Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HERRSCHAFT/1629: Parteiprogramm Die Linke - Fundamentalopposition nicht auszuschließen (SB)



Reines Wunschdenken lassen die Kommentare der bürgerlichen Presse erkennen, wenn sie die Partei Die Linke aufgrund ihres auf dem Erfurter Parteitag verabschiedeten Grundsatzprogramms im politischen Abseits wähnen. Was die PDL vier Jahre nach ihrer Entstehung aus einem Zusammenschluß aus PDS und WASG unter langem inneren Ringen auf die Beine gestellt hat, ist von einigem praktischen Wert. Das noch durch Mitgliederentscheid zu bestätigende Parteiprogramm verschafft der Linken ein von den anderen vier im Bundestag vertretenen Parteien klar zu unterscheidendes Profil, was allein schon in einer von angeblichen Sachzwängen und politische Substanz simulierenden Opportunitätsmanövern bestimmten Bundespolitik von Vorteil ist.

Mit dem Unterton skandalöser Realitätsverweigerung angeprangerte Positionen wie der Austritt aus den militärischen Strukturen der NATO, die Beendigung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr, die Verstaatlichung der Banken und Energiekonzerne, das Ende von Hartz IV und der Rente mit 67, ein Verbot der Leiharbeit, 30-Stunden-Woche und ein gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 60 Prozent des Durchschnittslohns sind allemal dazu geeignet, der Partei Wählerinnen und Wähler zu bescheren, die Vergleichbares bei keiner anderen im Bundestag vertretenen Partei finden. Der damit zum Ausdruck gebrachte Wille, zwar kapitalismuskritisch, aber nicht antikapitalistisch, also im Grundsatz systemimmanent zu agieren, müßte die Linke auch des gegen sie aufgefahrenen Extremismusverdachts entheben. Da es sich dabei nie um etwas anderes als die Instrumentalisierung des Staatsschutzes gegen unliebsame Konkurrenz durch die Amtsträger der bürgerlichen Parteien handelte, ist allerdings vom Gegenteil auszugehen.

So ist die mit knapp 97 Prozent zustandegekommene Annahme des Parteiprogramms Ausdruck einer Konsolidierung, die in Anbetracht der heftigen Attacken, denen der linke Flügel durch massenmedial verstärkte Kampagnen der Parteirechten ausgesetzt war, den Eindruck eines Linksschwenks vor allem deshalb erweckt, weil die etablierte Politik sich seit längerem auf dem Marsch in die sozialrassistische Gesellschaft befindet. Indem sie klare Position gegen diesen Kurs bezieht, löst Die Linke ein, was von einer Partei, die sich von der SPD abheben will, allemal zu erwarten ist. Die Freude der Parteilinken darüber, die weitere Erosion der Glaubwürdigkeit der PDL aufgehalten zu haben, resultiert vor allem aus der Schwäche ihrer parteinternen Kontrahenten. Das Projekt einer Steigbügelhalterin der SPD ist in Berlin allzudeutlich gescheitert, als daß eine programmatische Öffnung nach rechts noch Erfolgsaussichten hätte nähren können.

Zudem ist den Verfechtern postmoderner Transformationskonzepte in der Linken in Gestalt der Piratenpartei eine Konkurrenz erwachsen, die das Potential an Wählerinnen und Wählern, die ihre Unzufriedenheit mit der herrschenden Politik auf eher unbestimmt liberale Weise artikulieren wollen, wirksam abschöpft. Die Frage, wieso die PDL nicht von drei Jahren Finanz- und Wirtschaftskrise profitieren konnte, wird derweil von außerparlamentarischen Bewegungen beantwortet, deren Aktivistinnen und Aktivisten gar nicht erst auf den Gedanken zu kommen scheinen, sich durch die Linkspartei vertreten zu fühlen. In der sogenannten politischen Mitte, wo der große Konsens der Bestandssicherung um jeden Preis regiert, erwartet die PDL lediglich das Schicksal, bis zur politischen Unkenntlichkeit aufgesogen zu werden und am Ende nicht einmal mehr als Vehikel für persönliche Karriereambitionen zu taugen.

Das betont linke Profil, auf das bürgerliche Kommentatoren zum einen mit offener Stigmatisierung, zum andern mit dem Verweis auf die moderierende Wirkung realpolitischer Praxis reagieren, ist mithin objektiven gesellschaftlichen Widersprüchen geschuldet, die sehr wohl eine deutlich radikalere, durch symbolpolitische Öffnungen in Richtung auf soziale Bewegungen nicht zu ersetzende Antwort verdient hätten. Dies allerdings wäre nicht ohne die finale Spaltung der Partei möglich gewesen, daher birgt der Programmkonsens von Erfurt nach wie vor erheblichen Sprengstoff für parteiinterne Zerwürfnisse, der durch beschwörende Einigkeitsappelle nicht entschärft werden kann.

Um so wichtiger wird es auch in Zukunft sein, die PDL überall dort zu unterstützen, wo sie das Potential des sozialen Widerstands - etwa durch die technische und institutionelle Bemittelung außerparlamentarischer Bewegungen, durch internationalistische Solidaritätsadressen und die streitbare Verteidigung der Rechte gesellschaftlicher Minderheiten - vergrößert, und sie dort deutlich zu kritisieren, wo sie sich dem Mehrheitskonsens der bürgerlichen Parteien andient. Zu vergessen, daß die repräsentative Demokratie strukturell darauf ausgerichtet ist, systemkonforme Mehrheiten zu formieren und radikalem Aufbegehren den Boden zu entziehen, kann sich eine Partei, die auch nur entfernt systemantagonistisch positioniert ist, nur zum Preis ihres Niedergangs leisten.

Sollten die programmatischen Kernpunkte der Linkspartei tatsächlich auf Dauer für die politische Arbeit ihrer parlamentarischen Fraktionen bestimmend sein, dann wären Regierungsbeteiligungen auf absehbare Zeit ausgeschlossen. Darauf abonnierte Parteimitglieder suchten sich eine neue politische Heimat, so daß aus einem brüchigen Kompromiß tatsächliche Handlungsfähigkeit entstehen könnte. Fundamentalopposition ist in einem zusehends unter dem Diktat angeblicher Sachzwänge stehenden Prozeß politischer Willensbildung nicht das Schlechteste, sichert sie doch nicht nur die eigene Glaubwürdigkeit, sondern bietet den Bürgerinnen und Bürgern in einer von kapitalistischen Massenmedien doktrinär verfügten Meinungsbildung die Möglichkeit, die Dinge aus ganz anderer, namentlich die eigene Ohnmacht dechiffrierender Sicht zu hinterfragen. Unter politikwissenschaftlich längst attestierten postdemokratischen Verhältnissen ist der gesellschaftliche Wert einer solchen Opposition weit größer als die Einlösung partizipatorischer Ansprüche, die im Wortsinn Teilen und Herrschen befestigen.

24. Oktober 2011