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HERRSCHAFT/1722: Mit ideologischer Ausgrenzung ist der AfD nicht beizukommen (SB)



Die Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD) in drei Bundesländern wurden allgemein erwartet, und doch möchte man sich mit dem Gedanken, daß diese Partei voraussichtlich auch im Bundestag sitzen wird, nicht gerne anfreunden. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine ästhetische Frage, sondern das Problem liegt in der Verkennung der sogenannten Volksparteien als Urheber einer Politik, deren Inanspruchnahme in aggressiver Reinkultur die AfD mit dem Nimbus des Widerstands gegen etablierte Eliten anreichert und so als Erfolgsrezept für sich verbuchen kann. Daß diese Partei es schafft, blanke Reaktion als Rebellion erscheinen zu lassen, ist ganz und gar der regierenden Konkurrenz geschuldet, die sich der dafür erforderlichen Camouflagen seit jeher bedient, indem sie behauptet, was gut für Deutschland sei, sei auch gut für die dort lebenden Menschen. Da den Menschen durch den nach wie vor virulenten Antikommunismus jegliches Verständnis für die inneren Widersprüche kapitalistischer Vergesellschaftung ausgetrieben wurde, kann sich die AfD als das Original jener neoliberalen und nationalkonservativen Positionen in den Regierungsparteien präsentieren, die sich dort nicht in jeder Beziehung durchsetzen können. Viele führende AfD-Politiker entstammen dem sozialreaktionären und nationalchauvinistischen Biotop rechter Unionspolitiker, die in CDU und CSU gegen die angeblich zu sozialdemokratische Bundeskanzlerin opponieren.

Ungleich der häufig als rechtspopulistische Schwesterparteien der AfD in anderen EU-Staaten angeführten Parteien tritt Frauke Petrys Mannschaft lediglich für eine Auflösung der Eurozone ein, die durch eine Währungsunion mit Staaten abgelöst werden solle, die ähnliche Ziele der Geldstabilität und Währungspolitik verfolgten wie die Bundesrepublik. Es handelt sich um eine Neuauflage des zu Beginn der 1990er Jahre von den CDU-Politikern Wolfgang Schäuble und Karl Lamers propagierten Kerneuropa-Konzepts, das sich der südlichen und östlichen Armutspheripherie entledigen will, um die nationalen Wirtschaftsziele besser verfolgen zu können. Dies korrespondiert mit der Zustimmung der AfD zur NATO als Klammer einer transatlantischen Sicherheitspolitik und dem damit einhergehenden Bekenntnis zur globalen Hegemonialstellung der USA, allerdings moderiert durch eine weniger konfrontative Außenpolitik gegenüber Rußland.

Die AfD ist an der sogenannten sozialen Marktwirtschaft nach Ludwig Erhard orientiert und verfolgt damit einen ordoliberalen Ansatz, der sie ebenso wie die Gegnerschaft zu einem gesetzlichen Mindestlohn als Unternehmerpartei kennzeichnet. Als Verfechterin der Interessen des sinnbildlichen "kleinen Mannes" kann sie zwar mit einem konservativen Familienbild punkten, das dem Patriarchat nicht gefährlich werden will, aber keineswegs mit sozialen Vergünstigungen für Erwerbslose und prekär beschäftigte Menschen. Damit steht die AfD in einer Linie zu dem von der rot-grünen Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder eingeführten Agenda 2010, mit deren Hilfe nationale Wirtschaftserfolge auf dem Rücken der Lohnabhängigenklasse erwirtschaftet werden und die zum Kapitalinteressen befördernden Modell einer EU-weit verordneten Mangel- und Sparpolitik weiterentwickelt wurde. Auch die Opposition, in der die AfD zu sozialökologischen Maßnahmen wie dem Atomausstieg oder der Energiewende steht, belegt, daß sie fest in klassischen Formen der industriellen Kapitalakkumulation verankert ist und dort über eine renommierte, keineswegs nur aus dem Pegida-Fußvolk bestehende Klientel verfügt.

Das mutmaßlich im Zentrum des Erfolges der AfD stehende "Flüchtlingsproblem" ist für die Bundesregierung nur insofern ein Problem, als es ihr nicht gelungen ist, die machtpolitischen Gründe für die Aufnahme syrischer Kriegsflüchtlinge in größerer Zahl zu vermitteln. Was die Kritikerinnen und Kritiker der Bundeskanzlerin nicht ausreichend zu schätzen wissen, ist ihr Versuch, die Hegemonialstellung der Bundesrepublik in der EU dadurch zu erhalten, daß sie in der Sache initiativ wurde und ihr zugleich den Nutzen einer Aufstockung und Verjüngung des Personals der deutschen Arbeitsgesellschaft abzugewinnen versucht. Angela Merkel handelt bis heute im Sinne der hiesigen Kapital- und Funktionseliten rational, zumal sie mit gesetzlichen Verschärfungen für Asylbewerber und der Vorverlagerung der Flüchtlingsabwehr in die Türkei und nach Griechenland die ihr von der AfD angelastete Willkommenskultur de facto dementiert. Die Feindseligkeit der Debatte nicht nur gegenüber Menschen in Not, sondern auch der politischen Konkurrenz hat sich jedoch in einem Ausmaß verselbständigt, daß die AfD auch weiterhin den Eindruck erwecken kann, Interessen zu schützen, die sie durch den neofeudalen Charakter ihres Gesellschaftsbildes längst ausgehebelt hat.

Es ist mithin pures Wunschdenken, wenn der AfD heute unter Verweis auf die kurze Karriere der Republikaner zu Beginn der 1990er Jahre eine tagespolitisch begründete Scheinblüte mit baldigem Verwelken prognostiziert wird [1]. Als Rechtsauslegerin originärer Volksparteien markiert die Partei die Verlagerung des gesamten politischen Spektrums in eine nationalliberale und sozialchauvinistische Richtung, die schon länger anliegt und keine Erfindung Luckes oder Petrys ist. Sie folgt vielmehr dem spezifisch deutschen Weg eines Krisenmanagements, das soziale Widersprüche in andere Länder exportiert und die Bevölkerung auf Feindbilder einschwört, die nicht das Copyright der AfD tragen müssen, um - wie die Schmähung des angeblichen südeuropäischen Schlendrians - als nationalistische und rassistische Hetze erkennbar zu werden.

So ist nicht erstaunlich, daß der Versuch, das Problem der rechten Konkurrenz dadurch zu bewältigen, daß man sie unter Gesinnungsverdacht stellt, anstatt in der Kritik inhaltlich zu werden, weil dies Ungereimtheiten der eigenen Politik hervorbrächte, nach hinten losgeht. In den Augen sogenannter Protestwähler wird der AfD damit ein Märtyrerbonus verschafft, der die Verkennung dessen, was diese Partei im Kern ihrer macht- und herrschaftsopportunen Positionen ausmacht, weiter nährt. Als Fleisch vom Fleische nach innen staatsautoritär und außen imperialistisch agierender Kapital- und Funktionseliten ist der AfD nur durch die grundlegende Kritik an den herrschenden Verfügungs- und Verwertungspraktiken beizukommen. Das ist seit jeher die Domäne einer Linken, die allerdings nur bedingt in kämpferischer Verfassung ist, weil nicht wenige ihrer Parteigänger eher dem Seitenblick auf die warmen Sessel erliegen, als auf dem kalten Pflaster der Straße ihre Stimme zu erheben.


Fußnote:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/landtagswahlen-die-durchgeruettelte-republik.720.de.html?dram:article_id=348277

13. März 2016


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