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HERRSCHAFT/1732: "Basis ist Boss" - Oder ist es am Ende doch Kretschmann? (SB)



Deutschland wäre nicht das, was es heute ist, ohne die Grünen: Der ökonomische Platzhirsch Europas, der politische Krisengewinner und nicht zuletzt der ambitionierteste Kriegstreiber weit über den Kontinent hinaus. In rot-grüner Koalition wurde mit Hartz IV und der Agenda 2010 das bislang innovativste System der Ausbeutung von Arbeitskraft und Zwangsverfügung des Subproletariats entworfen und durchgesetzt, das angesichts deutscher Führerschaft längst allerorten als Evangelium wirtschaftlichen Überlebens gepredigt wird. Gerhard Schröder und Joseph Fischer führten die Bundeswehr in den Angriffskrieg auf dem Balkan, ideologisch flankiert von einer Verklärung des Mordens und Zerstörens zu einem Akt der Humanität und Abwendung des Genozids. So gesehen ist den Grünen ein Platz in den Geschichtsbüchern sicher.

Sie wollen aber noch mehr: Ihr Entwurf eines grünen Kapitalismus soll die Ökonomie zukunftsfähig machen und zugleich die Klimakatastrophe abwenden, was geradezu nach schwarz-grün schreit. Vom dramatischen Absturz der Sozialdemokraten ganz abgesehen, sind wirtschaftsnahe Kreise das unverzichtbare Revier, will man die Doktrin einer überlegenen Technologie zur Rettung des Sozialen und der Umwelt auf die Agenda setzen und womöglich sogar einen neuen Zyklus der Verwertung inmitten eines Szenarios des Untergangs lostreten. Daß dieser Entwurf von deutschen Eliten interessiert geprüft und gewogen wird, darf als sicher gelten, ließe sich doch auf diese Weise womöglich ein technologischer Vorsprung erwirtschaften und mit einer tiefgreifenden Sozialkontrolle vorgeblich gesundheitsfördernder und ökologisch fairer Selbstkontrolle der Existenzweise und reduzierten Lebensansprüche verknüpfen.

Das Problem der Grünen ist nur, daß die Wählerinnen und Wähler das noch nicht kapiert, also auf breiter Front als hoffnungsvollen Entwurf zu ihren Gunsten mißverstanden haben. Das Ergebnis der Bundestagswahl 2013 mit den Spitzen Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin fiel mit 8,4 Prozent enttäuschend aus, was die Partei lahm auf ihre damaligen Steuerpläne und den unsäglichen "Veggie-Day" zurückführte. Auch was ihre Mitglieder betrifft, sind die ehemals auf ihre Basis so stolzen Grünen im Abwind. Ende 2015 zählten sie 59.000 Mitglieder, Tendenz fallend. Letzter Tiefschlag war das Abschneiden in Mecklenburg-Vorpommern, wo sie mit mageren 4,8 Prozent den Sprung in den Landtag verpaßten. Was ist zu tun?

"Basis ist Boss", lautet das trotzige Motto der Plakatkampagne, mit der die Grünen für ihre Urwahl werben. Die Parteimitglieder dürfen bestimmen, wer 2017 bei der Bundestagswahl als Spitzenkandidat antreten soll. Ein Mann und eine Frau sollen die Doppelspitze bilden, soviel steht fest. Auf einem kleinen Parteitag in Berlin, wo sich die Kandidaten den 92 Delegierten präsentieren, wird heute der Startschuß gegeben, Bewerbungen können bis zum 17. Oktober eingereicht werden. In den kommenden Wochen finden dann bundesweit Urwahlforen statt, Diskussionsrunden mit den Spitzenkandidaten. Dann darf jedes Mitglied seine Stimme abgeben, im Januar soll das Ergebnis vorliegen. [1]

Das habe den großen Vorteil, daß es die Partei nach innen und außen mobilisiere, sagt Michael Kellner, politischer Bundesgeschäftsführer der Grünen. "Bei uns können alle Mitglieder darüber abstimmen, wer uns in die Bundestagswahl führt: Das ist eine Form der demokratischen Beteiligung, die keine andere Partei macht und die uns sehr gut zu Gesicht steht." Und da ohnehin niemand annehmen würde, daß bei einer etablierten Partei wie den Grünen allen Ernstes Basisdemokratie herrsche, räumt Kellner ein, daß man sich nicht zuletzt Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und Mitgliederzuwachs erhofft: Wer bis zum 4. November eintritt, darf die Spitzenkandidaten mitwählen.

Wer wird das Rennen machen? Da Parteichefin Simone Peter gar nicht erst antritt, wohl wissend, daß sie gegen Katrin Göring-Eckardt chancenlos wäre, gilt die dem Realo-Flügel angehörende Fraktionsvorsitzende vorab als gesetzt. Vor vier Jahren hatte sie sich überraschend gegen Konkurrentinnen wie Claudia Roth und Renate Künast durchgesetzt, heute sitzt die 50jährige felsenfest im Sattel. Bei den Männern ist der Andrang größer. Fraktionschef Anton Hofreiter, der dem sogenannten linken Parteiflügel angehört, muß sich mit Parteichef Cem Özdemir und Robert Habeck herumschlagen, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins. [2]

Da Hofreiter als krasser Außenseiter gilt und das Profil des favorisierten türkischen Schwaben und Kretschmann-Fans Özdemir hinlänglich bekannt sein dürfte, lohnt ein Blick auf Habeck, der dem Parteichef den Fehdehandschuh vor die Füße wirft. In seinem termingerecht erschienenen autobiographischen Buch mit dem peinlichen Titel "Wer wagt, beginnt - die Politik und ich" traut er der bisherigen Führungsspitze seiner Partei, ohne sie persönlich beim Namen zu nennen, nicht viel zu - von Winfried Kretschmann abgesehen. Die anderen hätten die Zeichen der Zeit nicht erkannt und stünden für eine Politik von gestern, nicht aber für die Zukunftsfähigkeit der Grünen. Um dem gesellschaftlichen Führungsanspruch gerecht zu werden, müsse man Klientelpolitik und Milieutreue hinter sich lassen sich für andere Zielgruppen öffnen.

Nur Kretschmann habe die Wähler gelockt, während die 13 Prozent bundesweit, die derzeit in den Meinungsumfragen für die Grünen gemessen werden, eine geliehene Stärke aus Baden-Württemberg seien. Die Grünen müßten erkennen, daß es in dieser Phase der deutschen Demokratie darum gehe, nicht mehr nur für das angestammte Milieu Politik zu machen, sondern "Mehrheiten und gesellschaftliche Bündnisse zu schmieden, die größer sind als unsere Wählerschaft". Die Grünen "schaffen es derzeit nicht, mit ihrer wichtigsten Forderung, nämlich der Entkoppelung von Wohlstand und Ressourcenverbrauch, eine konsistente Politik zu entwerfen, die über die Kernbereiche Energiewende und Landwirtschaft hinausgehen würde". Der daraus resultierende "Mangel an Konsistenz im politischen Angebot" hole die Partei jetzt ein. "Wir diskutieren Einzelfragen und Themen, aber keine politischen Zusammenhänge."

Was Habeck unter "politischen Zusammenhängen" versteht, deutet er an, wenn er dem derzeitigen Führungsquartett seiner Partei ein "taktisches Korsett" attestiert, das Risiken scheue und die Angst vor Niederlagen übergroß werden lasse. "Mut und Leidenschaft" seien jetzt gefragt, nicht jenes "Eiferertum", das die Grünen so weit von den Mehrheiten der Gesellschaft entfernt gehalten habe. "So nicht noch einmal", lautet sein Motto, mit dem er es bei seinem Zug durch alle Medien am liebsten mit Kurt Beck hält: Die Grünen müßten eine "neue Haltung" entwickeln, "vermittelnd, nicht belehrend, nah bei de Leud." [3]

Diese landesväterliche Attitüde, mit der sich Habeck so gern schmücken würde, spitzt seine Warnung vor jeglicher Radikalität und entschiedenen Positionierung für ökologische oder soziale Anliegen derart auf eine Hommage an Winfried Kretschmann zu, daß den Mitgliedern der Grünen bei der Urwahl kaum eine Auswahl bleiben dürfte. Vermutlich werden nur Realos, und unter diesen auch noch erklärte Fans des baden-württembergischen Erfolgsmenschen zur Disposition stehen, was wiederum logisch ist, da man ja Stimmen, Stimmen, Stimmen und dazu entsprechende Pfründe gewinnen will.

Wählt Kretschmann in alle Ämter, möchte man den Grünen zurufen, um die seit ihrer Parteigründung immer wieder geführte Flügeldebatte, die stets zugunsten der Realos ausging, für diesmal abzukürzen. Schwarz-Grün passe in eine Zeit, die von Unsicherheit und Krisen geprägt sei, meint der populäre Ministerpräsident. Er hatte nach der letzten Bundestagswahl die Chancen für ein Regierungsbündnis mit der Union ausgelotet, doch waren damals zu seinem Bedauern die Differenzen noch zu groß. Das könnte sich ändern, hofft der Chef der grün-schwarzen Landesregierung, der im Schwäbischen so schwärzelt, daß von dem Dunkelgrün kaum noch etwas zu sehen ist. Er persönlich pflegt ein gutes Verhältnis zu Angela Merkel und kann sich mit ihr als Bundeskanzlerin eine schwarz-grüne Bundesregierung sehr gut vorstellen, was dem Vernehmen nach auf Gegenseitigkeit beruht.


Fußnoten:

[1] https://www.tagesschau.de/ausland/gruene-parteitag-spitzenkandidaten-101.html

[2] http://www.dw.com/de/die-grünen-basis-hat-die-wahl/a-19537636

[3] http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article158040570/Abteilung-Attacke-der-Gruenen-sitzt-in-Kiel.html -Gruenen-sitzt-in-Kiel.html

10. September 2016


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