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HERRSCHAFT/1636: Was wäre die Linkspartei ohne Personaldebatte ... (SB)



Die leidige Personaldebatte der Linkspartei wird aller Voraussicht nach erst dann enden, wenn der Richtungsstreit unwiderruflich entschieden und die Partei im Lager allseits anerkannter Regierungsfähigkeit angekommen ist, sich also selbst überflüssig gemacht hat. Die Grünen haben vorgemacht, wie man unter Preisgabe aller rebellischen Positionen Urstände im bürgerlichen Lager feiert, Wählerstimmen einheimst und im Hochgefühl eigener Stärke verkennt, daß nur dauerhafte Unterwerfung und Abbitte davor bewahren, für die als Jugendsünden diskreditierten Ansätze vormaliger Standhaftigkeit zur Rechenschaft gezogen zu werden. In diesem Zusammenhang von einem Erfolgsmodell zu sprechen, fiele einem nur dann ein, wenn man die Versöhnung mit den herrschenden Verhältnissen für die Ultima ratio politischen Handelns hält. Für geraume Zeit in Realos und Fundis gespalten haben die Grünen ihren widerspenstigen Flügel solange gestutzt, bis der Konsens geschlossen war, daß Streitbarkeit abträglich, hingegen die Beteiligung an Angriffskriegen, kapitalistischen Wirtschaftsmodellen und natürlich der Staatsführung unter neuformulierten Ideologien gesellschaftlichen Fortschritts und interventionistischer Verantwortung machtbewußt und gewinnträchtig sei.

So gesehen ließe sich der personelle Dauerstreit um die Führung der Linken, der ja letzten Endes nur Ausdruck miteinander unvereinbarer Tendenzen innerhalb der Partei ist, sogar als Zeichen einer unabgeschlossenen und mithin lebendigen Kontroverse werten. Solange das Hauen und Stechen um den Vorsitz anhält, kann man zumindest davon ausgehen, daß jene inhaltlichen Positionen, die man mit Fug und Recht als Alleinstellungsmerkmal der Linken bezeichnen kann, noch nicht preisgegeben sind. Wollte man eine sichere Wette plazieren, müßte man wohl darauf setzen, daß auch diese Partei über kurz oder lang den Weg der Sozialdemokraten und Grünen nehmen wird. Sich weder dem Schicksal, noch Wahrscheinlichkeiten und schon gar nicht dem Unvermeidlichen zu fügen bleibt indessen die Standarte einer Minderheit, die den innerparteilichen Richtungsstreit bislang offenhält.

Zweifellos wenden politische Gegner, an denen es der Linkspartei am allerwenigsten mangelt, die Personaldebatte genüßlich gegen den Intimfeind. Als läge ihnen allen Ernstes an der Geschlossenheit und den Erfolgsaussichten der Linken, attestieren sie dieser Gezänk und Zerwürfnisse, Eitelkeiten und Konkurrenzdenken und zaubern, wenn das alles nichts hilft, das abgedroschene Klischee vom kommunistischen U-Boot aus dem Hut. Leider ist nicht allen Repräsentanten der Partei klar, daß sie es der Gegenseite unmöglich recht machen können, ehe sie nicht mit Haut und Haar zu ihr überwechseln. Daher fehlt es den bürgerlichen Medien nie an zitierfähigem Nachschub aus parteiinternem Munde, um die Gerüchteküche kräftig anzuheizen und die Linkspartei in die Defensive unendlicher Rechtfertigungsnöte zu zwingen.

Der Vorsitzende des Berliner Landesverbands, Klaus Lederer, seit dem weithin als Debakel eingestuften Abschneiden seiner Partei bei der Hauptstadtwahl in seiner Ausdrucksweise vorsichtiger geworden, sagt der ihm gewogenen Presse eben durch die Blume, wo es seiner Meinung nach langgehen muß. Er hält seinen Parteigenossen vor, sie seien oft "zu verbiestert und verbittert, auch wegen der Zerreißproben der Linken seit der Gründung". Debatten seien gedeckelt worden, um die Fliehkräfte zu bannen. Er fordere seine Partei auf, Verbündete im Kampf um Solidarität in der Gesellschaft zu suchen. "Sich vom Rest der Welt abzuschotten, trotzig auf die eigene großartige Gesinnung zu pochen, ist albern", plädiert er für die Preisgabe genuin linker Positionen zugunsten des Verschwimmens in einer Bündnisfähigkeit, in deren konturloser Konsistenz er sich als Politiker offenbar ein flexibleres Fortkommen verspricht. [1]

"Wenn Landesverbände mit 25 Prozent der Mitglieder einen Mitgliederentscheid zur Wahl der Vorsitzenden wollen, zeigt das doch, dass sie sich gegenwärtig in der Führung nicht genügend repräsentiert fühlen. Es tut einer Partei gut, wenn sie dann bereit ist für Veränderung", spricht er sich im Interview mit dem Tagesspiegel für die Wahl einer neuen Parteiführung aus. Die Linke brauche eine "breite Führung, die vertrauensvoll miteinander arbeitet, weiblicher, moderner, jünger", ergeht sich Lederer zunächst in Leerformeln, um dann doch zur Sache zu kommen: Fraktionsvize Dietmar Bartsch müsse in der Führung der Partei eine "ganz zentrale Rolle" spielen. Wohl wissend, daß niemand in der Partei um Oskar Lafontaine herumkommt, fügt Lederer hinzu, er habe mit Freude gehört, daß dieser das genauso sehe. Und während der Leser noch rätselt, ob der Berliner Landesvorsitzende tatsächlich meint, daß Lafontaine jede einzelne seiner Aussagen teile, beschwört Lederer vollends den Konsens: "Oskar Lafontaine wird gebraucht, er ist ein politisches Schwergewicht. Ich wünsche mir, dass er die Linke gemeinsam mit Gregor Gysi in die nächste Bundestagswahl führt."

Unterdessen hat sich der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, für eine erneute Führungsrolle Oskar Lafontaines im Bundestag ausgesprochen. Dieser könne "selbstverständlich" wieder eine hohe Position unter den Abgeordneten übernehmen. Allzu peinlich bemüht, sich als treuer Gefährte zu präsentieren, hob er sein gutes Verhältnis zu dem Saarländer hervor: "Noch nie haben Sie etwas von mir gegen ihn gehört, umgekehrt genauso wenig, selbst wenn es Ärger gab." Das sei entscheidend. Gysi erinnerte an die Zeit von 2005 bis 2009, als er gemeinsam mit Lafontaine den Abgeordneten der Linken vorgestanden hatte: "Wir haben damals als Fraktionsvorsitzende eine gute Arbeitsteilung gefunden und wir kommen gut miteinander aus." In seiner derzeitigen Position als Fraktionschef im Saarland sei Lafontaine "ein bisschen unterfordert", urteilte Gysi. Eine Rückkehr des 68jährigen an die Parteispitze erklärte er jedoch für unwahrscheinlich. [2]

Hingegen mahnt Fraktions- und Parteivize Sahra Wagenknecht, eine Führungsdebatte bringe die Partei jetzt nicht weiter. Es wäre für viele Menschen "schlicht nicht nachvollziehbar", daß die Linke mitten in der europäischen Krise "nichts Besseres zu tun hat, als Personaldiskussionen zu führen". Wagenknecht, die im November zur ersten stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt worden war, hat bereits eine eigene Kandidatur für den Parteivorsitz ausgeschlossen. Dies bekräftigte sie nun mit den Worten: "Ich habe zwei wirklich zeitaufwendige Funktionen als stellvertretende Vorsitzende sowohl in der Partei als auch in der Fraktion. Ich will jetzt alles dafür tun, dass ich diese Funktionen gut ausfülle." Zu Gysi habe sie "inzwischen ein sehr gutes Verhältnis", fügte sie hinzu, womit sie Spekulationen das Wasser abgrub, die aus ihrer persönlichen Nähe zu Lafontaine wie auch immer geartete Palastintrigen ableiten.

Die Linkspartei wählt im Sommer 2012 auf einem Parteitag in Göttingen eine neue Führungsspitze. Parteichef Klaus Ernst betont, daß die Wähler "im Moment ganz gewiss keine Spekulationen über Personalfragen" brauchten. Er gehe davon aus, daß in Göttingen "in großer Einmütigkeit eine plurale und kooperative Führung" gewählt wird. Von Oskar Lafontaine stammt das Konzept einer kooperativen Führung, worunter ein Team zu verstehen ist, das charakterlich gut zusammenpaßt und so in der Lage ist, etwaige politische Differenzen zu überbrücken. Darauf bezieht sich neben Klaus Ernst auch Gregor Gysi mit der Aussage, "wir kommen personell erst zur Ruhe, wenn der neue Parteivorstand gewählt ist. Es sei denn, wir setzten vorher die Idee einer kooperativen Führung um, dann sind wir die Debatte auch los". Voraussichtlich am 16. Januar kommen die Landeschefs mit der Parteiführung zusammen, um das weitere Vorgehen zu beraten. "Wir haben noch bis Mitte Januar Zeit, eine entsprechende Lösung zu finden", drängt Gysi. "Man sollte sich in einem gewissen Kreis verständigen." [3]

Sowohl Sahra Wagenknecht als auch Gregor Gysi sprachen sich gegen eine Befragung der Mitglieder zur künftigen Parteispitze aus. Wie Wagenknecht dazu ausführte, gebe es nach der Parteisatzung keinen Mitgliederentscheid zu Personalfragen, weshalb nur eine unverbindliche Befragung möglich wäre. Es habe sich gezeigt, daß die große Mehrheit der Landesverbände eine solche Mitgliederbefragung zur Parteispitze ablehnt, da sie die Partei monatelang zur Selbstbeschäftigung zwänge.

Daß man die Diskussion um Lafontaines Rückkehr in die Bundespolitik über die bloße Personaldebatte hinausführen und auch zu inhaltlichen Aussagen nutzen kann, unterstreicht die Stellungnahme der Fraktionschefin der hessischen Linken, Janine Wissler. Natürlich wünsche sie sich, daß Oskar Lafontaine wieder eine größere Rolle spielt. Er und Sarah Wagenknecht seien "wichtige Personen" in der Linkspartei. Wagenknecht gebe gerade in der Finanz- und Wirtschaftskrise "die richtigen Antworten" und ohne Lafontaine "wäre das Projekt Linke nicht möglich gewesen", fügte Wissler hinzu.

Fußnoten:

[1] http://www.tagesspiegel.de/politik/in-der-krise-landeschef-lederer-linke-oft-zu-verbiestert-und-verbittert-/5995260.html

[2] http://www.focus.de/politik/deutschland/fuehrungsdabatte-der-linken-gysi-haelt-lafontaine-fuer-unterfordert_aid_697410.html

[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/fuehrungsdebatte-in-der-linkspartei-gysi-orakelt-ueber-rueckkehr-lafontaines-1.1243743

26. Dezember 2011