Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HERRSCHAFT/1663: Kandidat Steinbrück - Widerspruch befrieden, Systemfrage entsorgen (SB)




Mit der frühzeitigen Designierung Peer Steinbrücks zu ihrem Kanzlerkandidaten hat die SPD weit über eine taktische Chancenabwägung für den Wahlkampf gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel hinaus eine Richtungsentscheidung getroffen. Die Kontroverse um das Verelendungsregime Hartz IV - mit dem Namen Steinbrücks untrennbar verbunden - erklärt dieser zum Schnee von gestern, irrelevant für künftige Debatten. Kürzlich erst versicherte der 65jährige Hamburger, er sei stolz auf die Agenda 2010. Steinbrück hat den Finanzmarkt in Deutschland maßgeblich dereguliert und dann dazu beigetragen, die Bankenrettung auf die Steuerzahler umzulasten. Was immer er derzeit zur Beschwichtigung von Partei und Wahlvolk an Bankenregulierung in Aussicht stellt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich hier der Bock als Gärtner empfiehlt. Daß von den so aufgestellten Sozialdemokraten etwas anderes zu erwarten ist als eine Fortsetzung der Niedriglohnpolitik und Demontage des Sozialstaats nach innen wie auch ein Niederkonkurrieren hegemonial unterworfener peripherer EU-Staaten nach außen, steht nicht zu erwarten.

Unterwürfig zieht die innerparteiliche Opposition den Kniefall vor diesem apodiktischen Machtwort der Führungsriege jedem standhaften Beharren auf abweichende Positionen vor. Wachsweich kehren die Grünen als potentieller Koalitionspartner alle Kontroversen der Vergangenheit unter den Tisch, jederzeit bereit, der erhofften Rückkehr an den Regierungstisch alle Pseudoeinwände zu opfern. Die Linkspartei, mit der zu koalieren Steinbrück unverzüglich ausgeschlossen hat, wäre um ihres eigenen Profils willen gut beraten, sich gar nicht erst kompromißlerisch an die auf harte Bandagen getrimmte SPD anzudienen.

Wenn die Linkspartei ein rot-rot-grünes Bündnis auch mit einem Bundeskanzler Steinbrück für möglich hält und ihre Co-Vorsitzende Katja Kipping die drei Oppositionsparteien SPD, Linke und Grüne auffordert, sich von "kindischen Abgrenzungsritualen zu lösen, um eine schlagfähige Mehrheit zu formen", da man es andernfalls Bundeskanzlerin Merkel zu einfach mache [1], ist das nicht nur eine euphemistische Einschätzung bestehender Differenzen. Wollte man ihre Aussage ernst nehmen, für ihre Partei zähle nicht die sozialdemokratische Personalie Steinbrück, sondern das Programm, stellt sich die Frage, von welchen Übereinkünften mit einer Sozialdemokratie im Windschatten dieses Kanzlerkandidaten sie auszugehen bereit ist.

Auf Wahlverwandtschaften im sogenannten linken Flügel der SPD darf Die Linke nicht hoffen. Zwar grollt der Vorsitzende der Jusos, Sascha Vogt, er habe sich darüber geärgert, daß die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur so rasch gefallen sei. Die Jusos sähen noch Klärungsbedarf und hätten Steinbrück daher zu Gesprächen eingeladen. Man wolle zum Beispiel wissen, was der frühere Finanzminister zur Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse bei jungen Arbeitnehmern sage. [2] Daraus einen Drang zur Palastrevolte abzuleiten wäre jedoch blauäugig. Klärungsbedarf heißt nichts weiter, als sich mit dem einen oder andern Versprechen bereitwillig ins Joch der Parteidisziplin schnallen zu lassen. Die Sprecherin der Parteilinken, Hilde Mattheis, will Steinbrück in die Pflicht nehmen: "An die Parteibeschlüsse etwa zur Vermögenssteuer oder zur Abgeltungssteuer ist auch ein Kanzlerkandidat gebunden." [3]

Die vage Hoffnung, Steinbrück komme an innerparteilichen Konzessionen nicht vorbei und werde tatsächlich halten, was er derzeit um des Burgfriedens willen milde verspricht, wird von der massiven Rückendeckung für den Kanzlerkandidaten aus einflußreicheren Zirkeln der SPD zur Makulatur erklärt. Der frühere Vorsitzende Franz Müntefering lobt Steinbrück als einen sehr guten Kandidaten für das Jahr 2013, hinter den sich die Partei geschlossen stellen werde. Parteichef Sigmar Gabriel bezeichnet Steinbrück als den "besseren Kanzler". Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder spricht von einer ausgezeichneten Wahl: "Ich begrüße das ausdrücklich. Er will das, und er kann das." Steinbrück könne Merkel im Rennen ums Kanzleramt schlagen, wobei Schröder seiner Partei zugleich empfiehlt, eine Ampelkoalition mit Grünen und FDP nicht auszuschließen.

Mit einer Ampelkoalition im Bund liebäugelt auch der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, Johannes Kahrs. Seine Partei strebe Rot-Grün an, doch wenn es dafür nicht reiche, wäre ein Bündnis von SPD, FDP und Grünen die "deutlich bessere Alternative" als eine Große Koalition mit der Union. Ähnlich äußert sich auch der saarländische Wirtschaftsminister Heiko Maas (SPD). Dafür müsse sich die FDP aber wieder zu einer Bürgerrechtspartei entwickeln. Auch unter den Liberalen hört man Lob für die Kanzlerkür der SPD. Zumindest nennt Wolfgang Kubicki, Mitglied im FPD-Bundesvorstand, die Festlegung auf Steinbrück eine "sehr kluge Entscheidung der SPD". Peer Steinbrück sei "einer, der auch der Bundeskanzlerin Angela Merkel Schach bieten kann".

Euphorisch versichern die Grünen, mit der SPD und dem designierten Kanzlerkandidaten Steinbrück sei die Bundestagswahl 2013 zu gewinnen. Fraktionschefin Renate Künast verkündet gar, Steinbrück verfüge über die notwendige Lebens- und Berufserfahrung. Mit ihm sei auch die Energiewende zu bewältigen. Zurückhaltender gibt sich ihre Stellvertreterin Bärbel Höhn. Steinbrück sei nicht der Wunschpartner. Sie halte ihn für einen Machtpolitiker, näher an der FDP als an den Grünen, trägt die ehemalige Ministerin im Kabinett Steinbrück in Nordrhein-Westfalen eine Prise Skepsis zur Schau. Für sie sei jedoch "immer eine goldene Regel", daß ein möglicher Koalitionspartner sein Führungspersonal selber aussuche. "Von daher muss man am Ende immer mit den Leuten versuchen, eine gute Politik zu machen, die da ausgewählt sind", so Höhn. Ernstzunehmender Widerstand gegen einen Schulterschluß mit der neu aufgestellten SPD sieht sicher anders aus.

Wie Steinbrücks Nominierung beweist hat die SPD aus ihrer Wahlniederlage von 2009 keineswegs den Schluß gezogen, sich von einer Politik prekärer Beschäftigung, Hofierung sogenannter Leistungsträger, der Armutsrenten und Ausplünderung schwächerer Staaten zu verabschieden. Daß der frühere Ministerpräsident und Bundesfinanzminister noch nie eine Wahl gewonnen hat, kann unter diesen Umständen kein Trost sein. Verliert er auch beim Urnengang 2013, setzt die Regierung Merkel ihr Unwesen ungehindert fort. Sollte Steinbrück wider Erwarten eine Mehrheitsbildung gelingen, wäre er der Garant einer Koalition, deren Kurs sich nicht nennenswert von dem seiner Vorgängerin unterschiede. Wenn daher Tausende auf die Straße gehen, um im großen Topf des Bündnisses "UmFairteilen" Verteilungsgerechtigkeit zu fordern, drängt sich die Frage auf, ob im Schulterschluß mit Sozialdemokraten und Grünen die Systemfrage wirklich gestellt oder nicht im Gegenteil nachhaltig entsorgt wird.

Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/nachrichten/201209301500/1

[2] http://www.dradio.de/nachrichten/201209291300/1

[3] http://www.dradio.de/aktuell/1879745/

30. September 2012