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HERRSCHAFT/1668: Erfolgsmodell lodengrünes Biedermeier (SB)




Nicht nur die Führung der Grünen, auch die Basis sitzt fest im Sattel einer gesellschaftlichen Mitte, die weit rechts von jenem Ort situiert ist, der mit diesem Ausgleich und Harmonie suggerierenden Begriff gemeinhin assoziiert wird. Der Hauptstrom des bundesrepublikanischen Politikbetriebs ist insbesondere im europäischen Vergleich ein Hort neoliberaler Programmatik und nationaler Gesinnung, wird dort doch die Mär verbreitet, nur Arbeitsfleiß und Innovationstalent sei die wirtschaftliche Führung Deutschlands in der Eurozone geschuldet. Wenn die Kanzlerin sich gnädig zeigt und als Zeichen verlangter Besserung die sinkenden Lohnstückkosten in den krisengeschüttelten Peripheriestaaten der Eurozone - sprich die Senkung der Arbeitslöhne und Sozialtransfers auf Hungerniveau - lobt, dann ist von den in Urwahl gekürten Spitzenkandidaten Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt kein explizites Wort des Widerspruchs zu vernehmen. Bestenfalls eine Solidaritätsadresse an deren Bevölkerungen auf ihrem harten Reformweg ist drin, wenn der vom linken Aktivisten zum nach Fischer und Cohn-Bendit dritten grünen Zuchtmeister Europas aufsteigende Trittin den Eindruck erwecken will, über ein soziales Gewissen zu verfügen.

Mit einer solchen Führungsriege ist allemal Staat zu machen, frohlocken die Kommentatoren der Konzernpresse, die Schwarz-Grün zum neuen Erfolgsmodell hochschreiben, wohlwissend, daß rot-grüne Treueschwüre nicht so ernst zu nehmen sind wie der definitive Ausschluß einer solchen Regierungsoption. Was ist so attraktiv daran, mit den Grünen SPD wie FDP bei der nächsten Regierungsbildung auf die Ränge zu verweisen, wird doch im gleichen Atemzug betont, daß die ökologisch bewegten Ex-Alternativen nichts mehr im Angebot haben, was die klassischen bürgerlichen Parteien nicht längst aufgegriffen hätten?

Zum einen lassen sich die Forderungen des Kapitals mit jeder Partei mehr, die sich als Erfüllungsgehilfin andient, um an die Fleischtröge staatlicher Alimentation und gesellschaftlichen Einflusses zu gelangen, desto wirksamer umsetzen, als diese im Rennen um die Unterstützung, die dessen gut ausgestatteten Einflußorgane freisetzen können, zu fast jedem Pakt bereit sind. Die zwischen den für eine Regierungsbeteiligung in Frage kommenden Parteien ausbrechende Konkurrenz ist gerade nicht Ausdruck scharf voneinander abgegrenzter Grundsätze, sondern entfacht in der Enge programmatischer Identität besonders viel Hitze, die den hegemonialen Block der Sachwalter deutscher Kapitalinteressen als Ausbund demokratischer Vielfalt erscheinen läßt.

Zum andern empfehlen sich die Grünen dank der erfolgreichen Verkehrung linker Ideale in rechten symbolpolitischen Aktionismus - mehr Frauen in die Bundeswehr aus Gleichstellungsgründen, bewaffneter Menschenrechtsimperialismus, sozialfeindliche Lösungen für ökologische Probleme und Sanierung des Kapitalismus als Green New Deal - für machbare Lösungen im Rahmen einer durch die Krise herausgeforderten Herrschaftsicherung. Das Verbot der Blockupy-Proteste wurde von den Grünen ebenso mitgetragen wie die Aufhebung der Immunität von vier Bundestagsabgeordneten der Linken, die im Herbst 2010 das "Schottern" gegen den Castor guthießen. Sich bewegungsgrün zu geben und staatsautoritäre Maßnahmen zu unterstützen kann zumindest jenen Teil des sozialökologischen Protestpotentials lähmen, der meint, die drohenden Gefahren für Wohlergehen und Bestand der Menschen ließen sich bewältigen, ohne die grundsätzliche Konfrontation mit dem kapitalistischen Gesellschaftssystem aufzunehmen.

Was die Unterstützung der deutschen Vormachtstellung in Europa betrifft, so sind die Reihen der Grünen in mancherlei Hinsicht fester geschlossen als diejenigen bürgerlicher Parteien, denen noch eine Minderheit europafeindlicher Rechtsabweichler zu schaffen macht. Hinter der euphemistischen Verklärung eines Nationalstaatlichkeit überwindenden Europas haben sich längst die Divisionen der globalen Aufstandsbekämpfung und einer gegen Rußland und China gerichteten Hegemonialpolitik formiert, die in den Stiefeln des transatlantischen Werteuniversalismus die geopolitische Neuordnung nicht nur des Nahen und Mittleren Ostens anstreben. In den Schreckensannalen des NS-Staates gebannter Rechtspolitik unverdächtig und doch zu allem entschlossen, was sich in puncto bürgerlicher Restauration, nationalen Standortinteressen und imperialistischer Aggression als lodengrünes Biedermeier gefällt, gelingt den Grünen der Spagat zwischen kaum verhohlenem Klassenkampf von oben und dem Anspruch auf seine sozialgerechte Moderation.

Es ist daher nur konsequent, wenn sich eine im Blick nämlicher Mitte als links gehandelte Claudia Roth anbietet, in der Stunde der Entscheidung keine Flügel mehr zu kennen, sondern der Partei als brave Soldatin zu dienen. Tatsächlich habe "Realos" und "Fundis" längst jede Bedeutung für den politischen Kurs der Grünen verloren und werden lediglich zu besonderen Anlässen wie der gerade erfolgten Urwahl aus der Mottenkiste geholt, um die Bindefähigkeit der Grünen für die damit gemeinten gesellschaftlichen Milieus zu erhalten. "Transformiert", um einen Modebegriff aus dem Handbuch alternativer Gesellschaftsentwürfe zu nehmen, wird bei den Grünen das allgemeine zum besonderen, das alle Menschen betreffende Interesse an egalitären Lebensbedingungen und der Sicherung ihrer natürlichen und ökonomischen Voraussetzungen in das Privatissimum des arrivierten Bourgeois, der sich niemandem gegenüber rechtfertigen muß, weil er selbst die Normen und Werte gesellschaftlichen Wohlverhaltens setzt.

12. November 2012