, bildungsbürgerlichem Habitus und jungdynamischer Ellbogenmentalität auszeichnet, spricht nur dann für ihn, wenn sie nicht an den Insignien einer Standeszugehörigkeit scheitert, deren Aberkennung Guttenberg nun auf ruinöse Weise die Leistungsbilanz verhagelt.

Sein frühes Eintreten für Thilo Sarrazin, den er nicht besonders zu mögen behauptete, dem er allerdings zugestand, die "richtige Debatte angestoßen" [3] zu haben, verweist auf den Humus des sozialrassistischen Ressentiments, auf dem der kulturelle Niedergang einer in die Mühle ihrer Selbstverwertung um jeden Preis geratenen Bourgeoisie schillernde Sumpfblüten hervorbringt. Wenn das von Merkel ausgerufene "Land der Ideen" vor aller Welt seine ökonomischen wie militärischen Muskeln spielen läßt, dann geht es gerade nicht darum, als Kulturnation im Sinne Goethes und Schillers in Erscheinung zu treten. Weit relevanter für das Selbstbehauptungsstrebens des modernen Deutschlands sind die nationalchauvinistischen Tiraden eines Sarrazin, der Menschen anderen Glaubens und anderer Herkunft pauschal mindere Intelligenz unterstellt, oder das Bekenntnis eines Guttenberg, Kriege auch zur Sicherung des Ressourcennachschubs, freier Handelswege und wirksamen Investitionsschutzes führen zu wollen. Es ließen sich nicht nur aus den Reihen der schwarzgelben Bundesregierung noch diverse Beispiele dafür heranzitieren, daß die neofeudale Herrenreitermentalität eines Guttenberg wahrhaftig kein Einzel- oder Sonderfall, sondern prototypischer Ausdruck typisch männlichen Erfolgsstrebens ist. Den mit allen Mitteln durchgesetzten Standortvorteil durch ein Ladenschild zu gefährden, das dazu einlädt, sich ausnehmen zu lassen, wie plumpes Manövrieren beim Krisenmanagement sind allerdings Fehler, die seinesgleichen unverzeihlich sind.

Fußnoten:

[1] http://www.bild.de/BILD/politik/2011/02/27/guttenberg-verteidigungsminister-doktor-affaere/plagiats-vorwuerfe-wissenschaft-und-opposition-unter-druck-schwerste-schlacht.html

[2] http://www.welt.de/politik/deutschland/article12658198/Wissenschaftler-werfen-Merkel-Verhoehnung-vor.html

[3] http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/592589/Guttenberg_Sarrazin-stiess-die-richtige-Debatte-an

28. Februar 2011